Das IOC zählt IBA und Kreml­ev kurz vor den Wah­len erneut an

Brief an die Verbände darf wohl als Warnung verstanden werden

In Istan­bul haben am Mon­tag, den 9. Mai die Box­welt­meis­ter­schaf­ten der Frau­en begon­nen. Wäh­rend die Frau­en im Ring um Medail­len kämp­fen, kämpft der aus­rich­ten­de Welt­ver­band des olym­pi­schen Boxens IBA (frü­her AIBA) am Bos­po­rus jedoch womög­lich um sein schie­res Überleben.

Ver­band seit 2019 suspendiert

Das Inter­na­tio­na­le Olym­pi­sche Komi­tee (IOC) hat­te ihn 2019 wegen mas­si­ver Ver­let­zun­gen der Grund­sät­ze von Good Gover­nan­ce, wegen Über­schul­dung und wegen kor­rup­ter Kampf­rich­ter­leis­tun­gen (vor allem bei den Spie­len 2016 in Rio de Janei­ro) vor­läu­fig sus­pen­diert (Link öff­net neu­es Fens­ter) und rich­te­te das olym­pi­sche Box­tur­nier 2021 in Tokio daher kur­zer­hand selbst aus – was unter den Bedin­gun­gen der Pan­de­mie kei­ne ein­fa­che Sache war.

Boxen in Los Ange­les der­zeit nicht vorgesehen

Das IOC mach­te die Auf­he­bung der Sus­pen­die­rung und die olym­pi­sche Zukunft des Box­sports von über­zeu­gen­den Refor­men des Ver­ban­des abhän­gig. Für die kom­men­den Som­mer­spie­le 2024 in Paris ist Boxen zwar (in bereits redu­zier­tem Umfang) noch im Pro­gramm, aber ob es wirk­lich dabei bleibt, ist kei­nes­wegs sicher. Und in den vor­läu­fi­gen Pla­nun­gen für die Olym­pi­schen Spie­le 2028 in Los Ange­les kommt Boxen bereits schon nicht mehr vor.

IOC wie­der­holt unzu­frie­den mit Reformprozess

Seit der Sus­pen­die­rung des Box­welt­ver­ban­des hat­te sich das IOC wie­der­holt unzu­frie­den mit der Ent­wick­lung der IBA (Link öff­net neu­es Fens­ter) gezeigt. Auch wenn der Welt­ver­band zuletzt den Anschein ver­bes­ser­ter Bezie­hun­gen zum IOC wecken woll­te: Die Kri­tik­punk­te des IOC blie­ben im Kern die glei­chen. Da hal­fen auch ein neu­er Name (aus der AIBA wur­de die IBA) und ein neu­es Logo wenig. 

Im Gegen­teil: Die kom­plet­te finan­zi­el­le Abhän­gig­keit der IBA vom rus­si­schen Staats­kon­zern Gaz­prom besorg­te das IOC (Link öff­net neu­es Fens­ter) bereits vor dem Krieg Russ­lands gegen die Ukrai­ne. Dass die von dem Rus­sen Umar Kreml­ev geführ­te IBA trotz des Krie­ges an Gaz­prom als Spon­sor fest­hält, dürf­te dem IOC weni­ger denn je gefallen.

IBA-Welt­kon­gress mit Wahlen

Anläss­lich der aktu­el­len Frau­en­welt­meis­ter­schaf­ten rich­tet der Ver­band nun sei­nen Welt­kon­gress aus. Dafür wer­den am Frei­tag (13. Mai) und am Sams­tag (14. Mai) eigens die sonst übli­chen nach­mit­täg­li­chen Wett­kampf­ver­an­stal­tun­gen ausgesetzt. 

Wich­tigs­ter Tages­ord­nungs­punkt des Kon­gres­ses ist die Wahl des neu­en Prä­si­den­ten. Um das Amt bewer­ben sich zwei Kan­di­da­ten: Der aktu­el­le Amts­in­ha­ber Umar Kreml­ev stellt sich zu Wie­der­wahl und wird (zum zwei­ten Mal) her­aus­ge­for­dert von Boris van der Vorst (Nie­der­lan­de) (Link öff­net neu­es Fenster).

Man darf also davon aus­ge­hen, dass in die­sen Tagen am Bos­po­rus viel Sport­di­plo­ma­tie betrie­ben wird: In vie­len Gesprä­chen am Ran­de der bei­den Box­rin­ge und in Hotel­foy­ers dürf­te an Bünd­nis­sen gebas­telt und um Mehr­hei­ten gerun­gen werden.

IOC stellt erneut ver­nich­ten­des Zeug­nis aus

Just in die­se ange­spann­te Atmo­sphä­re platz­te am 10. Mai ein neu­es Schrei­ben des IOC an die IBA (s.u. in deut­scher Über­set­zung). Das Schrei­ben, das gleich­zei­tig auch allen natio­na­len Box­ver­bän­den zuge­stellt wur­de, stellt dem Ver­band, der sich selbst gern als geläu­tert und refor­miert dar­stellt, kurz vor dem Kon­gress und den Wah­len ein ver­nich­ten­des Zeug­nis aus. 

Das IOC bekräf­tigt den Fort­be­stand der Sus­pen­die­rung und stellt noch ein­mal klar her­aus, dass der Box­sport der­zeit für die Spie­le 2028 nicht mehr vor­ge­se­hen ist. In dem Schrei­ben wird auch der von der IBA ent­wor­fe­ne Qua­li­fi­ka­ti­ons­weg zu den Spie­len 2024 in Paris stark kri­ti­siert. Dabei woll­te der Ver­band gera­de dies als einen Beweis dafür ver­stan­den wis­sen, dass man mit dem IOC wie­der kon­struk­ti­ve und pro­duk­ti­ve Bezie­hun­gen unterhalte.

IOC-Brief an die Ver­bän­de als Warnung

Der Brief des IOC und der Zeit­punkt sei­ner Zustel­lung darf wohl als ein­dring­li­che War­nung an die natio­na­len Box­ver­bän­de ver­stan­den wer­den: Eine Wie­der­wahl des amtie­ren­den Prä­si­den­ten und die Fort­set­zung der rus­si­schen Ein­fluss­nah­me auf den Box­ver­band dürf­ten es dem IOC nahe­zu unmög­lich machen, den Box­sport zu rehabilitieren.

Die Ver­tre­ter der natio­na­len Ver­bän­de ste­cken in der Klem­me: Mit Kreml­ev und dem Gaz­prom-Geld dürf­te der Box­sport wahr­schein­lich kei­ne olym­pi­sche Zukunft mehr haben. Ohne Kreml­ev und den wohl mit ihm ver­bun­de­nen Gaz­prom-Gel­dern ist die IBA aber wahr­schein­lich sofort ein Kon­kurs­fall – es sei denn, es hät­te jemand das IOC über­zeugt, die in den letz­ten Jah­ren zurück­ge­hal­te­nen IOC-Gel­der im Fal­le eines Neu­an­fangs ohne Kreml­ev freizugeben.

Wür­de der Box­sport aus dem olym­pi­schen Pro­gramm gestri­chen, blie­be in Deutsch­land beim Box­sport wahr­schein­lich nichts mehr so, wie es war. Bun­des­stütz­punk­te, Trai­ner­stel­len und För­der­plät­ze in den Sport­kom­pa­nien der Bun­des­wehr hän­gen maß­geb­lich von der olym­pi­schen Per­spek­ti­ve des Sports ab. Der box­sport­li­chen Basis wür­de ohne die­se Per­spek­ti­ve ein wich­ti­ger Moti­va­ti­ons­fak­tor ver­lo­ren gehen.


Das Schrei­ben des IOC in deut­scher Übersetzung

Wir doku­men­tie­ren das eng­lisch­spra­chi­ge Schrei­ben des IOC vom 10. Mai 2022 an die IBA und die natio­na­len Mit­glieds­ver­bän­de in einer deut­schen Übersetzung:

Lau­sanne, 10. Mai 2022

Sehr geehr­ter Herr Kremlev,

vie­len Dank für Ihr Schrei­ben vom 2. Mai 2022, in dem Sie uns zusätz­li­che Infor­ma­tio­nen zu den Qua­li­fi­zie­rungs­sys­te­men für die Olym­pi­schen Spie­le Paris 2024 über­mit­teln, die wir am 12. April 2022 ange­for­dert hatten.

Zunächst müs­sen wir erneut dar­auf hin­wei­sen, dass die Aner­ken­nung des Inter­na­tio­na­len Box­ver­ban­des durch das IOC wei­ter­hin aus­ge­setzt ist. Eben­so hat die IOC-Exe­ku­ti­ve trotz der von der IBA erhal­te­nen Infor­ma­tio­nen, Ihrer öffent­li­chen Erklä­run­gen und der Infor­ma­tio­nen, die Sie der Box­ge­mein­schaft zur Ver­fü­gung gestellt haben, immer wie­der bekräf­tigt, dass in jedem der Schlüs­sel­be­rei­che Gover­nan­ce, Kampf­rich­ter­we­sen und Beur­tei­lung der finan­zi­el­len Nach­hal­tig­keit der IBA erheb­li­che Beden­ken bestehen.

Was das Qua­li­fi­zie­rungs­sys­tem für Paris 2024 betrifft, so haben alle inter­na­tio­na­len Ver­bän­de inzwi­schen ihre jewei­li­gen Qua­li­fi­zie­rungs­sys­te­me ein­ge­rich­tet. Dies ist für die Pla­nung und Vor­be­rei­tung der Ath­le­ten von ent­schei­den­der Bedeu­tung, da die Spie­le nur noch etwas mehr als zwei Jah­re ent­fernt sind und die Ath­le­ten und natio­na­len Ver­bän­de zu die­sem Zeit­punkt über alle not­wen­di­gen Infor­ma­tio­nen ver­fü­gen müs­sen, um ihren Qua­li­fi­ka­ti­ons­weg zu planen.

Lei­der gibt Ihre Ant­wort kei­ne kla­ren Ant­wor­ten auf die Fra­gen, die wir in Bezug auf Ihr Olym­pia-Qua­li­fi­ka­ti­ons-Ran­king-Sys­tem gestellt haben, son­dern kon­zen­triert sich viel­mehr auf poten­zi­el­le zukünf­ti­ge IBA-Ent­schei­dun­gen und ande­re Ele­men­te, die noch nicht bestä­tigt wur­den und von Ihren natio­na­len Ver­bän­den und Ihren Ath­le­ten ein­deu­tig benö­tigt werden.

Ihr Schrei­ben erweckt den Ein­druck, dass noch viel Zeit zur Ver­fü­gung steht, um die aus­ste­hen­den Ent­schei­dun­gen zu tref­fen. Zum jet­zi­gen Zeit­punkt soll­ten jedoch die in unse­rem Schrei­ben vom 12. April genann­ten Infor­ma­tio­nen für Ihre natio­na­len Ver­bän­de und Ihre Boxer bereits klar und bestä­tigt sein. Ohne die­se Anga­ben ist es für sie schwie­rig, die Pla­nung der Finan­zen, der Zeit­plä­ne, der Logis­tik und vor allem der Trai­nings­zy­klen abzuschließen.

Daher möch­te das IOC noch ein­mal sei­ne Beden­ken bezüg­lich der not­wen­di­gen Details des Qua­li­fi­zie­rungs­sys­tems für Paris 2024 zum Aus­druck brin­gen. Dar­über hin­aus möch­ten wir unse­re beson­de­re Besorg­nis über die mög­li­che Aus­wahl von Ver­an­stal­tun­gen zum Aus­druck brin­gen, die mög­li­cher­wei­se kei­ne fai­re Qua­li­fi­ka­ti­ons­kri­te­ri­en bie­ten und zu einer mög­li­chen Dis­kri­mi­nie­rung füh­ren. Daher bit­ten wir Sie drin­gend dar­um sicher­zu­stel­len, dass alle Boxe­rin­nen und Boxer die glei­chen Chan­cen haben, sich zu qua­li­fi­zie­ren, unab­hän­gig von geo­gra­fi­schen und/oder finan­zi­el­len Faktoren.

Nach einer Über­prü­fung Ihrer Infor­ma­tio­nen und der Beob­ach­tung der jüngs­ten IBA-Ver­an­stal­tun­gen haben wir immer noch Beden­ken hin­sicht­lich der Fähig­keit der IBA, ein kom­ple­xes Sys­tem des Manage­ments der Tech­ni­schen Offi­zi­el­len und ins­be­son­de­re der Schieds­rich­ter und Kampf­rich­ter ein­zu­rich­ten. Die­se Beden­ken bezie­hen sich ins­be­son­de­re auf die Erfor­der­nis, das Sys­tem in einer trans­pa­ren­ten und glaub­wür­di­gen Art und Wei­se bei einer grö­ße­ren Anzahl von Ver­an­stal­tun­gen, die für die olym­pi­schen Rang­lis­ten­punk­te zäh­len, an meh­re­ren Ver­an­stal­tungs­or­te und bei mög­li­chen, gleich­zei­ti­gen Ver­an­stal­tungs­ter­mi­ne einzuführen.

Daher wie­der­ho­len wir hier­mit unse­re Bit­te, die voll­stän­di­gen Ein­zel­hei­ten Ihres neu­en Rang­lis­ten­sys­tems Sys­tems ein­schließ­lich des Kalen­ders zu erhal­ten. Die­se Details sind für das IOC von ent­schei­den­der Bedeu­tung, um die Umset­zung des Box-Qua­li­fi­ka­ti­ons­sys­tems zu beur­tei­len, und sie sind von Bedeu­tung für Ihre Boxer und Athleten.

Was die der­zeit in Istan­bul statt­fin­den­den IBA-Frau­en­welt­meis­ter­schaf­ten betrifft, war­ten wir immer noch auf Ihre aktua­li­sier­ten Doku­men­te zu den Pro­zes­sen der Kampf­rich­ter und Wer­tungs­rich­ter, die über den Aus­wahl­pro­zess hin­aus­ge­hen. Wir wür­den auch ger­ne wis­sen, ob die IBA kei­ne Ände­run­gen an ihren Regeln vor­ge­nom­men hat oder nicht. Dies ist eine wich­ti­ge Infor­ma­ti­on für Ihre Ath­le­ten, aber auch für die unab­hän­gi­gen Prü­fer, die das Gesche­hen in Istan­bul über­wa­chen werden. 

Wir dan­ken Ihnen im Vor­aus für die­se aus­ste­hen­den Infor­ma­tio­nen und bestä­ti­gen erneut, dass die Aner­ken­nung der IBA durch das IOC wegen der Beden­ken in den Schlüs­sel­be­rei­chen der Gover­nan­ce, der finan­zi­el­len Nach­hal­tig­keit und der erwie­se­nen Inte­gri­tät der Kampf­rich­ter und Kampf­rich­ter­we­sen aus­ge­setzt bleibt und Boxen der­zeit nicht im Sport­pro­gramm der Sport­pro­gramm der Olym­pi­schen Spie­le Los Ange­les 2028 ent­hal­ten ist.

Mit freund­li­chen Grüßen,

Pâquer­et­te Girard Zappelli
(IOC Chief Ethics and Com­pli­ance Office)

Kit McCon­nell
IOC Sports Director

Der Brief im Original:

Die Spon­so­ren der Box­ab­tei­lung des FC St. Pauli: