Umar Kreml­ev in Istan­bul als Prä­si­dent der IBA wiedergewählt

Zur Wahl reichte am Ende ein bloßer Applaus

Anläss­lich der aktu­ell lau­fen­den Box­welt­meis­ter­schaf­ten der Frau­en in Istan­bul hat der Welt­ver­band des olym­pi­schen Boxens IBA (frü­her AIBA) sei­nen außer­or­dent­li­chen Welt­kon­gress durchgeführt. 

Dafür wur­de das sport­li­che Pro­gramm des Tur­niers am Frei­tag, den 13. und am Sams­tag, den 14. Mai jeweils auf die Abend­ver­an­stal­tung redu­ziert, wäh­rend an den Vor­mit­ta­gen der bei­den Tage die Funk­tio­nä­rin­nen und Funk­tio­nä­re des Ver­ban­des zusammentrafen.

IBA-Kom­mis­si­on erklärt Gegen­kan­di­da­ten für nicht wählbar

Der wich­tigs­te Tages­ord­nungs­punkt war die Wahl des neu­en IBA-Prä­si­den­ten. Hier kam es zu einer über­ra­schen­den Ent­wick­lung: Auf Ver­an­las­sung zwei­er natio­na­ler Ver­bän­de beschäf­tig­te sich eine Kom­mis­si­on der IBA (die »Inte­rim Nomi­na­ti­on Unit« der »Boxing Inde­pen­dent Inte­gri­ty Unit« [BIIU]) unmit­tel­bar vor der Wahl mit den Kan­di­da­tu­ren von fünf Personen:

  • Boris van der Vorst (Nie­der­lan­de, kan­di­dier­te für das Amt des Präsidenten)
  • Micha­el McA­tee (USA, kan­di­dier­te für das »Board of Directors«)
  • Ste­ve Hart­ley (Neu­see­land, kan­di­dier­te für das »Board of Directors«)
  • Per-Axel Sjöholm (Schwe­den, kan­di­dier­te für das »Board of Directors«)
  • Lars Bro­vil (Däne­mark, kan­di­dier­te für das »Board of Directors«)

Die genann­ten Per­so­nen hat­ten sich im Vor­feld des Wekt­kon­gres­ses zu einer »Com­mon Cau­se Alli­ance« zusam­men­ge­schlos­sen und u.a. offe­ne Brie­fe an die IBA versandt. 

Die­se Akti­vi­tä­ten, so der der Vor­wurf, wür­den gegen die Bestim­mun­gen der IBA ver­sto­ßen und sei­en somit unzu­läs­sig. Zum einen stell­ten sie eine Betei­li­gung an einer ande­ren inter­na­tio­na­len Box­or­ga­ni­sa­ti­on dar, zum ande­ren sei­en sie eine ver­bo­te­ne Zusam­men­ar­beit zwi­schen Kan­di­da­ten. Dar­über hin­aus sei es unter­sagt, außer­halb der Wahl­pe­ri­ode (»elec­to­ral peri­od«) Wahl­kampf zu betreiben.

Wider­sprüch­li­che Ent­schei­dun­gen von zwei IBA-Kommissionen

Die Vor­wür­fe wur­den jedoch nicht nur von der »Inte­rim Nomi­na­ti­on Unit« der »Boxing Inde­pen­dent Inte­gri­ty Unit« (BIIU) geprüft, son­dern waren kurz zuvor bereits Gegen­stand einer Unter­su­chung und Ent­schei­dung des »Disci­pli­na­ry Com­mit­tee« der IBA gewesen. 

Wäh­rend das »Disci­pli­na­ry Com­mit­tee« alle fünf Beschul­dig­ten von den Vor­wür­fen frei­sprach, ent­schied die »Inte­rim Nomi­na­ti­on Unit« der »Boxing Inde­pen­dent Inte­gri­ty Unit« (BIIU) gegen­tei­lig, bestä­tig­te die Vor­wür­fe und erklär­te die fünf Kan­di­da­ten für nicht wählbar. 

Auf dem Kon­gress auf die­sen Wider­spruch ange­spro­chen, erklär­te ein Ver­tre­ter der »Boxing Inde­pen­dent Inte­gri­ty Unit«, dass bei­de Insti­tu­tio­nen unab­hän­gig von ein­an­der und nach eige­nen Maß­stä­ben ent­schei­den würden.

Der nie­der­län­di­sche Kan­di­dat Boris van der Vorst ent­schied, die Ent­schei­dung in einem Eil­ver­fah­ren beim »Inter­na­tio­na­len Sport­ge­richts­hof« (CAS) in Lau­sanne anzu­fech­ten. Um einer mög­li­chen Ent­schei­dung in Lau­sanne nicht vor­zu­grei­fen, wur­de die Wahl dar­auf­hin von Frei­tag (13.05.) auf Sams­tag (14.05.) verschoben. 

Inter­na­tio­na­ler Sport­ge­richts­hof CAS ver­wei­ger­te Eilverfahren

Doch der »Inter­na­tio­na­le Sport­ge­richts­hof« (CAS) moch­te über die­se Sache nicht im Eil­ver­fah­ren befin­den. Die Wahl wur­de schließ­lich am Sams­tag (14.05.) durch­ge­führt – ohne die fünf »unwähl­ba­ren« Kan­di­da­ten. Die Wahl zum neu­en IBA-Prä­si­den­ten fand somit also ohne einen Gegen­kan­di­da­ten statt. 

Der aus­ge­boo­te­te Nie­der­län­der Boris van der Vorst kün­dig­te in einer Stel­lung­nah­me jedoch an, zeit­nah beim »Inter­na­tio­na­len Sport­ge­richts­hof« (CAS) in Lau­sanne wei­ter­hin gegen die Ent­schei­dung der »Inte­rim Nomi­na­ti­on Unit« der »Boxing Inde­pen­dent Inte­gri­ty Unit« (BIIU) vor­ge­hen zu wollen.

Debat­te um gehei­me Wahl oder Akklamation

Eine klei­ne Debat­te ent­stand um das Wahl­ver­fah­ren (im Live­strea­ming des zwei­ten Kon­gress­ta­ges ab Minu­te 44:15 zu ver­fol­gen, s. Video unten). Die Sta­tu­ten der IBA sehen anschei­nend vor, dass, wenn es nur einen Kan­di­da­ten gibt, per Akkla­ma­ti­on gewählt wer­den muss. Zum Abschluss sei­ner Wahl­re­de schlug Kreml­ev jedoch vor, in einer gehei­men Abstim­mung zu wählen. 

Der Ver­samm­lungs­lei­ter frag­te dar­auf­hin in den Saal, ob gegen eine gehei­me Wahl Ein­wän­de erho­ben wür­den. In einer Wort­mel­dung mel­de­te Micha­el McA­tee (US-Boxing) indes­sen Zwei­fel an, dass eine Abstim­mung per Akkla­ma­ti­on über­haupt mög­lich sei, wur­de aber durch einen Juris­ten des Ver­ban­des auf Arti­kel 28 Absatz 4 der Sat­zung ver­wie­sen.1 Auf die erneu­te Fra­ge nach Ein­wän­den gegen eine gehei­me Wahl mel­de­te sich schließ­lich der Dele­gier­te Nige­ri­as und bestand dar­auf, dass man die Bestim­mun­gen der Sat­zung ein­hal­te und per Akkla­ma­ti­on wähle. 

Mit blo­ßem Applaus und ohne Gegen­kan­di­da­ten wiedergewählt

Dar­auf­hin wur­de die Wahl auf dem Wege einer (sehr frei aus­ge­leg­ten) Akkla­ma­ti­on durch­ge­führt: Es reich­te allein der Applaus des Audi­to­ri­ums, um Umar Kreml­ev für die kom­men­den vier Jah­re zum neu­en, alten Prä­si­den­ten der IBA zu machen.

Kur­ze Zeit nach der Wahl des Prä­si­den­ten wur­den die 10 neu­en, unab­hä­gi­gen Mit­glie­der des ver­klei­ner­ten, nun 18-köp­fi­gen »Board of Direc­tors« gewählt. Hier wähl­ten die Dele­gier­ten des Kon­gres­ses wie folgt:

  • Ame­ri­can Boxing Con­fe­de­ra­ti­on (AMBC):
    Eli­se Seig­nol­le (USA, 106 Stimmen)
  • Afri­can Boxing Con­fe­de­ra­ti­on (AFBC):
    Pearl Dla­mi­ni (Eswa­ti­ni, 88 Stimmen)
    Bel­haj Abdel­jaouad (Marok­ko, 82 Stimmen)
  • Ocea­nic Boxing Con­fe­de­ra­ti­on (OCBC):
    Kris­ty Har­ris (Aus­tra­li­en, 84 Stimmen)
  • Euro­pean Boxing Con­fe­de­ra­ti­on (EUBC):
    Zsuz­san­na Toth (Ungarn, 71 Stimmen)
    Mar­ta Forcen Cela­ya (Spa­ni­en, 63 Stimmen)
    Volo­dym­yr Pro­dy­vus (Ukrai­ne, 76 Stimmen)
  • Asi­an Boxing Con­fe­de­ra­ti­on (ASBC):
    Yous­uf Al-Kazim (Qatar, 71 Stimmen)
    Jin­quiang Zhou (Chi­na, 69 Stimmen)
    Dian Gomez (Sri Lan­ka, 69 Stimmen)

Die Auf­zeich­nung des zwei­ten Tages des IBA-Kon­gres­ses (14.05.2022)

Kom­men­tar von Ralf Elfering

Aus der Traum

Der umstrit­te­ne rus­si­sche IBA-Prä­si­dent Umar Kreml­ev wur­de für vier Jah­re im Amt bestä­tigt. Die Dele­gier­ten des außer­or­dent­li­chen IBA-Kon­gres­ses in Istan­bul schlu­gen mit ihrem Votum die War­nun­gen des Inter­na­tio­na­len Olym­pi­schen Komi­tees (IOC) in den Wind. Als sol­che wird man das Schrei­ben des IOC, das noch kurz vor dem Kon­gress an alle Mit­glieds­ver­bän­de der IBA ver­sandt wur­de, jeden­falls ver­ste­hen dürfen.

An der Spit­ze des Welt­ver­ban­des steht nun ein Mann, dem vor­ge­wor­fen wird, das olym­pi­sche Boxen in völ­li­ge Abhän­gig­keit des rus­si­schen Staa­tes gebracht zu haben. Und die­se Wie­der­wahl durch die Dele­gier­ten des Kon­gres­ses erfolg­te aus­ge­rech­net in einer Zeit, in der die Welt – auch die Sport­welt – wegen des Krie­ges, den Russ­land gegen die Ukrai­ne begon­nen hat, auf Distanz zum rus­si­schen Staat geht.

Die Umstän­de der Wahl warf Fra­gen auf. Fra­gen, mit denen sich wahr­schein­lich nun auch der Inter­na­tio­na­le Sport­ge­richts­hof (CAS) in Lau­sanne befas­sen wird. Er wird zu klä­ren haben, ob es rech­tens war, die fünf oben genann­ten Per­so­nen für unwähl­bar zu erklä­ren – dar­un­ter den ein­zi­gen Gegen­kan­di­da­ten zum Amt des Prä­si­den­ten –, obwohl eine ande­re Kom­mis­si­on der IBA kein Ver­ge­hen fest­stel­len konn­te. Inso­fern ist noch nicht klar, ob die Ent­schei­dun­gen Bestand haben werden.

Die Wahl selbst wur­de, man muss es so sagen, zur Far­ce. Es muss­te der Ein­druck auf­kom­men, dass eine gehei­me Wahl (wie­wohl von Kreml­ev vor­ge­schla­gen) im Grun­de gar nicht vor­ge­se­hen war. Eine gehei­me Wahl (auch wenn es am Ende nur einen Kan­di­da­ten gab) wäre frei­lich für die Dele­gier­ten die ein­zig ver­blie­be­ne Mög­lich­keit gewe­sen, ohne Furcht vor mög­li­chen Sank­tio­nen eine abwei­chen­de Mei­nung zum Aus­druck zu bringen.

Am Ende reich­te also ein dif­fu­ser Applaus einer unbe­kann­ten Anzahl von Dele­gier­ten, um den Prä­si­den­ten wie­der­zu­wäh­len. Auch hier, moch­te man den­ken, zeig­te sich viel­leicht rus­si­scher Regie­rungs­stil. Das IOC wird die Vor­gän­ge rund um den Kon­gress sicher­lich genau beob­ach­tet haben. Frag­lich, ob das, was zu beob­ach­ten war, die Vor­stel­lun­gen des IOC von Good Gover­nan­ce und Demo­kra­tie erfüllen.

Die olym­pi­sche Zukunft des Box­sports hat sich mit den Ent­schei­dun­gen in Istan­bul ein gro­ßes Stück ver­dun­kelt. Im Moment dürf­te es jeden­falls kaum vor­stell­bar sein, dass die IBA in den Kreis der olym­pi­schen Fami­lie zurück­keh­ren wird. Daher ist nun gut vor­stell­bar, dass der Box­sport schon bei den Som­mer­spie­len in Paris 2024 kei­ne Rol­le mehr spie­len wird, denn das IOC wird nicht ein zwei­tes Mal das olym­pi­sche Box­tur­nier selbst ausrichten. 

Die Leid­tra­gen­den sind die Sport­le­rin­nen und Sport­ler, denen die olym­pi­sche Per­spek­ti­ve nun wahr­schein­lich genom­men wird. Dabei ist noch nicht ein­mal ent­schei­dend, dass nur eine ver­schwin­dend klei­ner Teil der Akti­ven jemals das Ticket zur Teil­nah­me an den Olym­pi­schen Spie­len lösen kön­nen wird. Zu den olym­pi­schen Kern­sport­ar­ten zu zäh­len, das hat den­noch bis in die letz­te Sport­hal­le durch­ge­wirkt, in der olym­pi­sches Boxen unter­rich­tet und aus­ge­übt wird. Damit könn­te es nun bald vor­bei sein.

Es gibt nun eigent­lich nur noch zwei letz­te Hoff­nun­gen: Zum einen, dass der Inter­na­tio­na­le Sport­ge­richts­hof CAS die fata­len Ent­schei­dun­gen die­ses Wochen­en­des ein­kas­sie­ren könn­te und die Wahl des­we­gen wie­der­holt wer­den muss. Zum ande­ren, dass im Fal­le einer end­gül­ti­gen Sus­pen­die­rung der IBA durch das IOC ein neu­er Ver­band ent­steht, der sich – klug bera­ten – von Beginn an um die Aner­ken­nung des IOC bemüht. Die­ser Ver­band dürf­te aber kein alter Wein in neu­en Schläu­chen sein. Es müss­te ein wirk­li­cher Neu­an­fang sein mit unbe­las­te­ten Per­so­nen und moder­nen Struk­tu­ren, die weit­ge­hend immun sind gegen Korruption.


1  Der Ver­fas­ser die­ses Arti­kels konn­te bei dem Stu­di­um der IBA-Doku­men­te bis­lang nicht nach­voll­zie­hen, dass eine Akkla­ma­ti­on zuläs­sig bzw. vor­ge­schrie­ben gewe­sen wäre, räumt aber ger­ne ein, das ent­spre­chen­de, aktu­ell gül­ti­ge Doku­ment im Down­load­be­reich der IBA viel­leicht nur nicht gefun­den zu haben.

Die Spon­so­ren der Box­ab­tei­lung des FC St. Pauli: