Gedan­ken zur Zukunft des olym­pi­schen Boxens im olym­pi­schen Jahr

Schwierige Gemengelage aus Politik, Sport und Geschichte

Das zu Ende gehen­de Jahr 2023 sah auf der inter­na­tio­na­len Ebe­ne des olym­pi­schen Boxens ein­schnei­den­de Ver­än­de­run­gen: Am 22.06.2023 beschloss die Voll­ver­samm­lung des Inter­na­tio­na­len Olym­pi­schen Komi­tees (IOC) den end­gül­ti­gen Aus­schluss der IBA (frü­her AIBA). 

Seit­dem ist in unse­rer box­sport­li­chen Welt nichts mehr, wie es vor­her war. Auf olym­pi­scher Ebe­ne ist das Boxen nun durch kei­nen Ver­band mehr ver­tre­ten. Das Box­tur­nier in Paris 2024 wird (nach 2021 in Tokyo) zum zwei­ten Mal hin­ter­ein­an­der vom IOC selbst ausgerichtet.

Das soll Anlass sein, zum Jah­res­wech­sel den Blick auf die orga­ni­sa­to­ri­schen Rah­men­be­din­gun­gen unse­res Sports zu len­ken und über den Sta­tus Quo und die mit­tel­fris­ti­ge Zukunft des olym­pi­schen Boxens zu spekulieren.

Sus­pen­die­rung als Ende eines lan­gen Streites

Auf die Grün­de der Sus­pen­die­rung und die lan­ge Geschich­te des Zer­würf­nis­ses zwi­schen der IBA und dem IOC soll an die­ser Stel­le nur ver­gleichs­wei­se kurz ein­ge­gan­gen wer­den (eigent­lich wür­de die Ange­le­gen­heit jedoch ein eige­nes Buch fül­len können). 

Das IOC hat­te den Welt­ver­band des olym­pi­schen Boxens AIBA (heu­te IBA) bereits 2019 vor­läu­fig sus­pen­diert wegen 

  • mani­pu­lier­ter Kampf­rich­ter­leis­tun­gen 2016 in Rio, 
  • sei­ner Über­schul­dung und
  • Ver­stö­ßen gegen Grund­sät­ze der Good Governance.

Die gefor­der­ten Refor­men blie­ben aus Sicht des IOC aus oder waren nur unzu­rei­chend. Mit der Wahl des Rus­sen Umar Kreml­ev zum neu­en Prä­si­den­ten der AIBA (heu­te IBA) im Dezem­ber 2020 ver­schlech­ter­te sich das Ver­hält­nis des inzwi­schen in IBA umbe­nann­ten Ver­ban­des zum IOC abermals.

Kreml­ev gilt als enger Ver­trau­ter des rus­si­schen Prä­si­den­ten Putin. Für die Finan­zie­rung des Ver­ban­des steht ihm seit sei­ner Wahl das Geld des rus­si­schen Staats­kon­zerns Gaz­prom zur Ver­fü­gung, der im Gegen­zug als »Gene­ral­part­ner« der IBA auftritt.

Seit­dem kann der einst hoch ver­schul­de­te Ver­band auf gro­ßem Fuß leben und sich (sowie sei­nen Prä­si­den­ten) auf­wen­dig in Sze­ne set­zen. Im olym­pi­schen Boxen hielt ein bis dahin unbe­kann­ter Gla­mour Ein­zug, der bei man­chen nicht ohne Ein­druck blieb. Der neue Glanz ver­stell­te vie­len in der Box­welt aller­dings den Blick auf eine durch­aus kri­ti­sche Entwicklung.

Den neu­en Reich­tum sah das IOC näm­lich weni­ger als eine gesun­de und nach­hal­ti­ge Ent­schul­dung und neue Pro­fes­sio­na­li­tät – er ließ statt statt­des­sen in Lau­sanne die Sor­ge um die poli­ti­sche Unab­hän­gig­keit des Ver­ban­des auf­kom­men. Aus Sicht des IOC ging es mit Kreml­ev vom Regen in die Trau­fe – wenn nicht noch schlimmer.

Das Video unten von der auf­wen­dig insze­nier­ten Eröff­nungs­fei­er der WM 2021 in Bel­grad zeigt: Die IBA lässt die Pup­pen tan­zen. Der neue Gla­mour und Glit­ter wirk­te auf vie­le in der olym­pi­schen Box­welt wie Bal­sam und Opi­um zugleich: Er tut der olym­pi­schen Boxer­see­le gut, die sich (ver­ständ­li­cher­wei­se) immer unter Wert dar­ge­stellt sieht. Und er lässt bis jetzt vie­le noch glau­ben, dass sol­che Insze­nie­run­gen des Reich­tums für eine siche­re Zukunft des Box­sports stehen.

IBA wur­de Werk­zeug rus­si­scher Politik

Die Befürch­tung, dass die von Kreml­ev geführ­te IBA unter den Ein­fluss des rus­si­schen Staa­tes gera­ten sein kön­ne, bestä­tig­te sich in den Augen des IOC nach dem Beginn des rus­si­schen Angriffs­krie­ges auf die Ukrai­ne: Als ers­ter (damals noch) olym­pi­scher Welt­ver­band scher­te die IBA aus der Linie des IOC aus und ließ rus­si­sche sowie weiß­rus­si­sche Sport­le­rin­nen und Sport­ler sowie Offi­zi­el­le ohne jede Ein­schrän­kun­gen wie­der zu ihren Tur­nie­ren zu. 

Dazu kam ein zuletzt zuneh­mend aggres­si­ver und pöbeln­der Ton­fall in der Kom­mu­ni­ka­ti­on mit dem IOC sowie eine pro­vo­zie­ren­de Des­in­for­ma­ti­ons­stra­te­gie. So stif­te­te die IBA bei­spiels­wei­se Ver­wir­rung, indem sie einen eige­nen Qua­li­fi­ka­ti­ons­weg zu den Olym­pi­schen Spie­len in Paris ver­öf­fent­lich­te – dabei wohl wis­send, dass sie mit den Spie­len und den vor­ge­schal­te­ten Qua­li­fi­ka­ti­ons­tur­nie­ren rein gar nichts zu tun haben würde.

All dies (sowie über­dies unzu­läs­si­ge Aus­boo­tun­gen und Kalt­stel­lun­gen von Gegen­kan­di­da­ten bei IBA-Kon­gres­sen) mün­de­te dann – am Ende wenig über­ra­schend – schluss­end­lich in die im Juni 2023 mit gro­ßer Mehr­heit beschlos­se­ne end­gül­ti­ge Sus­pen­die­rung des unlieb­sa­men Boxverbandes. 

Die IBA wehrt sich aktu­ell beim Inter­na­tio­na­len Sport­ge­richts­hof CAS gegen die end­gül­ti­ge Sus­pen­die­rung. Eine Ent­schei­dung wird 2024 erwar­tet. Aller­dings wer­den dem Ver­band dabei kei­ne gro­ßen Erfolgs­aus­sich­ten ein­ge­räumt. Soll­te der CAS die Ent­schei­dung des IOC erwar­tungs­ge­mäß bestä­ti­gen, will die IBA in die­ser Sache anschlie­ßend noch vor ordent­li­chen schwei­ze­ri­schen Gerich­ten prozessieren.

Grün­dung von World Boxing

Der ste­tig eska­lie­ren­de Kon­flikt zwi­schen der IBA und dem IOC hat­te bei einer Rei­he von Natio­nal­ver­bän­den (schon vor der end­gül­ti­gen Sus­pen­die­rung) zu der Ein­schät­zung geführt, dass es mit dem alten Ver­band kei­ne olym­pi­sche Zukunft des Box­sports mehr geben werde. 

Aus die­sen Erwä­gun­gen her­aus grün­de­te eine Hand­voll von Per­so­nen und Ver­bän­den im April 2023 den neu­en Welt­ver­band »World Boxing«. Das Ziel des neu­en Ver­ban­des ist es, die Aner­ken­nung durch das IOC zu erlan­gen und damit die Zukunft des Boxens als olym­pi­sche Sport­art zu sichern. Im Novem­ber wur­de mit einem Grün­dungs­kon­gress in Frank­furt am Main aus dem pro­vi­so­ri­schen Ver­band eine regu­lä­re Kör­per­schaft mit einer Sat­zung und gewähl­ten Amtsträgern. 

Dem neu­en Ver­band gehö­ren aktu­ell 27 natio­na­le Box­ver­bän­de als Mit­glie­der an. Zwar sind alle Kon­ti­nen­te ver­tre­ten, aber es ist nicht zu leug­nen, dass bis­lang noch eher west­lich ori­en­tier­te Natio­nen aus Euro­pa und Ame­ri­ka den Schwer­punkt bil­den – eine unmit­tel­ba­re Fol­ge der poli­ti­schen Ein­fluss­nah­me Russ­lands auf die IBA.

Abb. oben: Im Novem­ber 2023 wur­de auf dem ers­ten ordent­li­chen Kon­gress von World Boxing in Frank­furt am Main aus dem pro­vi­so­ri­schen Ver­band eine ech­te Kör­per­schaft mit gewähl­ten Ämtern. Boris van der Vorst wur­de als Prä­si­den­ten an die Spit­ze des Ver­ban­des gewählt.

Die IBA schließt eine dop­pel­te Mit­glied­schaft kate­go­risch aus. Mit­glieds­ver­bän­de, die bei der Grün­dung des neu­en Welt­ver­ban­des beson­ders enga­giert waren, sind inzwi­schen aus­ge­schlos­sen wor­den. So unlängst unter ande­rem auch der Deut­sche Box­sport-Ver­band (DBV). Ande­re, wie z.B. die USA und Bra­si­li­en, waren zuvor schon selbst aus­ge­tre­ten. Für 2024 ist zu erwar­ten, dass die IBA wei­te­re Mit­glie­der aus­schlie­ßen wird, die in den letz­ten Mona­ten und Wochen World Boxing bei­getre­ten sind. Ent­spre­chen­de Ver­fah­ren wur­den jeden­falls angekündigt.

Stör­feu­er der IBA

Was sind nun die wahr­schein­li­chen Ent­wick­lun­gen der Zukunft? Nach dem Aus­schluss der IBA durch das IOC stell­te sich für einen kur­zen Moment die Fra­ge, ob Russ­land wei­ter­hin einen Ver­band groß­zü­gig mit Geld aus­stat­ten wür­de, der gezwun­gen wur­de, von der wich­ti­gen inter­na­tio­na­len Büh­ne des olym­pi­schen Sports abzutreten. 

Die­se Fra­ge ist (zumin­dest für den Moment) mit einem kla­ren »Ja« zu beant­wor­ten. Die rus­si­schen Petroru­bel des Staats­kon­zerns Gaz­prom flie­ßen erst ein­mal wei­ter und hal­ten die IBA über Was­ser. Das Bling-Bling im neu­rei­chen Olig­ar­chen-Stil fin­det einst­wei­len also sei­ne Fortsetzung.

Abb oben: Der »Gene­ral­part­ner« Gaz­prom (mehr­heit­lich im Besitz des rus­si­schen Staa­tes) finan­ziert immer noch maß­geb­lich die IBA. Das Geld ermög­licht dem Ver­band z.B. hohe Preis­gel­der für Medaillengewinner*innen bei Welt- und Kon­ti­nen­tal­meis­ter­schaf­ten auszuloben.

War­um aber inves­tiert Russ­land immer noch in die IBA, wo die­ser Ver­band doch mit den Olym­pi­schen Spie­len nichts mehr zu tun hat? Der Grund mag dar­in lie­gen, dass ein finan­zi­ell poten­ter Ver­band immer noch als Instru­ment der Obstruk­ti­on und Destruk­ti­on die­nen und inso­fern wei­ter­hin Ein­fluss auf die Sport­po­li­tik neh­men kann.

Ohne jede olym­pi­sche Per­spek­ti­ve wen­det sich die IBA zwar anschei­nend immer mehr dem Spek­ta­kel zu, wie man es vom »pro­fes­sio­nel­len« Kampf­sport kennt und eta­bliert (etwa mit den »Cham­pion’s Nights«) ent­spre­chen­de Wett­kampf­for­ma­te. Das Video unten zeigt, in wel­che Rich­tung sich die IBA künf­tig ent­wi­ckeln könn­te: Der »UFC-Star« Conor McGre­gor darf sich bei der »IBA Cham­pion’s Night« in Dubai Mit­te Dezem­ber in Sze­ne set­zen. Tra­di­tio­na­lis­ten des olym­pi­schen Boxens wird es da die Fin­ger­nä­gel aufrollen.

Auf der ande­ren Sei­te betreibt die IBA das olym­pi­sche Boxen einst­wei­len wei­ter und kann nach wie vor durch auf­wen­dig insze­nier­te und mit Preis­gel­dern aus­ge­stat­te­ten Tur­nie­ren sowie einem gefüll­ten Wett­kampf­ka­len­der vie­le natio­na­le Box­ver­bän­de exklu­siv an sich bin­den. Im Ver­gleich dazu bie­tet World Boxing im Moment noch wenig Wettkampfmöglichkeiten. 

Für die IBA ist die aktu­el­le Lage durch­aus noch kom­for­ta­bel, denn Ver­bän­de, die ihr wegen der Wett­kampf­po­tio­nen und Preis­gel­der der­zeit noch treu blei­ben, müs­sen für ihren Ver­bleib im Ver­band im Moment kei­ne Nach­tei­le in Kauf neh­men. Obschon sie dem unge­lieb­ten Ver­band ange­hö­ren, behal­ten sie vor­erst die olym­pi­sche Per­spek­ti­ve. Denn solan­ge das IOC in Erman­ge­lung eines aner­kann­ten Welt­ver­ban­des das olym­pi­sche Box­tur­nier und die Qua­li­fi­ka­ti­ons­wett­be­wer­be selbst aus­rich­tet, muss es sich für alle Boxer*innen glei­cher­ma­ßen offen hal­ten – egal ob sie nun der IBA oder World Boxing ange­schlos­sen sind.

Für die Fort­ent­wick­lung von World Boxing stel­len die aktu­el­len Umstän­de eine gewis­se Behin­de­rung dar, da die Situa­ti­on den Natio­nal­ver­bän­den kurz­fris­tig kei­ne Ent­schei­dun­gen abver­langt. Und genau das dürf­te von der IBA auch beab­sich­tigt sein. Wer jetzt zu World Boxing wech­selt, stellt zwar einen gewis­sen Mut unter Beweis und darf sich Vor­rei­ter nen­nen, nimmt aber erst ein­mal auch eine Rei­he prak­ti­scher Nach­tei­le in Kauf.

Zu einer mög­li­chen Stra­te­gie des Stö­rens passt, dass die IBA mit schein­ba­rer Groß­zü­gig­keit sol­che Boxer*innen auf indi­vi­du­el­ler Basis zur Teil­nah­me an ihren Wett­be­wer­ben ein­lädt, die eigent­lich Ver­bän­den ange­hö­ren, die auf Distanz zur IBA gegan­gen sind oder gar aus­ge­schlos­sen wur­den. Das ist natür­lich geeig­net, in den Ver­bän­den Kon­flik­te zu schü­ren. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Frag­lich, ob die IBA noch einen Deut auf das olym­pi­sche Boxen set­zen wür­de, wenn man damit kei­ne Zwie­tracht mehr säen könnte.

Abb. oben: Solan­ge das IOC noch kei­nen neu­en Box­ver­band aner­kannt hat und selbst das Box­tur­nier aus­rich­tet, muss es prin­zi­pi­ell allen Boxe­rin­nen und Boxern Zugang zu den Olym­pi­schen Spie­len ermög­li­chen. Für die bestehen­den Mit­glie­der der IBA besteht aktu­ell daher kein all­zu gro­ßer Lei­dens­druck, der sie zu Ände­run­gen nöti­gen würde.

World Boxing: Wei­te­re Natio­nen überzeugen

Für World Boxing wird es nun im Kern um zwei Din­ge gehen müssen:

Zum einen muss der neue Welt­ver­band wei­te­re Mit­glie­der gewin­nen, vor allem aus Afri­ka und Asi­en. Denn das IOC wird belast­ba­re Zei­chen dafür sehen wol­len, dass der neue Ver­band den Box­sport wirk­lich glo­bal reprä­sen­tiert, also über geo­gra­fi­sche, kul­tu­rel­le und poli­ti­sche Iden­ti­tä­ten und Struk­tu­ren hinweg. 

Vor allem auf dem afri­ka­ni­schen Kon­ti­nent dürft es dem neu­en Ver­band aber nicht leicht fal­len, wei­te­re Natio­nal­ver­bän­de von sich zu über­zeu­gen – auch wenn es hier zuletzt ein­mal einen über­ra­schen­den Dis­sens zwi­schen der IBA und einer Rei­he von afri­ka­ni­schen Natio­nal­ver­bän­den gab. Umar Kreml­ev hat in Afri­ka in den zurück­lie­gen­den Jah­ren mit einer Mischung aus inten­si­ver Rei­se­di­plo­ma­tie und »För­de­run­gen« (oder den Ver­spre­chun­gen von För­de­run­gen) jedoch star­ke Loya­li­tä­ten schaf­fen kön­nen, die im Kern wohl noch fortbestehen. 

Dazu kommt: Als Fol­ge der rus­si­schen Ein­fluss­nah­me auf die IBA haben sich sich aktu­ell vor allem Län­der des glo­ba­len Nor­dens von der IBA distan­ziert und bil­den im neu­en Welt­ver­band bis­lang noch einen Schwer­punkt. In den Län­dern des glo­ba­len Südens wer­den die­se west­li­chen Län­der aber immer auch noch als ehe­ma­li­ge Kolo­ni­sa­to­ren oder impe­ria­lis­ti­sche Mäch­te betrach­tet. Nach Jahr­hun­der­ten der Aus­beu­tung kei­ne ganz unver­ständ­li­che Sicht­wei­se. Ein (jeden­falls bis­lang noch) von ihnen domi­nier­ter Ver­band ist da erst ein­mal nicht unbe­dingt die natür­li­che, ers­te Wahl. 

Eine rus­sisch domi­nier­te IBA mag hin­ge­gen für Natio­nal­ver­bän­de des glo­ba­len Südens im Ver­gleich attrak­ti­ver erschei­nen: Russ­land weckt hier Erin­ne­run­gen an eine Sowjet­uni­on, die in den Zei­ten des Kal­ten Krie­ges vie­le ehe­ma­li­ge Kolo­nien auf dem Weg zur Selbst­stän­dig­keit unter­stütz­te. Das ist an vie­len Orten in Erin­ne­rung geblie­ben – und die IBA knüpft dar­an ganz bewusst an.

Abb. oben: Ein­satz sowje­ti­scher Mili­tär­be­ra­ter Ende der 1970er Jah­re im Unab­hän­gig­keits­krieg Nami­bi­as. In das Bild ein­mon­tiert eine sowje­ti­sche Brief­mar­ke von 1961 mit dem Slo­gan »Frei­heit für die Natio­nen Afri­kas«. Der Blick in die Geschich­te zeigt: In vie­len Län­dern des glo­ba­len Südens hat Russ­land als Nach­fol­ge­staat der frü­he­ren Sowjet­uni­on einen bes­se­ren Ruf als die USA oder euro­päi­sche Staa­ten. Das mag zu einem Teil die Popu­la­ri­tät der rus­sisch domi­nier­ten IBA in Afri­ka und Asi­en erklä­ren hel­fen. (Bil­der: Wikipedia)

Dass das post­so­wje­ti­sche Russ­land der Gegen­wart (zumal unter Putin) sich jedoch immer mehr zu einem auto­ri­tä­ren, tur­bo­ka­pi­ta­lis­ti­schen Sys­tem mit hege­mo­nia­len oder gar impe­ria­lis­ti­schen Zügen ent­wi­ckelt hat, wird lei­der über­se­hen, aus­ge­blen­det oder hin­ge­nom­men. Alli­an­zen bil­den sich eben oft auch nach dem Mot­to, dass der Feind mei­nes Fein­des mein Freund sein muss.

Vor dem Hin­ter­grund die­ser his­to­ri­schen und poli­ti­schen Aspek­te waren die Bei­trit­te Bra­si­li­ens und Nige­ri­as wich­ti­ge Mei­len­stei­ne für World Boxing. Wür­den nun noch Natio­nen wie Kuba und Indi­en und zwei oder drei Län­der aus dem ehe­ma­li­gen sowje­ti­schen Ein­fluss­be­reich fol­gen (wie etwa Polen, Usbe­ki­stan oder die Ukrai­ne), so könn­te dies viel­leicht den Beginn eines Erd­rut­sches markieren.

Word Boxing: Wett­kamp­f­op­tio­nen bieten

Zum ande­ren wird es für Word Boxing dar­um gehen müs­sen, in abseh­ba­rer Zeit einen Wett­kampf­ka­len­der mit hin­rei­chen­den Höhe­punk­ten zu eta­blie­ren. Die für 2024 geplan­te WM der U19 könn­te hier ein wich­ti­ger Punkt sein. 

Aller­dings: Man wird bei allen Wett­be­wer­ben erst ein­mal natur­ge­mäß klei­ne­re Bröt­chen backen müs­sen als die IBA. Weni­ger Teil­neh­mer, weni­ger Glit­ter – und ziem­lich sicher auch kei­ne Preis­gel­der. Doch die Kon­zen­tra­ti­on auf das Sport­li­che könn­te auch den sicht­ba­ren Unter­schied ver­deut­li­chen. Ein »Back to the Roots« ver­bun­den mit einer Aus­rich­tung auf eine olym­pi­sche Per­spek­ti­ve könn­te den his­to­ri­schen Neu­an­fang mit eini­ger Dyna­mik versehen.

Die inzwi­schen aus­ge­tre­te­nen oder jüngst aus­ge­schlos­se­nen Natio­nal­ver­bän­de (und wei­te­re Aus­schlüs­se dro­hen) kön­nen bei Ver­an­stal­tun­gen der IBA mit ihren Sportler*innen nicht mehr antre­ten. Ob sie noch bei Ver­an­stal­tun­gen ihrer Kon­ti­nen­tal­ver­bän­de teil­neh­men kön­nen, muss abge­war­tet wer­den. Zwei­fel erschei­nen aber begrün­det, denn so hat z.B. der euro­päi­sche Kon­ti­nen­tal­ver­band EUBC bereits die von der IBA ver­häng­ten Sus­pen­die­run­gen über­nom­men. Das lässt erwar­ten, dass sie auch den Aus­schluss über­neh­men werden.

Schon kurz­fris­tig soll­te World Boxing daher sei­nen ange­schlos­se­nen Ver­bän­den einen Sport­be­trieb ermög­li­chen, der auf der Ziel­ge­ra­den der Olym­pi­schen Som­mer­spie­le eine aus­rei­chen­de Vor­be­rei­tung auf Paris 2024 ermög­licht. Das kön­nen die betrof­fe­nen Län­der im Prin­zip zwar auch unter sich orga­ni­sie­ren, aber der neue Welt­ver­band wäre gut bera­ten, hier im Rah­men sei­ner Mög­lich­kei­ten Prä­senz zu zei­gen und Unter­stüt­zung zu leis­ten, denn schließ­lich ist die Orga­ni­sa­ti­on und För­de­rung des sport­li­chen Ver­kehrs sei­ner Mit­glie­der eine der zen­tra­len Auf­ga­ben eines Sportverbandes.

IOC soll­te wei­te­re Signa­le geben

Soll­te der Inter­na­tio­na­le Sport­ge­richts­hof CAS 2024 gegen die IBA ent­schei­den, dürf­te das eini­gen Natio­nal­ver­bän­den, die jetzt noch der IBA ange­hö­ren, zu den­ken geben. 

Das Blatt dürf­te sich aber vor allem dann deut­lich wen­den, wenn das IOC irgend­wann kla­re­re Signa­le in Rich­tung der glo­ba­len Box-Com­mu­ni­ty sen­den wür­de. Dabei gab es bereits recht kla­re Aus­sa­gen, die aber lei­der anschei­nend den­noch nicht über­all in der Welt ent­spre­chend ver­stan­den wur­den. Im Grun­de muss man eigent­lich nur die drei Kern­aus­sa­gen des IOC-Prä­si­den­ten Tho­mas Bach kombinieren:

  1. Mit der IBA wird es defi­ni­tiv kein olym­pi­sches Boxen mehr geben.
  2. Das IOC möch­te das Box­tur­nier 2028 nicht zum drit­ten Mal selbst durch­füh­ren, son­dern in die Hän­de eines neu­en Ver­ban­des legen.
  3. Word Boxing benö­tigt mehr Mit­glie­der, um als Gesprächs­part­ner für das IOC infra­ge zu kommen.

Im Klar­text: Der neue Ver­band braucht mehr Mas­se. Hier beißt sich aktu­ell aller­dings die Kat­ze in den Schwanz: Ohne deut­li­che­re Signa­le ver­har­ren vie­le Natio­nal­ver­bän­de offen­bar noch in ihrer Kom­fort­zo­ne und glau­ben anschei­nend, dass sie lang­fris­tig vom gut gedeck­ten Tisch der IBA pro­fi­tie­ren kön­nen und ihr Sport dabei zugleich olym­pisch blei­ben wird. Unge­fähr so waren jeden­falls die meis­ten Aus­sa­gen auf dem Kon­gress des asia­ti­schen Kon­ti­nen­tal­ver­ban­des zu interpretieren.

Das könn­te jedoch eine fata­le Fehl­ein­schät­zung sein. Zwar hat­te sich ein IOC-Funk­tio­när ein­mal so geäu­ßert, dass Boxen auch 2028 in Los Ange­les im Pro­gramm blei­ben sol­le, aber die­se eher bei­läu­fi­ge Äuße­rung als Bestands­ga­ran­tie für den olym­pi­schen Sta­tus des Box­sports über 2024 hin­aus zu deu­ten, scheint gewagt – und nährt bei eher weni­ger weit­sich­ti­gen Natio­nal­ver­bän­den letzt­end­lich die Hoff­nung, dass man im Grun­de nichts bewe­gen müs­se, weil es ewig so wei­ter­ge­hen wer­de wie jetzt.

Abb. oben: Wird sich das IOC zu deut­li­che­ren Signa­len bezüg­lich einer mög­li­chen Per­spek­ti­ve für World Boxing durch­rin­gen kön­nen? Dies könn­te im Inter­es­se des Sports sein.

Wenn sich das IOC schon nicht zu deut­li­che­ren Wor­ten durch­rin­gen kann, so wür­den es viel­leicht auch Ges­ten tun, die eine Signal­wir­kung ent­fal­ten. Das IOC könn­te etwa Ver­tre­ter von World Boxing öffent­lich als offi­zi­el­le Beob­ach­ter des Box­tur­niers in Paris 2024 ein­la­den. Das wäre unab­hän­gig von jeder Auf­nah­me von Gesprä­chen und erst recht vor jeder Aner­ken­nung als Ver­band mög­lich. Gleich­wohl wür­de damit klar erkenn­bar wer­den, auf wel­ches Pferd das IOC setzt, ohne dass dabei gesagt wer­den müss­te, dass die­ses Pferd die Ziel­li­nie schon pas­siert habe.

Ein solch deut­li­ches Signal dürf­te letzt­lich auch im Inter­es­se des IOC lie­gen, wenn es damit dem neu­en Ver­band zu der Mas­se ver­hilft, die aus Sicht des IOC die Vor­aus­set­zung für die Auf­nah­me von Gesprä­chen bil­det. Es bräch­te die Ent­wick­lung dem Ziel näher, dass Boxen 2028 in Los Ange­les im Pro­gramm blei­ben kann, aber nicht mehr durch das IOC selbst ver­ant­wor­tet wird.

Die Spon­so­ren der Box­ab­tei­lung des FC St. Pauli: