Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine haben die Boxverbände der USA, der Niederlande, Neuseelands, Dänemarks, Schwedens, Finnlands, Nowegens, Islands, der Schweiz, Frankreichs, Maltas und Englands am 28. Februar einen gemeinsamen Brief an den Präsidenten des Weltverbandes des olympischen Boxens IBA, den Russen Umar Kremlev, und die Führung des Verbandes verfasst. Das Schreiben ging damit sechs Tage vor einem brisanten Termin beim Verband ein: Die IBA will nämlich am 4. März über die Geschehnisse in der Ukraine und mögliche Konsequenzen für den Weltverband beraten.
Die IBA ist eng mit Russland verflochten
Der Besprechungsbedarf innerhalb der IBA (vormals AIBA) ist gut nachvollziehbar, denn der Verband ist personell und ökonomisch so weitreichend mit Russland verbandelt wie wohl kaum ein anderer Sportverband: Im Dezember 2020 wählte der Weltkongress den Russen Umar Kremlev zum neuen Präsidenten der IBA (damals noch AIBA, Link öffnet neues Fenster), dem beste Verbindungen in den Kreml nachgesagt werden. Wenige Monate nach seinem Amtsantritt (April 2021) präsentierte Kremlev dann das russische Staatsunternehmen Gazprom als alleinigen Sponsor (Link öffnet neues Fenster) des finanziell schwer angeschlagenen Verbandes, der ohne das russische Geld wohl kaum eine Woche überlebensfähig wäre.
Der neue Reichtum der IBA
Mit dem Gazprom-Geld konnten nicht nur die drückenden Schulden der IBA auf einen Schlag getilgt werden. Der Verband lebt und agiert seitdem auf großem Fuß (Link öffnet neues Fenster), geradeso als wolle er allen zeigen, dass er im »Konzert der Großen« nun endlich mithalten könne. Auf wichtigen Turnieren werden inzwischen – im olympischen Boxen in dieser Form ein Novum – üppige Preisgelder ausgelobt (Link öffnet neues Fenster, bei der WM der Männer 2021 in Belgrad wurden an die Medaillengewinner 2,6 Millionen Dollar ausbezahlt). Großzügig wurden an Verbände und Sportler*innen Geschenke ausgeteilt oder in Aussicht gestellt. Nicht wenige fanden Gefallen an dem neuen Stil – vielleicht auch, weil sie hofften, davon profitieren zu können. Andere empfanden es (hinter vorgehaltener Hand) als neureichen Prunk, fühlten sich unangenehm an Oligarchen erinnert und zeigten sich eher pikiert.
IOC zeigte sich besorgt
Obschon das Internationale Olympische Komitee (IOC), das die IBA / AIBA 2019 nach jahrelangen Konflikten vorläufig aus der Familie der olympischen Sportverbände ausschloss, die Überschuldung der IBA / AIBA stets kritisiert hatte, zeigten sich die Herren der Ringe in Lausanne vom neuen Reichtum des Verbandes eher besorgt als beruhigt. Das IOC kritisierte im Dezember 2021 in einer Stellungnahme die Abhängigkeit der IBA von Russland (Link öffnet neues Fenster).
Die Forderungen der Verbände haben es in sich
Die zwölf Boxverbände richten eine Reihe von Forderungen an die IBA und deren Führungsetage, die es in sich haben. So soll die russisch geführte und dominierte IBA die vom IOC empfohlenen Sanktionen gegen russische und belarussische Sportler*innen und Funktionäre umsetzen, d.h. weitestgehend aus dem Boxsport ausschließen. Der Verband soll sich außerdem von Gazprom als Sponsor trennen und offenlegen, wer innerhalb der IBA bei der für Mittwoch erwarteten Positionierung des Verbandes wie abstimme.
Kremlev im der Zwickmühle
Umar Kremlev und mit ihm die IBA, die sich dem Diktat Russlands unterstellt hat, stecken in einer kaum auflösbaren Zwickmühle. Die Forderungen beschreiben im Grunde nur, was in weiten Teilen der Welt und beim IOC im Umgang mit dem kriegführen Russland erwartet und aktuell umgesetzt wird.
Nimmt Kremlev die IBA hier aus, dürfte das olympische Boxen wahrscheinlich schon bei den Olympischen Spielen in Paris 2024 keine Rolle mehr spielen. Folgt er den Forderungen und Erwartungen, dürfte er wahrscheinlich die Gunst Russlands und damit den Geldgeber verlieren. Damit wäre seine Strahlkraft erloschen, die doch zu weiten Teilen auf gut gefüllten Kassen beruhte.
Das Schreiben der 12 Verbände
Wir dokumentieren das englischsprachige Schreiben der 12 Verbände in einer deutschen Übersetzung:
Sehr geehrter Präsident Umar Kremlev,
sehr geehrte Mitglieder des IBA-Vorstands,
im Geiste der Transparenz möchten wir uns offen an Sie wenden und unsere anderen nationalen Verbände ermutigen, ihre Meinung zu der höchst besorgniserregenden und zutiefst traurigen Angelegenheit des Einmarsches der russischen Regierung in die Ukraine mit Unterstützung der belarussischen Regierung am 24. Februar 2022 zu äußern.
Diese Ereignisse haben die Welt schockiert und haben bereits unermessliches unnötiges Leid verursacht. Die ukrainischen Boxer, darunter die Klitschko-Brüder, Usyk und Lomachenko, haben ihre Haltung deutlich gemacht – sie sind bereit, ihr Land zu verteidigen, und hoffen, dass dieser Krieg so schnell wie möglich beendet wird. Unsere Gedanken und Gebete sind bei der ganzen Ukraine, diesem Land mit dieser reichen Boxtradition.
Wir möchten dem Deutschen Boxsport-Verband für die Unterstützung der ukrainischen Boxer danken, die ihre Teilnahme am Strandja Memorial Turnier in Bulgarien beendet haben, aber nicht in die Ukraine zurückkehren können. Sie reisen nun nach Deutschland, wo sie für die nächsten Wochen eine Unterkunft und Trainingsmöglichkeiten erhalten. Das ist bewundernswert!
Am 25. Februar 2022 brachte das Internationale Olympische und Paralympische Komitee (IOC-IPC) seine Solidarität mit der ukrainischen Sportgemeinschaft zum Ausdruck und verurteilte das Vorgehen der russischen und der weißrussischen Regierung auf das Schärfste, da sie mit ihrem Einmarsch in das souveräne Land Ukraine den Olympischen Frieden verletzt haben. Dies ist ein klarer Akt der Aggression, der gegen Artikel 2.4 der Charta der Vereinten Nationen (UN) verstößt, der die »Anwendung von Gewalt gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates verbietet…«
Wir haben die erste Empfehlung des IOC an alle Sportorganisationen zur Kenntnis genommen, die besagt, dass
»…alle internationalen Sportverbände, ihre derzeit in Russland oder Belarus geplanten Sportveranstaltungen zu verlegen oder abzusagen. Sie sollten den Bruch des Olympischen Friedens durch die russische und weißrussische Regierung berücksichtigen und der Sicherheit der Athleten absolute Priorität einräumen … und … darauf drängen, dass bei internationalen Sportveranstaltungen keine russische oder weißrussische Nationalflagge gezeigt und keine russische oder weißrussische Hymne gespielt wird …«
Heute hat das IOC die folgende zusätzliche Resolution veröffentlicht:
»Um die Integrität globaler Sportwettbewerbe und die Sicherheit aller Teilnehmer zu schützen, empfiehlt das IOC EB den internationalen Sportverbänden und den Organisatoren von Sportveranstaltungen, russische und weißrussische Athleten und Offizielle nicht zu internationalen Wettbewerben einzuladen oder deren Teilnahme zuzulassen.
Wo dies aus organisatorischen oder rechtlichen Gründen kurzfristig nicht möglich ist, fordert das IOC EB die internationalen Sportverbände und die Organisatoren von Sportveranstaltungen weltweit nachdrücklich auf, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um sicherzustellen, dass kein Sportler oder Sportfunktionär aus Russland oder Weißrussland unter dem Namen Russlands oder Weißrusslands antreten darf. Russische oder belarussische Staatsangehörige, sei es als Einzelpersonen oder Mannschaften, sollten nur als neutrale Athleten oder neutrale Mannschaften zugelassen werden. Es sollten keine nationalen Symbole, Farben, Flaggen oder Hymnen gezeigt werden.«
Am 4. März 2022 wird die IBA eine Vorstandssitzung abhalten, und es wird angenommen, dass die IBA ihre offizielle Position und Reaktion auf den Einmarsch in der Ukraine diskutieren wird.
Als Mitglieder des IBA-Kongresses, der »höchsten Instanz der IBA«, wie von Dr. Haas im anerkannten IBA-Organigramm benannt, fordern wir den Vorstand nachdrücklich auf, den Idealen der »Good Governance« zu folgen und ein Sitzungsprotokoll vorzulegen, das eine namentliche Abstimmung aller Vorstandsmitglieder enthält, wenn die offizielle Erklärung und/oder Position der IBA zur Verletzung des Olympischen Friedens durch die russische und belarussische Regierung veröffentlicht wird.
Als nationale Verbände versuchen wir, die folgenden Mindestmaßnahmen auf der Grundlage der Politik unserer jeweiligen Länder/Sportministerien umzusetzen und fordern alle nationalen Verbände nachdrücklich auf, diese Mindestmaßnahmen ebenfalls umzusetzen. Darüber hinaus fordern wir als IBA-Kongressmitglieder den IBA-Vorstand nachdrücklich auf, die folgenden Mindestmaßnahmen im Namen der IBA zu akzeptieren:
- Öffentliche Verurteilung der Aktionen der russischen und weißrussischen Regierungen im Zusammenhang mit der Invasion in der Ukraine.
- Absage und/oder Verlegung aller internationalen IBA-Boxveranstaltungen in Russland und Weißrussland, einschließlich der Box-Europameisterschaften 2022 in Ulan Ude, Russland.
- Verbot der Teilnahme russischer und belarussischer Boxer und Offizieller an allen internationalen IBA-Wettbewerben, um die Integrität der Boxwettbewerbe und die Sicherheit aller Teilnehmer zu schützen.
- Verbot der russischen oder weißrussischen Nationalflaggen und Hymnen bei internationalen Boxveranstaltungen der IBA, wenn ein Verbot der Teilnahme russischer oder weißrussischer Boxer aus organisatorischen oder rechtlichen Gründen nicht möglich ist.
- Verbot der olympischen Abkürzungen für Russland (RUS) und Weißrussland (BLR) auf Trikots, wenn es aus organisatorischen oder rechtlichen Gründen nicht möglich ist, ein Teilnahmeverbot für russische oder weißrussische Boxer durchzusetzen.
- Nachdrückliche Empfehlung an alle nationalen IBA-Verbände, die gleichen Sanktionen zu beschließen und umzusetzen.
- Sofortige Beendigung der IBA-Partnerschaft mit Gazprom – einem russischen Staatsunternehmen.
- Verpflichtung, sich von Partnerschaften mit russischen oder weißrussischen Staatsunternehmen fernzuhalten.
Wir danken Ihnen für Ihre Zeit und Aufmerksamkeit in dieser kritischen Angelegenheit.
Unser gemeinsames Anliegen ist es, das olympische Boxen im olympischen Programm von Paris 2024 zu halten und seine Wiederaufnahme für Los Angles 2028 sicherzustellen.
Hochachtungsvoll,