Der Rubel rollt: Wird der neue Reich­tum der AIBA das IOC überzeugen?

Nach den olympischen Spielen wird das IOC über die Zukunft der AIBA entscheiden

Im Mai 2019 (Link öff­net neu­es Brow­ser­fens­ter) ver­bann­te das Inter­na­tio­na­le Olym­pi­sche Komi­tee (IOC) den Welt­ver­band des olym­pi­schen Boxens AIBA vor­läu­fig aus der Fami­lie der olym­pi­schen Spit­zen­ver­bän­de und ent­zog ihm mit die­ser Ent­schei­dung das Recht, den Box­sport bei den Olym­pi­schen Spie­len in Tokio zu ver­tre­ten. Drei Grün­de waren für die­sen Schritt ausschlaggebend:

  • Ver­stö­ße gegen die Grund­sät­ze einer ordent­li­chen Ver­bands­füh­rung (Good Governance)
  • Die mas­si­ve Über­schul­dung der AIBA
  • Wie­der­holt frag­wür­di­ge Leis­tun­gen von Kampfrichter*innen, v.a. bei den Olym­pi­schen Spie­len 2016 in Rio de Janeiro

Eine end­gül­ti­ge Ent­schei­dung über die Zukunft der AIBA, so das IOC, sol­le nach den Som­mer­spie­len in Tokio fal­len. Durch die Ver­le­gung der Spie­le von 2020 auf 2021 ver­län­ger­te sich die­se Frist auch für die AIBA.

Als Fol­ge die­ses vor­läu­fi­gen Aus­schlus­ses wur­den die Qua­li­fi­ka­ti­ons­wett­be­wer­be bereits von einer durch das IOC eigens ein­ge­setz­ten »Boxing Task Force« (BTF) durch­ge­führt, die auch das aktu­el­le olym­pi­sche Box­tur­nier selbst aus­rich­tet. Zum Ein­satz kamen und kom­men dabei Kampfrichter*innen der AIBA – aller­dings aus­ge­wählt, geführt und kon­trol­liert von der »Boxing Task Force«.

Drei Prä­si­den­ten in drei Jahren

Seit dem vor­läu­fi­gen Aus­schluss der AIBA durch das IOC im März 2019 ist viel pas­siert. Allein drei Prä­si­den­ten stan­den der AIBA in die­sem über­schau­ba­ren Zeit­raum vor:

Zum Zeit­punkt der Sus­pen­die­rung war der Usbe­ke Gaf­ur Rak­hi­mov im Amt. Rak­hi­mov hat­te die AIBA 2017 nach dem Rück­tritt des lang­jäh­ri­gen Prä­si­den­ten Wu (im Amt von 2006 bis 2017) zunächst nur als Inte­rims­prä­si­dent über­nom­men. Von ver­schie­de­nen Sei­ten wur­den ihm aller­dings Ver­bin­dun­gen zur orga­ni­sier­ten Kri­mi­na­li­tät vor­ge­wor­fen. Als Rak­hi­mov im Novem­ber 2018 trotz aller War­nun­gen durch Wahl zum regu­lä­ren Prä­si­den­ten der AIBA wur­de, ver­schärf­te dies den Kon­flikt mit dem IOC deut­lich. So dau­er­te es nicht lan­ge, bis Rak­hi­mov im März 2019 sei­nen Platz an der Spit­ze des Ver­ban­des schließ­lich räu­men musste.

Ihm folg­te – als ein wei­te­rer Inte­rims­prä­si­dent – der Marok­ka­ner Moha­med Moustah­sa­ne, des­sen pro­vi­so­ri­sche Amts­zeit län­ger währ­te als die Sat­zung der AIBA es eigent­lich zuließ, weil die zwi­schen­zeit­lich über die Welt rol­len­de Coro­na-Pan­de­mie mehr­fach die Ver­schie­bung von Welt­kon­gres­sen der AIBA erfor­der­lich mach­te. Auf die­sen Kon­gres­sen hät­te das Amt eigent­lich wie­der regu­lär durch Wahl besetzt wer­den sol­len. Aber auch ande­re wich­ti­ge, vom IOC gefor­der­te Reform­pro­zes­se hät­ten auf die­sen Zusam­men­künf­ten auf den Weg gebracht wer­den müssen.

Im Dezem­ber 2020 wur­de die Posi­ti­on an der Spit­ze der AIBA auf dem lan­ge ver­scho­be­nen Welt­kon­gress der AIBA dann end­lich wie­der regu­lär durch Wahl besetzt. Der Rus­se Umar Kreml­ev lös­te den Inte­rims­prä­si­den­ten Moustah­sa­ne ab, der sich eben­falls zur Wahl gestellt hat­te. Der Wahl­aus­gang war kei­ne gro­ße Über­ra­schung, denn auf der inter­na­tio­na­len Büh­ne des Boxens war der agi­le Kreml­ev immer mehr ins Ram­pen­licht getre­ten und zuletzt prä­sen­ter gewe­sen als der zu die­sem Zeit­punkt noch amtie­ren­de Moustahsane.

Nun ist seit der Wahl Kreml­evs mehr als ein hal­bes Jahr ver­gan­gen. Der umtrie­bi­ge Prä­si­dent reist seit sei­nem Amts­an­tritt fast ohne Pau­se durch die Welt und hat der AIBA inzwi­schen deut­lich sei­nen Stem­pel aufgedrückt.

AIBA lässt Rio 2016 neu untersuchen

Die vom Inter­na­tio­na­len Olym­pi­schen Komi­tee (IOC) scharf kri­ti­sier­ten Kampf­rich­ter­leis­tun­gen bei den Olym­pi­schen Spie­len 2016 in Rio de Janei­ro (diver­se Kamp­fur­tei­le stan­den unter Mani­pu­la­ti­ons­ver­dacht) lässt die AIBA unter Kreml­evs Füh­rung inzwi­schen neu unter­su­chen (Link öff­net neu­es Brow­ser­fens­ter). Eben­so die Vor­wür­fe im Zusam­men­hang mit der zurück­lie­gen­den Asi­en­meis­ter­schaft in Dubai, bei der aber­mals Kampf­rich­ter­leis­tun­gen in Kri­tik gerieten.

Der Ver­band enga­gier­te für die­se Unter­su­chun­gen mit dem Kana­di­er Richard McCla­ren und dem Deut­schen Ulrich Haas zwei Juris­ten von gutem Ruf und mit Erfah­run­gen im Bereich Sport­kor­rup­ti­on und Sport­recht: Richard McCla­ren war maß­geb­lich an der Auf­de­ckung des rus­si­schen Staats­do­ping betei­ligt und Ulrich Haas ist u.a. Rich­ter am CAS, dem Inter­na­tio­na­len Sport­ge­richts­hof in Lausanne.

Die­se Unter­su­chun­gen – und noch mehr die Wahl der Ermitt­ler – dür­fen als Signal an das Inter­na­tio­na­le Olym­pi­sche Komi­tee (IOC) inter­pre­tiert wer­den, das nach der mas­si­ven Kri­tik an dem Ver­band und der vor­läu­fi­gen Sus­pen­die­rung der AIBA auf über­zeu­gen­de Zei­chen eines Wan­dels war­tet. Hier lie­fert die AIBA nun punkt­ge­nau, denn genau das skan­dal­träch­ti­ge Box­tur­nier im Rah­men der Olym­pi­schen Spie­le in Rio 2016 wur­de vom IOC immer wie­der als einer der Grün­de genannt, die AIBA vor die Tür zu setzen.

Kas­sen und Kon­ten der AIBA schei­nen gut gefüllt

Das aller­dings auf­fäl­ligs­te Zei­chen einer Ver­än­de­rung ist jedoch der neue Reich­tum der AIBA. In der Amts­zeit des Inte­rims­prä­si­den­ten Moustah­sa­ne schie­nen die Kas­sen des Ver­ban­des so leer (Link öff­net neu­es Brow­ser­fens­ter) zu sein, dass Zwei­fel an der Hand­lungs­fä­hig­keit des Ver­ban­des auf­ka­men. Manch einer pro­phe­zei­te schon die Plei­te des Welt­ver­ban­des oder dass einer der Pro­fi­ver­bän­de sich die AIBA ein­ver­lei­ben wür­de. Die­se Zei­ten schei­nen vor­bei und die Kas­sen inzwi­schen wie­der üppig gefüllt zu sein.

So ver­kün­de­te die AIBA etwa im Mai die vor­zei­ti­ge Rück­zah­lung eines Kre­di­tes über 8,1 Mil­lio­nen Euro, der eigent­lich in Raten bis zum Jahr 2028 hät­te getilgt wer­den sol­len. Dabei han­del­te es sich um Alt­las­ten aus der Regent­schaft des lang­jäh­ri­gen Prä­si­den­ten Wu, der mit dem gelie­he­nem Geld unter ande­rem im gro­ßen Maß­stab den »Angriff auf das Pro­fi­bo­xen« finan­zier­te und zu die­sem Zweck unter dem Dach der AIBA die semi­pro­fes­sio­nel­le WSB (»World Series of Boxing«) und einen eige­ne Pro­fi­spar­te APB (»AIBA Pro­fes­sio­nal Boxing«) ein­führ­te. Der Angriff schlug fehl: Sowohl die »World Series of Boxing« als auch das »AIBA Pro­fes­sio­nal Boxing« sind mitt­ler­wei­le Geschich­te, doch die Schul­den las­te­ten seit­dem schwer auf dem Verband.

Geschen­ke für alle

Mit der vor­zei­ti­gen Rück­zah­lung des Kre­di­tes schei­nen die Kas­sen der AIBA aller­dings noch nicht leer zu sein. Die AIBA kün­dig­te an (Link öff­net neu­es Brow­ser­fens­ter), jähr­lich die fünf Kon­ti­nen­tal­ver­bän­de mit jeweils über 400.000 EUR und die natio­na­len Box­ver­bän­de in der Sum­me knapp mit 1,7 Mil­lio­nen EUR pro­jekt­be­zo­gen unter­stüt­zen zu wol­len. Doch das ist nicht alles. Geld ver­teilt die AIBA inzwi­schen auch bei grö­ße­ren Tur­nie­ren an die Medaillengewinner*innen:

  • Bei der Euro­pa­meis­ter­schaft der Alters­klas­se U22 (im Juni 2021 in Ita­li­en) erhiel­ten Erst­plat­zier­te 8.000, Zweit­plat­zier­te 4.000 und Dritt­plat­zier­te 2.000 US-Dollar.
  • Bei der Euro­pa­meis­ter­schaft der Alters­klas­se U17 (im Juli 2021 in Tif­lis) erhiel­ten Erst­plat­zier­te 4.000 US-Dol­lar, Zweit­plat­zier­te 2.000 US-Dol­lar und Dritt­plat­zier­te 1.000 US-Dollar.
  • Bei der Asi­en­meis­ter­schaft der Alter­klas­sen U19 und U17 (August 2021 in Dubai) sol­len die Gold­ge­win­ner 6.000 (U19) bzw. 4.000 (U17), Zweit­plat­zier­te 3.000 (U19) bzw. 2.000 (U17) und Dritt­pla­zier­te 1.500 (U19) bzw. 1.000 (U17) US-Dol­lar erhalten.

In der Sum­me kom­men so je Tur­nier schnell eini­ge Hun­dert­tau­send Dol­lar zusam­men. Nach eige­nen Anga­ben soll der Welt­ver­band bei der zurück­lie­gen­den U22-Euro­pa­meis­ter­schaft immer­hin 322.000 US-Dol­lar an Preis­gel­dern aus­ge­zahlt haben. Im olym­pi­schen Boxen ein Novum.

Die Quel­le des unge­ahn­ten Reich­tums ist schnell aus­ge­macht: Im April prä­sen­tier­te die AIBA den rus­si­schen Staats­kon­zern Gaz­prom als neu­en Part­ner des Ver­ban­des (Link öff­net neu­es Brow­ser­fens­ter). Über Umfang und Details der Part­ner­schaft ver­ein­bar­ten bei­de Par­tei­en Still­schwei­gen. Es braucht aber nicht viel Fan­ta­sie, die plötz­lich üppig gefüll­ten Kon­ten und Kas­sen des Ver­ban­des mit dem Geld des rus­si­schen Staats­kon­zerns in Ver­bin­dung zu bringen.

Wird das IOC die AIBA an den Tisch zurück holen?

Nach dem Ende der Olym­pi­schen Spie­le wird sich das Inter­na­tio­na­le Olym­pi­sche Komi­tee (IOC) wie­der mit der Cau­sa AIBA befas­sen. Ver­mut­lich wird es dann eine end­gül­ti­ge Ent­schei­dung geben. Die span­nen­de Fra­ge ist, ob die sicht­ba­ren Ände­run­gen im Welt­ver­band des olym­pi­schen Boxens das IOC über­zeu­gen werden.

Vor allem die Finan­zie­rung der AIBA könn­te bei den Her­ren der Rin­ge Arg­wohn erwe­cken, denn der Ver­band mit sei­ner neu­en, demons­tra­ti­ven Agi­li­tät hängt erkenn­bar am Tropf des rus­si­schen Staats­kon­zerns Gaz­prom. Die Abhän­gig­keit der AIBA vom rus­si­schen Rubel mag in den Augen des IOC die Sor­ge begrün­den, der Ver­band wer­de womög­lich zum Instru­ment der sport­po­li­ti­schen Inter­es­sen Russlands.

Die Beden­ken könn­ten durch den Umstand bekräf­tigt wer­den, dass die Part­ner­schaft mit Gaz­prom Ende 2022 aus­läuft, also exakt mit der Amts­zeit des rus­si­schen AIBA-Prä­si­den­ten Umar Kreml­ev endet. Die­se Kopp­lung des Enga­ge­ments an eine Per­so­na­lie wirft die Fra­ge auf, ob der spen­da­ble rus­si­sche Staats­kon­zern nun eigent­lich eine Sport­art und einen Ver­band unter­stützt – oder am Ende doch eher nur eine kon­kre­te Person.

Ande­rer­seits: Im Sport sind die Men­schen so eini­ges gewohnt. Da mag eine mög­li­che staat­li­che Ein­fluss­nah­me auf einen Box­ver­band kein Top-The­ma auf der Agen­da des IOC sein und als inter­ne Ange­le­gen­heit der Box­welt betrach­tet wer­den, solan­ge der Ver­band wenigs­tens ein paar Argu­men­te zu sei­ner Reha­bi­li­tie­rung lie­fert. Viel­leicht also gibt sich das IOC zufrie­den mit den neu­en Unter­su­chun­gen von Rio 2016, Modi­fi­ka­tio­nen der Regeln und gleich hohen Preis­gel­dern für Män­ner und Frau­en – zumal sich der Ver­band (unge­ach­tet sei­ner Quel­len) wie­der hand­lungs­fä­hig zeigt.

Kom­men­tar von Ralf Elfering

Man beißt nicht die Hand, die einen füttert

Der neue, offen zele­brier­te Reich­tum der AIBA mag auf den ers­ten Blick beein­dru­cken: Olym­pi­sches Boxen im Jet-Set-Modus. Man­che, die vor­her viel­leicht neid­voll auf das so genann­te Pro­fi­bo­xen geschaut haben, mögen den­ken: End­lich ein wenig von dem Glim­mer und Glit­ter der »Pro­fis«.

Dazu passt, dass man auf Welt­meis­ter­schaf­ten (auch der Jugend) neu­er­dings vor Final­kämp­fen das Wie­gen öffent­lich prä­sen­tiert (Link öff­net neu­es Brow­ser­fens­ter) – inklu­si­ve ange­ord­ne­tem »Stare­down« mit bösen Bli­cken. Dass der fins­te­re Blick nicht allen so recht gelin­gen mag, son­dern dass sich die Kon­tra­hen­ten am Ende mit Hand­schlag und Umar­mung ver­ab­schie­den statt mit Belei­di­gun­gen und Ran­ge­lei­en, ist dabei ein sym­pa­thi­scher Rest des olym­pi­schen Boxens.

Doch das Bling-Bling hat sei­nen Preis – mate­ri­ell wie aber auch im wei­ter­ge­hen­den Sin­ne. Die Welt des olym­pi­schen Boxens wird womög­lich gera­de mit aller Macht und in atem­be­rau­ben­dem Tem­po an Din­ge gewöhnt, auf die vie­le Akteu­re (Sportler*innen eben­so wie Kon­ti­nen­tal- und Natio­nal­ver­bän­de und ihre Funk­tio­nä­re) am Ende viel­leicht nicht mehr ver­zich­ten wollen.

Doch die­se neu­en Mög­lich­kei­ten sind wahr­schein­lich an Per­so­nal­ent­schei­dun­gen gekop­pelt, die in Russ­land gefal­len müs­sen. Ande­ren­falls könn­te schnell Schluss sein mit dem war­men Geld­re­gen, an den alles sich gewöhnt haben. Dies legt jeden­falls die Lauf­zeit der Ver­ein­ba­rung nahe und wäre eine gro­ße Gefahr: Man beißt nicht die Hand, die einen füttert.

Im Sin­ne des Sports (und damit natür­lich auch der Sportler*innen) wäre aber wenig gewon­nen, wenn die AIBA vom Regen in die Trau­fe gerie­te, also wie­der nicht zu jenem mög­lichst selb­stän­di­gen, unab­hän­gi­gen und neu­tra­len Ver­band wür­de, den man sich nun end­lich ein­mal zur seriö­sen Fort­ent­wick­lung des olym­pi­schen Box­sports wün­schen wür­de. Dar­über kön­nen üppig ver­schenk­te Box­hand­schu­he wohl nur kurz­fris­tig hinwegtäuschen.

Die Spon­so­ren der Box­ab­tei­lung des FC St. Pauli: