Kon­ter­re­vo­lu­ti­on: Kuba erlaubt nach 60 Jah­ren nun das Profiboxen

Die Entscheidung markiert einen Paradigmenwechsel

Als eine Fol­ge der kuba­ni­schen Revo­lu­ti­on von 1959 war Pro­fi­bo­xen auf der kari­bi­schen Insel seit 1962 ver­bo­ten. Der kuba­ni­sche Revo­lu­tio­när und spä­te­re Staats­chef Fidel Cas­tro hielt das pro­fes­sio­nel­le Boxen für kor­rupt und unmensch­lich. Sport hat­te in der sozia­lis­ti­schen Gesell­schaft zuvör­derst dem Kol­lek­tiv zu die­nen – und nicht der indi­vi­du­el­len Selbst­dar­stel­lung und dem Gewinn ein­zel­ner Protagonisten.

Olym­pi­sches Boxen als Gegenentwurf

Gleich­sam als Gegen­ent­wurf zum ver­bo­te­nen Pro­fi­bo­xen erreich­te das olym­pi­sche Boxen in Kuba eine unver­gleich­li­che sport­li­che Qua­li­tät. Es ent­wi­ckel­te sich auf der Insel (nach Base­ball) zu einem Natio­nal­sport mit einer brei­ten Basis von Aktiven. 

Box­welt­macht Kuba

Auf die­ser brei­ten Basis auf­bau­end ent­wi­ckel­te sich mit sozia­lis­ti­scher För­de­rung und Dis­zi­plin einer­seits und spaß- und bewe­gunsgbe­ton­tem Boxen ande­rer­seits ein sport­li­ches Erfolgs­mo­dell: Kuba­ni­sche Boxer domi­nier­ten in den letz­ten Jahr­zehn­ten die gro­ßen Wett­be­wer­be des olym­pi­schen Boxens. Im Seil­ge­viert war Kuba zur Welt­macht geworden.

Der Lock­ruf des Goldes

An der sport­li­chen Qua­li­tät des kuba­ni­schen Boxens bedien­te sich stets auch das Pro­fi­bo­xen. Im Umfeld der gro­ßen olym­pi­schen Box­tur­nie­re lock­ten (bild­lich gespro­chen) Pro­mo­ter an den Sei­ten­ein­gän­gen mit gro­ßen Ver­spre­chun­gen. Der Ver­su­chung hiel­ten nicht alle der sol­cher­art umwor­be­nen Sport­ler stand: So man­ches Mal blieb auf dem Rück­weg nach Kuba ein Platz im kuba­ni­schen Team unbesetzt. 

Serie von Pro­fi­kämp­fen noch in 2022

Nun öff­net sich die Box­welt­macht Kuba end­gül­tig dem Pro­fi­bo­xen. Der Prä­si­dent des kuba­ni­schen Ver­ban­des Alber­to Puig erklärt, man habe die Fra­ge drei­ein­halb Jah­re geprüft und nun eine Eini­gung mit dem mexi­ka­ni­schen Box­stall »Gol­den Ring Pro­mo­ti­ons« getrof­fen, der Kuba beim Ein­stieg in das Pro­fi­bo­xen ver­tre­ten solle. 

Geplant ist für 2022 offen­bar eine Serie von min­des­tens vier Pro­fi­box­ver­an­stal­tun­gen mit kuba­ni­scher Betei­li­gung. Der Auf­takt ist bereits für den 22. Mai im mexi­ka­ni­schen Aguas­ca­li­en­tes vorgesehen. 

Ver­band scheint die Fäden zu ziehen

Ganz frei scheint der Weg ins Pro­fi­bo­xen jedoch nicht zu sein. Der kuba­ni­sche Ver­band behält offen­bar die Ent­schei­dun­gen in der Hand. Es heißt, dass sechs Boxer der frü­he­ren WSB-Mann­schaft »Doma­do­res de Cuba«1 für das Pro­fi­box-Debüt vor­ge­se­hen sei­en. Es zir­ku­lie­ren dabei die Namen Julio Cesar La Cruz, Arlen Lopez, Roniel Igle­si­as und Andy Cruz.

Koope­ra­ti­on schon 2021 getestet

Wirk­lich über­ra­schend kommt die Ent­schei­dung des kuba­ni­schen Ver­ban­des frei­lich nicht. Schon am 11. Juni 2021 tes­te­te der kuba­ni­sche Ver­band (Link öff­net neu­es Fens­ter) unter der Auf­sicht der WBA die Zusam­men­ar­beit mit »Gol­den Ring Pro­mo­ti­ons«. Boxer der ehe­ma­li­gen kuba­ni­schen WSB-Mann­schaft tra­ten unter dem Mot­to »Boxing is One« in Mexi­ko gegen Pro­fi­bo­xer in den Ring.

Kom­men­tar von Ralf Elfering

Zei­ten­wen­de

Auch wenn die kuba­ni­schen olym­pi­schen Boxer bereits 2021 unter Pro­fi­be­din­gun­gen in den Ring tra­ten: Die Ent­schei­dung des kuba­ni­schen Box­ver­ban­des mar­kiert eine Zei­ten­wen­de. Die Fra­ge nach dem aktu­el­len Wert und der Zukunft des olym­pi­schen Boxen steht im Raum, wenn selbst die­je­ni­gen nicht mehr auf ihn set­zen, die ihn bis vor kur­zem noch in reins­ter Form ver­tra­ten und dabei über­aus erfolg­reich repräsentierten.

Dabei ist nicht das Pro­blem, dass Box­sport pro­fes­sio­nell betrie­ben wird. Auch im olym­pi­schen Box­sport wird sport­lich betrach­tet natür­lich pro­fes­sio­nell gear­bei­tet – zumin­dest an der inter­na­tio­na­len Leis­tungs­spit­ze. Kuba ist ein bes­tes Bei­spiel dafür. Spit­zen­leis­tun­gen sind in den aller­meis­ten Sport­ar­ten nur noch unter pro­fes­sio­nel­len Bedin­gun­gen mög­lich. Im ein­zel­nen heißt das:

  • Mit Trai­nings- und Wett­kampf­um­fän­gen, die Ama­teur­sport­lern nicht mehr mög­lich sind. In der Fol­ge wer­den die betref­fen­den Sport­ler (auf ver­schie­de­nem Weg) für ihre sport­li­che Arbeit bezahlt.
  • Mit ent­spre­chend qua­li­fi­zier­ten Trai­nern, deren Arbeits­um­fän­ge, Erfah­rung und Exper­ti­se eben­falls eine Bezah­lung erfor­der­lich machen und rechtfertigen.
  • Mit ent­spre­chen­den sport- und trai­nings­wis­sen­schaft­li­chen Metho­den sowie Trai­nings­ein­rich­tun­gen und Trai­nings­mit­teln, die jen­seits der Mög­lich­kei­ten des Ama­teur­spor­tes liegen.

Nicht pro­fes­sio­nell ist aller­dings die struk­tu­rel­le Ent­wick­lung des olym­pi­schen Box­sports. Der Welt­ver­band hat den Box­sport unter der Regent­schaft der ver­schie­de­nen Prä­si­den­ten immer stär­ker ins Abseits manö­vriert. Kor­rup­ti­on, Über­schul­dung, mut­maß­lich kri­mi­nel­le Bio­gra­fien, Ideen- und Taten­lo­sig­keit, Abhän­gig­keit von staat­li­chen Inter­es­sen – eine Ket­te der Kata­stro­phen. Die­ses fort­dau­ern­de Ver­sa­gen limi­tiert auch die Per­spek­ti­ven der sport­li­chen Arbeit.

Ob der Box­sport bei den kom­men­den Olym­pi­schen Spie­len 2024 in Paris bzw. 2028 in Los Ange­les noch mit von der Par­tie ist, darf als unsi­cher, womög­lich sogar als unwahr­schein­lich gel­ten. Wer an den Kern und die Visi­on des olym­pi­schen Boxens glaubt, kann abwech­selnd ver­zwei­feln oder in Rage geraten. 

Eine Öff­nung zum soge­nann­ten Pro­fi­bo­xen kann jedoch kei­ne Per­spek­ti­ve sein, wenn man an sport­li­chen Idea­len irgend fest­hält. Denn das soge­nann­te Pro­fi­bo­xen, wie wir es ken­nen, erfüllt grund­le­gen­de sport­li­che Stan­dards nicht.

Teó­fi­lo Ste­ven­son, drei­fa­cher Olym­pia­sie­ger und drei­fa­cher Welt­meis­ter im olym­pi­schen Boxen, wehr­te Anwer­be­ver­su­che aus dem Pro­fi­bo­xen einst mit den Wor­ten ab: »Was ist eine Mil­li­on Dol­lar gegen acht Mil­lio­nen Kuba­ner, die mich lieben?«

Ange­sichts der Per­spek­tiv­lo­sig­keit des gegen­wär­ti­gen olym­pi­schen Boxens mag man den Kuba­nern aber kaum einen wirk­li­chen Vor­wurf machen. Denn was wäre die Alter­na­ti­ve? Da fällt einem viel­leicht nur ein Tag­traum ein: Die kuba­ni­sche Freun­de erlau­ben end­lich das Frau­en­bo­xen und grün­den im Ein­ver­neh­men mit dem IOC einen neu­en Welt­ver­band. Viel­leicht macht der ver­nünf­ti­ge Rest der Welt ja mit.


1  Die WSB (»World Series of Boxing«) war ein Mann­schafts-Wett­be­werbs­for­mat der AIBA (heu­te IBA), in dem zwi­schen 2010 und 2018 olym­pi­sche Boxer unter ähn­li­chen Bedin­gun­gen wie im Pro­fi-Boxen kämp­fen konn­ten (5 Run­den und ober­kör­per­frei). Sie behiel­ten aber ihr Start­recht bei den Olym­pi­schen Spie­len und konn­ten durch Erfol­ge in der WSB auch Qua­li­fi­ka­ti­ons­punk­te für eine Olym­pia­teil­nah­me sammeln.

Die Spon­so­ren der Box­ab­tei­lung des FC St. Pauli: