Boxen hat bildende Künstler, Literaten und Regisseure schon seit jeher inspiriert. Das Archaische und Existenzielle des Boxsports, in dem der Wettkampf wie in kaum einem anderen Sport noch unmittelbar Kampf ist, lieferte immer schon viele Bilder und Geschichten.
Nicht selten blieben künstlerische Bearbeitungen des Themas aber an der Oberfläche und reproduzierten und verstärkten gängige Klischees: Geschichten vom Durch- und Hochboxen, von einsamen Helden, grandiosen Siegen und vernichtenden Niederlagen.
Klischees haben oft einen »wahren« Teil: Ein Sonnenuntergang am Meer oder ein Berg mit See sind und bleiben schön und berührend, auch wenn die Instagram-Filter sie am Ende töten, weil sie das Konkrete und Individuelle der Erfahrung durch den gleichen Optimierungsalgorithmus und den vorgegebenen Verbreitungsweg und Rezeptionskanal töten.
So sind die Klischees vom Boxen auch nicht alle grundfalsch, aber wer nicht über sie hinauskommt (egal, ob als Künstler, der sich mit dem Sujet beschäftigt, oder als Sportler, der den Sport ausübt), wird seinen Zugang zum Kern der Sache und seinen Erfolg in der Sache wahrscheinlich stark begrenzen.
Umso mehr fallen die Bilder von Mikhail Rogov auf. Seine Serie von 9 Lithographien greift den Boxsport jenseits aller Klischees auf. Es fängt schon damit an, dass er sich nicht mit dem populären Profiboxen befasst, sondern vielmehr das olympisches Boxen darstellt.
Seinen Boxern geht alles falsche Heldenhafte ab, das anderenorts oft so fragwürdig inszeniert und in den Mittelpunkt der Befassungen gestellt wird: Statt schwitzender, muskelbepackter Leiber zeigt der Moskauer Künstler flatternde Hemdchen und schlackernde Ärmchen. Statt des erbitterten Ringens stabiler Titanen um den Sieg setzt er den verwundenen Tanz fragiler, zerrissener Körper um die Punkte in Szene.
Der Kenner weiß: So sieht es überwiegend in den Wettkampfringen und Trainingshallen der Welt aus – und dennoch sind dies unzweifelhaft Räume individueller existenzieller Erfahrungen und Entwicklungen, die gerade durch die Abwesenheit des Klischeehaften erst möglich werden.
Wir haben – nach Funden einiger Lithographien im Internet – mit einigen Mühen mit dem Künstler Mikhail Rogov Kontakt aufnehmen und ihn interviewen können. Das vom Englischen ins Deutsche übertragene Gespräch sowie einige biographische Informationen findet ihr unten.
Wie bist du auf die Idee gekommen, das Boxen in einer Serie von Motiven aufzugreifen?
Damals war es mein drittes Jahr am Kunstinstitut. Da es einen lithografischen Workshop gab, beschloss ich, eine Reihe von Arbeiten mit dieser Technik zu machen.
Erkläre den Lesern bitte, was eine Lithographie ist. Die Bezeichnung werden die meisten Menschen kennen, aber viele werden keine Details wissen.
Lithographie ist eine Drucktechnik, die im 18. Jahrhundert in München entstand. Der Künstler zeichnet mit Lithographiestiften oder Tinte auf einen speziellen flachen Stein. Der Stein wird dann chemisch verarbeitet. Anschließend wird die Farbe mit einer Walze auf einen Stein aufgetragen und ein Blatt Papier darauf gelegt. Der Stein und das Papier werden durch eine Presse geführt, die Druck auf die Oberfläche ausübt und die Farbe auf das Papier überträgt. Lithografie ist die Technik, mit der mich ich am Staatlichen Akademischen Kunstinstitut V. I. Surikov am intensivsten beschäftigt habe.
Künstler haben sich oft mit Boxen beschäftigt. Meist geht es um eine archaische Inszenierung von Kampf, Sieg und Niederlage. Der oberkörperfreie, schwitzende, leidende oder triumphierende männliche Profiboxer bietet normalerweise die Bilderwelt dafür. Deine Bilder sehen anders aus. Sie zeigen olympisches Boxen. Deine Boxer tragen daher Trikots und Kopfschutz, sie sind eher dünn als muskulös, eher zerbrechlicher als robust. Ihr Kampf ist mehr Bewegung und Tanz. Wie kam es zu diesem Blick auf das Boxen?
Es gibt Charlie Chaplins Film »The Champion«. Ich mag die komische Art, wie er ernsthafte Dinge zeigt, obwohl sein Schauspiel eigentlich zum Lachen ist. Boxhelme, sperrige Handschuhe, amüsant baumelnde Boxsäcke, Seile, ein aufgeregter Ringrichter, eine Glocke und ein Ring. Das hat mich inspiriert.
Die Serie umfasst neun Motive. Auffällig ist, dass fünf der neun Motive überhaupt keinen Szenen vom Kampf im Boxring zeigen, sondern Bilder aus der Trainingshalle sind. Von diesen fünf Motiven aus der Trainingshalle zeigen vier nicht einmal einen Sportler. Sie sind eigentlich kubistische Meditationen über Sandsäcke. Was hat dich an diesen Trainingsatmosphären fasziniert?
Neben den Boxern selbst hat mich das Aussehen der Boxhalle inspiriert, in der sie trainiert haben. Dieser Raum schien es wert, dargestellt zu werden. Ein Trainingsplatz ist für jeden Sportler unerlässlich. Jede Trainingshalle hat seine eigene Atmosphäre und Stimmung. Wenn ein Sportler hineinkommt, wird die Trainingshalle Teil eines Spiels: Sie trifft einen Boxer und wartet auf einen Kampf. Und wenn es vorbei ist, sieht das Trainingshalle genauso müde aus wie der Sportler.
Deine Sicht auf den olympischen Boxsport vermeidet alle Klischees, die oft von denen verwendet werden, die ihn konsumieren, statt Teil davon zu sein. Sogar diejenigen, die selbst Teil der Boxwelt sind, greifen oft zu den Klischees. Wie hast du es geschafft, nicht in diese Falle zu gehen? Hast du selbst einmal geboxt? Bist du als Beobachter in diese Welt eingetaucht? Wo hast du die Motive gefunden?
Ich habe als Kind geturnt und vor drei Jahren Boxen mit dem Boxen begonnen. Deshalb habe ich Sport als Inspirationsquelle gewählt. Die ersten Skizzen habe ich in einer Boxhalle angefertigt, in der sowohl Kinder als auch Erwachsene trainierten. Nachdem ich viele realistische Skizzen angefertigt und analysiert hatte, hatte ich den Eindruck, dass sie viel zu gewöhnlich waren und nicht den Geist des Boxens vermittelten, den ich zum Ausdruck bringen wollte. Einmal kam ich dann zu einem Kindertraining, bei dem alle Kinder Trikots mit Hemden trugen. Das Design der olympischen Form ist selbst grafisch. Also wurde mir klar, dass Boxen auf andere Weise gezeigt werden sollte. Ich habe versucht, dieses Thema durch das Prisma des Suprematismus zu betrachten, eine Stilrichtung der Moderne der bildenden Kunst, mit Verwandtschaft zum Futurismus und Konstruktivismus. Daher kam die Idee.
- Geboren 1998 in Moskau
- Aufgewachsen in einer Künstlerfamilie
- Bis 2015 Besuch der Grafikabteilung der Moskauer Kunstschule
- Ab 2015 Studium am Staatlichen Akademischen Kunstinstitut V. I. Surikov in Moskau
- Mikhail Rogov auf Instagram: @r_o_g_o_v_