Der russsisch geführte Weltverband des olympischen Boxens IBA (früher AIBA) lässt in seinen von ihm selbst ausgerichteten Wettbewerben ab sofort Russland und Belarus (Weissrussland) wieder ohne Einschränkungen starten.
Sportler*innen dieser beiden Nationalverbände können also wieder unter der Flagge ihrer Länder antreten. Bei dem Gewinn einer Goldmedaille wird – wie ehedem – die Nationalhymne beider Staaten gespielt werden. Auch russische und belarussische »Offizielle« wie z.B. Kampfrichter*innen dürfen bei IBA-Wettbewerben wieder amtieren.
IBA hielt sich bislang an IOC-Linie
Die IBA hatte sich nach dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine zunächst an die Linie des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) gehalten und Russland wie auch Belarus von seinen Wettbewerben ausgeschlossen. Seine dahingehenden Beschlüsse nahm der Verband nun aber am 5. Oktober zurück.
In einer Erklärung der IBA heißt es: »Die IBA ist der festen Überzeugung, dass die Politik keinen Einfluss auf den Sport haben sollte. Daher sollten alle Athleten die gleichen Bedingungen vorfinden. (…) Darüber hinaus ist die IBA verpflichtet, die Gleichbehandlung der Athleten und der Wettkampffunktionäre zu gewährleisten, unabhängig von ihrer Nationalität und ihrem Wohnsitz.«
Bei der gestern am 4. Oktober beendeten Europameisterschaft der Altersklasse U17 in Italien waren russische und belarussische Sportler*innen jedoch noch außen vor.
Ukraine darf nur als IBA-Team starten
Das bedeutete allerdings nicht, dass ukrainische Sportler*innen bei diesem Wettbewerb ohne Behinderung hätten teilnehmen können. Weil die IBA im Vorfeld des zurückliegenden außerordentlichen Wahlkongresses den ukrainischen Verband wegen vermeintlicher staatlicher Einflussnahme suspendiert hatte, durften bei der U17-EM ukrainische Sportler*innen zunächst nur unter der Flagge der IBA am Turnier teilnehmen. Ein Umstand, der ihnen allerdings erst vor Ort mitgeteilt wurde.
Ein großer Teil der ukrainischen Mannschaft verweigerte einen Start unter solchen Bedingungen, so dass viele Kämpfe unter Beteiligung ukrainischer Sportler*innen über Walkover (Nichtantreten) entschieden wurden. Erst später im laufenden Turnier entschied die IBA, dass die ukrainischen Sportler*innen doch unter ihrer Flagge starten dürfen, jedoch lediglich als »IBA Ukraine Team«.
IOC wieder besorgt über die IBA
Das IOC nahm diese Dinge mit Besorgnis zur Kenntnis: »Die Tatsache, dass die ukrainische Junioren-Boxmannschaft nicht an der Europameisterschaft in Italien teilnehmen darf, wenn sie mit nationalen Erkennungszeichen wie der Nationalflagge, der Hymne und anderen Symbolen der Ukraine antritt, trägt zu den zahlreichen Bedenken bei, die bereits zuvor geäußert wurden.«
Bei der bevorstehenden Jugendweltmeisterschaft in Spanien vom 15. bis zum 26. November wird nach der aktuellen Regelung der IBA wohl gelten, dass Russland und Belarus (Weissrussland) aus Sicht des Weltverbandes vollständig rehabilitiert sind, aber die Ukraine zwar mit Fahne und Hymne, jedoch hingegen nur als »IBA Ukraine Team« starten dürfte.
Jugend-WM im November belastet
Es bleibt abzuwarten, wie das IOC und die internationalen Boxverbände darauf reagieren werden. Die ersten Reaktionen aus Lausanne (s.o.) deuten allerdings darauf hin, dass die jüngsten Entscheidungen der IBA zu Russland, Belorus und der Ukraine den Konflikt zwischen dem IOC und dem Boxverband eher vertiefen werden.
IOC-Präsident Thomas Bach hatte zwar angesichts der nun bald in vielen Sportarten beginnenden Qualifikationswettbewerbe für Paris 2024 zuletzt auch über die nähere Zukunft russischer und weissrussischer Sportler*innen nachgedacht. Doch die Ideen, die er im Interview mit der italienischen Zeitung »Corriere della Serra« skizzierte, gingen in eine ziemlich andere Richtung und lösten in Russland eher Empörung aus: Bach dachte nämlich darüber nach, nur solchen Sportler*innen die Türen zu öffen, die sich vom russischen Angriffskrieg distanzierten.
Boxverbände in Schwierigkeiten
Viele nationale Boxverbände – zumal aus solchen Ländern, die sich im aktuellen Krieg auf die Seite der Ukraine stellten – dürfte die neue Regelung der IBA vor große Probleme stellen. Nähmen sie unter solchen Umständen an der Jugendweltmeisterschaft teil, kämen sie in ihren Ländern wohl in Erklärungsnot. Es dürfte vor staatlichen Stellen und in der Öffentlichkeit kaum zu vermitteln sein, wenn sie sich an einer Weltmeisterschaft beteiligen, in deren Rahmen der ausrichtende und von Russland abhängige Verband Leitlinien des IOC bewusst ignoriert und aushebelt und russische wie auch weissrussische Teams ohne jede Einschränkung zulässt – aber ukrainische Teams nur als »IBA Ukraine Team« starten lässt.
Löst sich die IBA vom olympischen Boxen?
Überhaupt mehren sich nach dem letzten Weltkongress in Jerewan (Armenien) die Zeichen, dass die IBA einen neuen Kurs eingeschlagen haben könnte. Es ließ jedenfalls aufhorchen, dass der russische Verbandspräsident Umar Kremlev nicht mehr vom olympischen Boxen sprach, sondern den Begriff »IBA-Boxing« einführte. Auch andere Äußerungen Kremlevs ließen anklingen, als sähe er den Status des Boxsports als olympische Disziplin womöglich nicht mehr einen der obersten Zwecke und Ziele des Weltverbandes. Offenbar fühlt sich Umar Kremlev nach der mit etwa 75% der Delegiertenstimmen verweigerten Neuwahl so gestärkt, dass er sich in der Pose des starken Mannes gegen das IOC in Stellung bringen will.