Bei den Olympischen Sommerspielen 2024 in Paris wird der Weltverband des olympischen Boxens IBA (vormals AIBA) erneut außen vor bleiben. Das Exekutivkomitee des IOC entschied am 24. Juni, dass die Qualifikationswettkämpfe für die Olympischen Spiele 2024 und das olympische Boxturnier selbst bei den bevorstehenden Sommerspielen »im Interesse der Athleten und der Boxgemeinschaft« nicht unter der Aufsicht des Internationalen Boxverbandes (IBA) ausgetragen werden.
In seiner Erklärung verwies das IOC auf die »anhaltenden und sehr besorgniserregenden« Bedenken bezüglich der guten Verbandsführung (Governance) und des Kamprichterwesens sowie auf die finanzielle Abhängigkeit des Verbandes vom russischen Staatskonzern Gazprom.
Umstrittene Wiederwahl spielte Rolle bei IOC-Entscheidung
In einer längeren Passage geht das IOC auch auf die Umstände der Wiederwahl von Umar Kremlev ein, der im Mai in Istanbul wiedergewählt wurde. Der einzige Mitbewerber, der Niederländer Boris van der Vorst, wurde unmittelbar vor dem Wahlgang von einer IBA-Kommission wegen vermeintlicher Satzungsverstöße von der Wahl ausgeschlossen. Nunmehr ohne Gegenkandidat fand die Wahl per Akklamation statt: Ein diffuser Applaus reichte zur Wiederwahl des russischen Kandidaten.
Wegen seines Ausschlusses von der Wahl rief der Niederländer Boris van der Vorst den Internationalen Sportgerichtshof in Lausanne an, der am 14. Juni entschied, dass Boris van der Vorst zur Wahl hätte antreten dürfen. Die vorgeworfenen Verstöße gegen die Satzung des Verbandes seien nur so geringfügig gewesen, dass sie einen Ausschluss von der Wahl nicht rechtfertigen können. Zudem habe sich der amtierende Präsident gleich verhalten, ohne dafür sanktioniert worden zu sein.
Alternative Modelle sollen ausgearbeitet werden
Es sollen nun in enger Zusammenarbeit mit dem Organisationskomitee für Paris 2024 und den Athletenvertretern »alternative Modelle für die Organisation dieser Boxwettbewerbe« ausgearbeitet werden.
Bei den Olympischen Sommerspielen in Tokyo hatte eine vom IOC eingerichtete und durch den Japaner Watanabe geleitete »Boxing Task Force« die Verantwortung für die Boxwettbewerbe übernommen. Es scheint aber derzeit noch nicht sicher zu sein, ob es nun wieder genauso laufen soll.
Jedenfalls vermeidet das IOC eine entsprechende Festlegung und auch die Aussage, überhaupt selbst eine Zuständigkeit übernehmen zu wollen. Bei genauer Lektüre des Statements sagt das IOC bislang nur, dass die IBA nicht zuständig sein wird.
Kommentar von Ralf Elfering
Die Unbelehrbaren
Mit der Entscheidung des IOC bleibt der Boxsport wenigstens in Paris 2024 noch im Programm der Olympischen Spiele. Das war mehr, als zu erwarten war. Denn eigentlich war nach der höchst umstrittenen Wiederwahl Kremlevs damit zu rechnen gewesen, dass der Boxsport bereits in Paris 2024 keine Rolle mehr spielen würde.
Eine gute Nachricht für den Boxsport in Deutschland: Die Entscheidung des IOC sichert die staatliche Förderung des olympischen Boxens für die kommenden zwei Jahre ab. Mindestens bis Paris 2024 können Stützpunkte und Trainer weiter betrieben und bezahlt werden. Die Athletinnen und Athleten haben eine Perspektive.
Allerdings steht nun (wahrscheinlich im September oder Oktober) die Wiederholung der Wahl an. Es fragt sich, ob die Delegierten ihre Lektion gelernt haben. Wer die Warnschüsse des IOC bislang nicht hörte oder hören wollte, missversteht oder ignoriert vielleicht auch im Herbst alle Zeichen – oder hat sie schon wieder vergessen. Wie konnte es dazu kommen?
Mit all dem glitzernden Blingbling, den neuerdings ausgelobten üppigen Preisgeldern, mit üppigen Geschenken und Versprechungen sowie den neuen, großen Inszenierungen des olympischen Boxsports hat die IBA womöglich eine Sehnsucht weiter Teile der Gemeinschaft adressiert: Endlich jene Aufmerksamkeit zu erhalten, die sie sich wünschen und verdienen.
Eine WM im olympischen Boxen sieht (dank russischen Staatsgeldes) nun endlich ein wenig so aus, wie eine WM im Fußball. Zumindest auf dem IBA-eigenen YouTube-Kanal. Dabei gerät aus dem Blick, dass der Verband in der seriösen Sportwelt (so es die denn überhaupt gibt) immer mehr zum Paria wird. Die Inszenierung von Bedeutung ist eben nur ihre Imitation, wenn sie nicht durch seriöse Arbeit unterlegt ist.
Eine abermalige Wahl des Russen Kremlev bei dem im Herbst zu wiederholenden Wahlgang muss endgültig der Sargnagel der IBA als Weltverband des olympischen Boxens sein. Das IOC verlöre seine Glaubwürdigkeit, gewährte es diesem Verband ohne substantielle Änderungen eine weitere Chance. Bleibt zu hoffen, dass dies eine ausreichende Zahl von nationalen Boxverbänden erkennt und das Ruder herumreißt.
Sollte Kremlev jedoch wiedergewählt werden und das IOC die IBA endgültig ausschließen und den Boxsport in Los Angeles 2028 nicht mehr ins Programm nehmen, so würde dies andererseits vielleicht auch große Freiheiten bedeuten. Das Kind wäre endgültig in den Brunnen gefallen. Ein quälender Zustand der Ungewissheit wäre vorüber. Da mag das Sprichwort zutreffen, dass ein Ende mit Schrecken irgendwann auch einmal einem Schrecken ohne Ende vorzuziehen ist.
Wo nichts mehr zu retten ist, könnte der vernünftige Teil der Boxgemeinschaft vielleicht befreit an einem Neuanfang arbeiten. »Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne«, heißt es in einem Gedicht von Hermann Hesse. Die Energie und der Enthusiasmus eines solchen unverdorbenen Neuanfangs kann viel bewirken – vielleicht ja auch wieder eine olympische Perspektive eröffnen.