Der Boxverband der USA (USA Boxing) hat heute am 26.04.2023 bekannt gegeben, noch an diesem Tag die Mitgliedschaft im aktuellen Weltverband des olympischen Boxens IBA zu kündigen. Dieser Schritt wurde den Mitgliedern in einem mehrseitigen Schreiben (s.u.) mitgeteilt und erklärt.
IBA missachte ihren Auftrag und die olympische Charta
Der US-amerikanische Verband begründet seine Entscheidung damit, dass die IBA ihren Auftrag und die Grundsätze ihrer Satzung nicht erfülle sowie die Olympische Charta nicht respektiere. In 20 nachfolgend aufgelisteten Punkten geht der US-amerikanische Verband dann ins Detail.
Die Liste fasst historische und sportliche Fakten sowie seit langer Zeit bekannte Vorwürfe zusammen und liest sich als Chronik einer Entfremdung und als Geschichte eines Zerwürfnisses. Im Kern geht es um die olympische Zukunft des Boxsports, die der US-amerikanische Verband mit der IBA nicht mehr für möglich hält.
Begründete Sorgen um die olympische Zukunft des Boxens
Die Einschätzung ist in der Tat nicht unbegründet: Die IBA (damals noch AIBA) ist seit 2019 vom IOC suspendiert. Zum zweiten Mal wird das Internationale Olympische Komitee (IOC) in Paris 2024 das olympische Boxturnier nun schon in eigener Verantwortung ausrichten. Im vorläufigen Sportprogramm der Spiele 2028 in Los Angeles ist Boxen schon gar nicht mehr vorgesehen.
Der IBA gelang es in den zurückliegenden Jahren nicht, das zerrüttete Verhältnis zum IOC zu verbessern. Im Gegenteil: Unter der Führung des Russen Umar Kremlev verschlechterten sich die Beziehungen zum IOC noch einmal beträchtlich, so dass selbst notorische Optimisten ohne radikale Änderungen an keine olympische Perspektiven mehr glauben.
USA Boxing setzt nun ganz auf neuen Weltverband
Im gleichen Schreiben kündigt USA Boxing an, Anfang Mai die Mitgliedschaft im neu gegründeten Verband »World Boxing« zu beantragen. Man fühle sich »verpflichtet, unermüdlich mit World Boxing, gleichgesinnten nationalen Verbänden und der weltweiten Gemeinschaft des olympischen Boxens zusammenzuarbeiten, um sich das Privileg zu verdienen, jetzt und in den kommenden Jahren Teil der olympischen Bewegung zu sein.«
Der Bruch ist kaum überraschend
Der Austritt des US-amerikanischen Verbandes kommt freilich nicht unerwartet: Vertreten durch Mike McAtee hatte der Verband schon seit längerer Zeit zu den profiliertesten Widersachern der durch den Russen Umar Kremlev geführten IBA gehört. Er war weder bei der zurückliegenden WM der Frauen in Indien vertreten noch hatte er Athleten zu der bevorstehenden WM der Männer in Usbekistan gemeldet.
Mit dem nun vollzogenen Austritt verlässt ein Gründungsmitglied der IBA (früher AIBA) das Schiff, das zugleich ein sportliches Schwergewicht ist: Historisch betrachtet war kein Land bei den Olympischen Spielen erfolgreicher als die USA. So verweist der US-amerikanische Verband in seinem heutigen Schreiben auf 117 olympische Medaillen, davon allein 51 Goldmedaillen.
Es könnte nun Bewegung in die Sache kommen
Die Entscheidung zum Austritt aus der IBA könnte jetzt einen Erdrutsch in Bewegung bringen, denn über die Entwicklung des olympischen Boxsports zeigten sich eine Reihe weiterer nationaler Boxverbände zuletzt tief besorgt.
In vielen Nationen (und nicht zuletzt auch in Deutschland) hängt die Stellung des Sports sowie seine staatliche Förderung maßgeblich davon ab, ob die Sportart bei den Olympischen Spielen vertreten ist. In den Verbänden dieser Nationen werden jetzt so manche Köpfe rauchen, auf welches Pferd man nun setzen soll.
Noch ist die IBA (obschon seit Jahren suspendiert) vom IOC offiziell als Verband des olympischen Boxens anerkannt. Zwar ist kaum vorstellbar, dass das IOC und die IBA ihren zuletzt immer stärker werdenden Streit noch beilegen könnten, aber die Sportpolitik mag grundsätzlich für manche Überraschungen gut sein.
Der neue Verband: Eine Sache des globalen Nordens?
Auffällig ist, dass die Kritik an der IBA bislang hauptsächlich von den Nationalverbänden des so genannten globalen Nordens getragen wurde. Eine rege Reisediplomatie des IBA-Präsidenten sowie der neue Reichtum der IBA dank des russischen Staatssponsors Gazprom mag anderenorts so manche Loyalitäten gesichert haben.
Eine wichtige Rolle wird aber auch spielen, dass Vertreter aus dem globalen Norden nicht überall in der Welt per se als respektable und vertrauenswürdige Vertreter aufrichtiger Absichten gesehen werden. Sie dürften vielerorts im historischen Erfahrungskontext von Kolonialismus und Imperialismus gesehen werden – oder es ist zumindest leicht, sie in Verfolgung sportpolitischer Interessen so darzustellen. Ein neuer Weltverband wird also viel Überzeugungskraft aufbringen müssen, dass sich die Mitgliedschaften nicht entlang aktueller weltpolitischer Verwerfungslinien ausrichten.
Hier wären deutliche Zeichen des IOC zu einer möglichen Zukunft des Boxsports in der Familie der olympischen Sportarten hilfreich. Das letzte Zusammentreffen des IOC-Exekutivkomitees Ende März ließ diese Gelegenheit aber weitgehend aus. Die IBA stand zwar auf der Tagesordnung, aber viel mehr, als dass man die Lage weiter beobachten und bewerten wolle, war vom Genfer See zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht zu vernehmen.
Der Brief von USA Boxing (Link öffnet neues Fenster):