Aus die Maus: Das IOC setzt den Box­ver­band IBA end­gül­tig vor die Tür

Ausschluss kann »World Boxing« entscheidenden Auftrieb geben

Die Voll­ver­samm­lung des IOC (IOC Ses­si­on) hat heu­te am 22. Juni 2023 den Welt­ver­band des olym­pi­schen Boxens mit gro­ßer Mehr­heit (69 Ja-Stim­men, 1 Nein-Stim­me, 10 Ent­hal­tun­gen) end­gül­tig aus der Fami­lie der olym­pi­schen Sport­ver­bän­de ausgeschlossen. 

Erwar­tungs­ge­mäß folg­te das Ple­num damit der Emp­feh­lung des IOC-Exe­ku­tiv­ko­mi­tees (IOC EB) vom 7. Juni. Boxen bleibt aber den­noch im Pro­gramm der Olym­pi­schen Spie­le 2024 in Paris. Wie schon 2021 in Tokio wird das IOC das Box­tur­nier erneut selbst durchführen.

Der Box­ver­band (frü­her AIBA) war bereits seit 2019 wegen mani­pu­lier­ter Kampf­rich­ter­leis­tun­gen, finan­zi­el­ler Schief­la­gen und Ver­stö­ßen gegen die Grund­sät­ze guter Ver­bands­füh­rung (Good Gover­nan­ce) vom IOC vor­läu­fig suspendiert. 

Box­ver­band lie­fer­te nicht

Unter der Füh­rung ver­schie­de­ner Prä­si­den­ten (dem Usbe­ken Gaf­ur Rak­hi­mov, dem Marok­ka­ner Moha­med Moustah­sa­ne und zuletzt dem Rus­sen Umar Kreml­ev) war es dem Ver­band in den zurück­lie­gen­den Jah­ren nicht gelun­gen, die Beden­ken des IOC auszuräumen. 

Im Gegen­teil: Unter der Füh­rung des seit Dezem­ber 2020 amtie­ren­den Umar Kreml­ev hat­ten sich die Bezie­hun­gen der IBA zum IOC zuletzt in dra­ma­ti­scher Wei­se und Geschwin­dig­keit verschlechtert. 

Kritiker*innen monie­ren, dass der Ver­band fest in die Hän­de des rus­si­schen Staa­tes gera­ten sei. Tat­säch­lich gilt IBA-Prä­si­dent Kreml­ev vie­len als Ver­trau­ter des rus­si­schen Prä­si­den­ten Putin. Finan­zi­ell über­leb­te die IBA nur durch die Petro­dol­lar des rus­si­schen Staats­kon­zerns Gaz­prom, den Kreml­ev kurz nach sei­nem Amts­an­tritt ins Boot geholt hatte.

Das rus­si­sche Geld ermög­lich­te eine auf­wän­di­ge Insze­nie­rung von Welt­meis­ter­schaf­ten und die Aus­lo­bung hoher Preis­gel­der für Medaillengewinner*innen. Nicht weni­ge fan­den am neu­en Reich­tum und am gro­ßen Auf­tritt gefal­len, schien er doch den Box­sport aus sei­ner Nische ins Ram­pen­licht zu bringen.

Doch der neue Reich­tum stärk­te die Zwei­fel an der Unab­hän­gig­keit des Ver­ban­des. Da passt es ins Bild, dass die IBA die Emp­feh­lung des IOC zum Umgang mir Russ­land und Weiß­russ­land recht bald igno­rier­te und die bei­den Län­der schon vor Mona­ten ohne jede Ein­schrän­kung und Auf­la­ge (also mit staat­li­chen Sym­bo­len wie Fah­nen und Hym­nen) wie­der zu Wett­be­wer­ben zuließ.

IBA reagier­te aggres­siv und drohend

Als das IOC-Exe­ku­tiv­ko­mi­tee am 7. Juni bekannt gab, der Voll­ver­samm­lung des IOC die end­gül­ti­ge Aberken­nung der IBA zu emp­feh­len, reagier­te die IBA mit dro­hen­den Wor­ten: Von Ver­gel­tung war die Rede, und dass das IOC die Unab­hän­gig­keit sei­ner Mit­glieds­ver­bän­de abschaf­fen wolle. 

Der Box­ver­band rief den Inter­na­tio­na­len Sport­ge­richts­hof CAS in Lau­sanne an, um den dro­hen­den Aus­schluss zu ver­hin­dern. Doch das Gericht wies den Eil­an­trag ab, so dass der heu­ti­gen Ent­schei­dung der IOC-Voll­ver­samm­lung nichts im Wege stand.

In welch ver­schie­de­nen Wel­ten sich der Box­ver­band und das IOC inzwi­schen bewe­gen, wur­de Mit­te Juni in Bra­si­li­en deut­lich. Dort äußer­te sich Umar Kreml­ev über den frü­he­ren AIBA-Prä­si­den­ten Wu (2006 bis 2017 im Amt): Der gehö­re erschos­sen, weil er den Box­sport rui­niert habe. Mit spür­ba­rem Ent­set­zen und Ekel sah sich das IOC ver­an­lasst, die­se Äuße­run­gen des rus­si­schen Sport­funk­tio­närs zum Gegen­stand einer öffent­li­chen Erklä­rung zu machen: Eine sol­che Spra­che habe im Sport oder in einer nor­ma­len, zivi­li­sier­ten Debat­te kei­nen Platz. Das IOC behal­te sich recht­li­che Schrit­te vor.

Man darf anneh­men, dass der IBA-Prä­si­dent Umar Kreml­ev (Abb. oben) und das IOC in die­sem Leben kei­ne guten Freun­de mehr werden.

Desas­trö­se Bilanz für Umar Kremlev

In nur zwei­ein­halb Jah­ren Amts­zeit hat Umar Kreml­ev das leck geschla­ge­ne, repa­ra­tur­be­dürf­ti­ge Schiff AIBA nicht nur nicht repa­rie­ren kön­nen oder wol­len, son­dern unter dem neu­en Namen IBA auf fata­lem Kurs mit vol­ler Kraft gegen die fel­si­ge Küs­te gesteu­ert, wo es nun end­gül­tig zer­schellt ist. Er hielt sich – damit ganz der Olig­arch, den er öffent­lich insze­niert – für mäch­ti­ger als das IOC, igno­rier­te alle War­nun­gen und fühl­te sich inner­halb der IBA unhin­ter­frag­bar. Am Ende ist es ein gigan­ti­sches Scheitern.

Ein Wun­der, dass er mit sei­nem Kon­fron­ta­ti­ons­kurs nicht gleich­zei­tig auch den olym­pi­schen Box­sport mit in die Tie­fe geris­sen hat. Dass das IOC gleich zwei­mal in Fol­ge eine Sport­art bei den Olym­pi­schen Spie­len selbst aus­rich­tet, ist ein abso­lu­tes Novum – aber immer­hin ein Glücks­fall für den Box­sport. So bleibt Boxen in Paris 2024 erneut olym­pisch – und womög­lich auch 2028 in Los Ange­les. Das dürf­te, wenn es denn stimmt, wohl dem star­ken Wunsch der US-ame­ri­ka­ni­schen Gast­ge­ber zu ver­dan­ken sein, die sich Olym­pi­sche Som­mer­spie­le in den USA ohne Boxen wohl kaum vor­stel­len möchten.

»World Boxing« steht in den Startlöchern

Die zurück­lie­gen­den Ent­wick­lun­gen führ­ten inzwi­schen zu der Grün­dung eines neu­en Welt­ver­ban­des des olym­pi­schen Boxens mit dem Namen »World Boxing«. Er strebt an, den Box­sport in Zukunft unter dem Dach des IOC zu vertreten. 

Feder­füh­rend sind in die­sem neu­en Ver­band bis­lang vor allem ame­ri­ka­ni­sche, neu­see­län­di­sche, schwe­di­sche und nie­der­län­di­sche Funktionär*innen. Bei­trit­te von Natio­nal­ver­bän­den sol­len ab Juni mög­lich sein. Die USA und die Schweiz haben die IBA bereits ver­las­sen und den Bei­tritt zu »World Boxing« angekündigt. 

Kom­men­tar von Ralf Elfering

End­lich der Befreiungsschlag!

End­lich! Das IOC hat kla­re Kan­te gezeigt und die IBA vor die Tür gesetzt. Denk­bar spät, eigent­lich zu spät. Denn für Beob­ach­ter wur­de die Lang­mut des IOC in der Cau­sa IBA immer unver­ständ­li­cher. Schon längst droh­te das IOC durch fast schon an Selbst­ver­leug­nung gren­zen­de Nach­sicht Auto­ri­tät zu ver­lie­ren und somit Scha­den zu nehmen.

Die Aus­boo­tung der IBA durch das IOC könn­te nun wie ein Damm­bruch wir­ken und dem neu­en Ver­band »World Boxing« neue Mit­glie­der zuspie­len. Zu hören war, dass bereits eini­ge Dut­zend Natio­nal­ver­bän­de das Inter­es­se an einem Bei­tritt arti­ku­liert haben sol­len. Dar­un­ter anschei­nend auch Ver­bän­de aus Afri­ka und Asi­en, unter denen Kreml­ev in den zurück­lie­gen­den Jah­ren eini­ge Unter­stüt­zer gesam­melt zu haben schien. Offen­bar könn­te auch hier inzwi­schen ein Umden­ken ein­ge­setzt haben.

Mit jedem Natio­nal­ver­band, der sich nun »World Boxing« anschließt, steigt die Chan­ce, dass der neue Welt­ver­band die erhoff­te Aner­ken­nung durch das IOC erfährt. Denn der Ver­band wird für hier­für glaub­haft machen müs­sen, dass er den Box­sport qua­li­ta­tiv an der Spit­ze, sowie glo­bal und poli­tisch über­grei­fend reprä­sen­tiert. Und er wird Pro­ben sei­ner Inte­gri­tät und Orga­ni­sa­ti­ons­fä­hig­keit ablie­fern müssen.

Denk­bar, dass »World Boxing« in Paris 2024 dem IOC bei der Aus­rich­tung des Box­tur­niers über die Schul­ter schau­en darf, dann nach Paris 2024 und vor Los Ange­les 2028 unter der Beob­ach­tung des IOC ein oder zwei Welt­meis­ter­schaf­ten aus­rich­tet. Soll­ten die­se Arbeits­pro­ben das IOC über­zeu­gen, könn­te es dazu füh­ren, dass das Box­tur­nier in Los Ange­les von »World Boxing« orga­ni­siert wird. Denk­bar wäre es.

Was pas­siert aber mit der IBA und ihrem Boss Umar Kreml­ev? Gut vor­stell­bar, dass der rus­si­sche Staat nun das Inter­es­se an dem Ver­band ver­liert und den Geld­hahn abdreht. Ein Ver­band, der nicht mehr am Tisch der olym­pi­schen Sport­ver­bän­de sitzt und dem die Mit­glie­der abhan­den kom­men, ist bedeu­tungs­los – auch und gera­de als Instru­ment rus­si­scher Inter­es­sens­ver­tre­tung und Ein­fluss­nah­me. Ihm fehlt ganz ein­fach die inter­na­tio­na­le die Büh­ne für sei­ne Selbstdarstellung. 

Wenn die Petro­dol­lar aber aus­blei­ben, dürf­te die IBA nun auch bei jenen sehr schnell an Attrak­ti­vi­tät ver­lie­ren, die sich in den zurück­lie­gen­den Jah­ren vom Glit­ter und Glanz des neu­rei­chen Olig­ar­chen­stils haben blen­den und mit­rei­ßen lassen.

Mit wach­sen­den Mit­glie­der­zah­len wird »World Boxing« dar­auf zu ach­ten haben, dass sich nicht nach eini­gen Jah­ren ähn­li­che Cha­rak­te­re und Struk­tu­ren im Ver­band eta­blie­ren, die den alten Box­ver­band ins Ver­der­ben führ­ten. Man kann nur hof­fen, dass dem Box­sport und sei­ne Prot­ago­nis­ten mit »World Boxing« der Schritt in die demo­kra­ti­sche Moder­ne gelingt.

Die Spon­so­ren der Box­ab­tei­lung des FC St. Pauli: