Der frühere Weltverband des olympischen Boxens IBA (ehemals AIBA) hat eine empfindliche Niederlage hinnehmen müssen. Der Internationale Sportgerichtshof (CAS) wies heute am 2. April 2024 die Beschwerde des Boxverbandes gegen seinen Ausschluss aus dem Kreis der olympischen Sportverbände endgültig ab.
Die IBA war Anfang Juni 2023 auf Empfehlung des IOC-Exekutivkomitees durch die IOC-Session ausgeschlossen worden. Wenige Tage darauf reichte die IBA gegen diese Entscheidung Klage beim Internationalen Sportgerichtshof in Lausanne ein. Nach einer Anhörung der Parteien im November 2023 veröffentlichte das Sportgericht heute seine Entscheidung in dieser Sache.
Jahrelange Konflikte führten zum Ausschluss
Dem Ausschluss der IBA waren jahrelange Streitigkeiten vorausgegangen, die sich im Kern auf drei Vorwürfe bezogen: In der Kritik standen manipulierte Kampfrichterleistungen (v.a. bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro), eine Überschuldung des Verbandes sowie eklatante Verstöße gegen Grundsätze der »Good Governance«.
Die anhaltenden Kritikpunkte und Streitigkeiten führten 2019 schließlich zur vorläufigen Suspendierung des Verbandes, der damals noch AIBA hieß, sich später aber in IBA umbenannte. Als Folge der vorläufigen Suspendierung richtete das IOC das olympische Boxturnier 2021 in Tokyo erstmalig in eigener Verantwortung aus.
Als Reformen des Verbandes ausblieben und sich das Verhältnis zwischen IOC und IBA nach der Wahl des Russen Umar Kremlev zum Präsidenten der IBA dramatisch verschlechterte, folgte der endgültige Rauswurf, gegen den die IBA nun erfolglos klagte.
IOC übernimmt in Paris zum letzten Mal das olympische Boxturnier
Bei den bevorstehenden Olympischen Sommerspielen 2024 in Paris wird das IOC nun ein zweites Mal das Boxturnier selbst ausrichten. Allerdings stellte das IOC unlängst klar: Ein drittes Mal werde man nicht mehr einspringen. Für die Spiele in 2028 in Los Angeles sei Boxen derzeit nicht mehr im Programm, betonte der Sportdirektor des IOC KitMcConnell auf einer Pressekonferenz. Boxen werde es 2028 im Programm der Spiele nur geben, wenn sich die nationalen Boxverbände in einem neuen Weltverband zusammenschlössen.
World Boxing als neuer Weltverband
Ein solch neuer Verband entstand im April 2023 mit »World Boxing«. Aus der (wie sich nun zeigt: zutreffenden) Überzeugung heraus, dass es mit der IBA keine Zukunft des olympischen Boxens mehr geben werde, gründete eine Handvoll von Nationalverbänden im letzten Jahr den neuen Weltverband.
Aktuell gehören ihm 27 nationale Boxverbände aus allen fünf Kontinenten an – freilich bislang noch mit einem Übergewicht von Verbänden des globalen Nordens. Aus Asien und Afrika haben sich bislang insgesamt nur drei Verbände für einen Eintritt in »World Boxing« entschieden.
Gerichtsentscheidung wohl endgültig
Dies könnte sich nun nach der Entscheidung des Sportgerichtshofes ändern. Zwar hatte die IBA schon im Vorfeld angekündigt, gegen eine für sie negative Entscheidung vor schweizerische Gerichte ziehen zu wollen, aber das erscheint bei näherer Betrachtung der Lage als ziemlich aussichtslos.
Rechtsmittel gegen Entscheidungen des CAS können als allerletzte Instanz nur noch beim schweizerischen Bundesgericht eingelegt werden. Dieses Gericht wird aber nur bei formalen Beschwerdegründen tätig. Eine inhaltliche Befassung nimmt das Bundesgericht aus Respekt vor der Autonomie des Sports nicht mehr vor.
Denkprozesse bei Nationalverbänden
Sofern sich keine relevanten Verfahrensfehler herausstellen, sind mit der Entscheidung des Sportgerichtshofes nun also endgültig Fakten geschaffen worden, die in vielen Ländern der Welt einen Denkprozess anstoßen dürften. Denn in vielen Ländern (wenngleich nicht in allen) hängen das Ansehen des Boxsports sowie seine Förderung von seinem Status als olympische Sportart ab – Deutschland eingeschlossen.
Mit der Entscheidung des Sportgerichtshofes darf »World Boxing« wohl auf ein vermehrtes Interesse hoffen. Weitere Beitritte könnten das IOC veranlassen, den neuen Verband als Gesprächspartner für die Zukunft des olympischen Boxens anzuerkennen – mit dem möglichen Ergebnis, dass der Boxsport im olympischen Programm bleiben kann und 2028 in Los Angeles durch den neuen Verband organisiert wird.
Vielerorts schien man sich fast schon an die Vorstellung gewöhnt zu haben, dass das IOC auch weiterhin das olympische Boxturnier selbst organisieren werde, also unabhängig von Weltverbandszugehörigkeiten für alle gleichermaßen offen halten werde. Aus dieser Sicht konnte man bequem bei der IBA verharren, statt sich zur Rettung des olympischen Boxsports neu zu organisieren.
Mit der Bequemlichkeit ist es nun vorbei
Damit ist es nun vorbei. Die Nationalverbände müssen nur zwei Dinge zusammenzählen:
- Das IOC wird mit der IBA endgültig nicht mehr zusammenarbeiten, da es mit der heutigen Entscheidung auch vom Internationalen Sportgerichtshof CAS nicht dazu gezwungen wurde.
- Boxen wird nur dann Teil der Olympischen Spiele bleiben, wenn sich hinreichend viele Nationalverbände in einem anderen Verband organisieren, der so beschaffen ist, dass das IOC ihm Verantwortung für die Sportart Boxen übertragen kann.
Diese Erkenntnis wird da und dort etwas schmerzen: Denn nicht wenige ließen sich wohl auch einer IBA blenden und umgarnen, die sich mit russischem Gazprom-Geld betont reich und stark inszenierte. Das mochte da und dort die Idee aufkommen lassen, dass der rausgeworfene Verband irgendwann vielleicht wieder an den Tisch des IOC gebeten oder gezwungen werde. Doch die virile Selbstinszenierung des Verbandes wurde beim IOC eher als vulgärer Krawall denn als Stärke interpretiert und vertiefte den Graben nur.
Die Pressemitteilung des Internationalen Sportgerischthofes CAS in deutscher Übersetzung (unterhalb des Kastens im englischen Original als PDF verlinkt):
PRESSEMITTEILUNG
BOXEN – OLYMPISCHE SPIELE
Der Internationale Sportschiedsgerichtshof (CAS) weist die Beschwerde der International Boxing Association (IBA) gegen die Entscheidung der IOC-Session ab, die Anerkennung der IBA als internationaler Boxsportverband zurückzuziehen.
Lausanne, 2. April 2024 – Der Internationale Sportschiedsgerichtshof (CAS) hat die von der International Boxing Association (IBA) eingereichte Beschwerde gegen die Entscheidung der IOC-Session vom 22. Juni 2023, die Anerkennung der IBA als Internationaler Boxsportverband zurückzuziehen, abgewiesen. Die IOC-Session traf ihre Entscheidung auf der Grundlage der Empfehlung des Exekutivkomitees des IOC (IOC EB) vom 7. Juni 2023 nach einem langen Prozess, der kurz nach den Olympischen Spielen Rio 2016 eingeleitet wurde, währenddessen das IOC die IBA aufforderte, verschiedene Maßnahmen zur Bewältigung schwerwiegender Bedenken hinsichtlich ihrer Governance und finanziellen Stabilität zu ergreifen. Dieser Prozess umfasste die Umsetzung eines von der IOC im Dezember 2021 der IBA empfohlenen Fahrplans, um dem IOC EB zufriedenstellend nachzuweisen, dass die IBA vor der IOC-Session 2023 laufende Bedenken erfolgreich angesprochen hatte, bei der die Aufnahme des Boxens in das olympische Programm diskutiert werden würde.
Am 27. Juni 2023 legte die IBA beim Internationalen Sportschiedsgerichtshof (CAS) Berufung gegen die Entscheidung der IOC-Session ein und beantragte, sie »vollständig aufzuheben und aufzuheben«. Das vom CAS eingesetzte Panel zur Bearbeitung dieser Angelegenheit hörte die Parteien und ihre Rechtsvertreter am 16. November 2023 im Hauptsitz des CAS in Lausanne/CH an.
In seinem endgültigen Urteil stellte das CAS-Gremium fest, dass die IBA zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung die von der IOC für die Anerkennung festgelegten Bedingungen nicht erfüllt hatte, nämlich:
- Die IBA hatte ihre finanzielle Transparenz und Nachhaltigkeit nicht erhöht, einschließlich der Diversifizierung der Einnahmen.
- Die IBA hatte ihr Verfahren in Bezug auf Schiedsrichter und Richter nicht geändert, um ihre Integrität sicherzustellen, einschließlich einer Überwachungsphase für eigene Wettbewerbe der IBA vor den Olympischen Spielen Paris 2024.
- Die IBA hatte nicht die vollständige und wirksame Umsetzung aller Maßnahmen sichergestellt, die von der vom IOC eingerichteten »Governance-Reformgruppe« vorgeschlagen wurden, einschließlich einer Änderung der Kultur.
Infolgedessen entschied das Gremium, dass diese drei Elemente die Entscheidung der IOC-Session rechtfertigten, die Anerkennung der IBA zurückzuziehen, und betonte, dass das Recht des IOC, die Umstände und Bedingungen zu kontrollieren, unter denen es Anerkennung gewährt, die Persönlichkeitsrechte der IBA überwiegt.
Das vollständig begründete Urteil wurde den Parteien mitgeteilt und wird vom CAS veröffentlicht, es sei denn, die Parteien beantragen Vertraulichkeit.
- Die Pressemitteilung des Internationalen Sportgerichtshofes CAS im englischen Original (Link öffnet PDF in neuem Fenster)