Am zweiten Tag des außerordentlichen Wahlkongresses des Weltverbandes des olympischen Boxens IBA (vormals AIBA) in Jerewan (Armenien) haben die Delegierten mit großer Mehrheit eine Neuwahl zum Präsidenten abgelehnt. Von 146 abgegebenen Stimmen sprachen sich nur 36 für Neuwahlen aus (= 25,35%). 106 Stimmen (= 74,65%) lehnten hingegen Neuwahlen ab. 4 Delegierte enthielten sich.
Fast zwei Drittel der Delegierten gegen Neuwahlen
Mit der vorgeschalteten Abstimmung über eine Neuwahl und der Entscheidung der Delegierten bleibt der Russe Umar Kremlev nun Präsident der IBA, ohne sich im eigentlichen Sinne einer Wahl gestellt zu haben.
Der außerordentliche Wahlkongress war nach einer Entscheidung des Internationalen Sportgerichtshofes CAS in Lausanne erforderlich geworden. Er hatte entschieden, dass es unzulässig gewesen sei, beim zurückliegenden Wahlkongress im Mai in Istanbul dem Niederländer Boris van der Vorst als einzigem Gegenkandidaten die Kandidatur zu verweigern.
Infolgedessen setzte die IBA für den 24. und 25. September den außerordentlichen Wahlkongress in Armenien an. Am Wahl des Kongressortes gab es Kritik: Armenien sei wegen seiner Nähe zu Russland kein neutraler Austragungsort des Kongresses. Der Vorschlag, den Wahlkongress im schweizerischen Lausanne am Sitz der IBA und in der Nähe des IOC durchzuführen, fand jedoch kein Gehör.
IBA suspendierte ukrainischen Verband
Am ersten Tag des außerordentlichen Wahlkongresses – also noch vor der Abstimmung – supendierte die IBA unter Leitung ihres russischen Präsidenten den ukrainischen Boxverband. Die Suspendierung wurde damit begründet, dass der ukrainische Staat in nicht zulässiger Weise Einfluss auf den Verband nehme. Der ukrainische Verband protestierte vergeblich gegen diese Entscheidung.
Adidas wird Sponsor der IBA
Unmittelbar nach der Entscheidung gegen die Neuwahl hab die IBA bekannt, mit Adidas einen Sponsorvertrag abgeschlossen zu haben. Der Sportartikelhersteller werde jährlich Ausrüstung in Wert von 2,5 Millionen Dollar bereitstellen, die an die Nationalverbände weitergeleitet werden soll. Weitere Details, etwa zur Laufzeit der Vereinbarung oder ob Adidas Gazprom ablöst oder ergänzt, wurden in diesem Zusammenhang nicht bekannt.
IOC wird den Kongress genau beobachtet haben
Das Internationale Olympische Komitee (IOC) wird die Entscheidung in Jerewan genau beobachtet haben. Es hatte kurz nach dem letzten Kongress in Mai in Istanbul mit den Worten »enough is enough« entschieden, die IBA ein zweites Mal bei den Sommerspielen auszubooten. Das olympische Boxturnier in Paris 2024 wird das IOC daher nach Tokio 2021 erneut in eigener Verantwortung ausrichten. Es hatte außerdem klargestellt, dass der Boxsport für Los Angeles 2028 nach aktuellem Planungsstand nicht mehr im sportlichen Programm enthalten sei.
Olympische Zukunft des Boxen wohl drastisch verdunkelt
Nach der jetzigen Entscheidung gegen Neuwahlen dürften sich die olympischen Perspektiven des Boxsports drastisch verschlechtert haben – auch wenn die IBA mit Adidas einen neuen Sponsor präsentierte und damit der Kritik entgegnen will, wegen Gazprom (ein russischer Staatskonzern) als bislang einzigen Sponsor auch finanziell komplett unter russischem Einfluss zu stehen.
Es scheint nunmehr kaum noch vorstellbar, dass das IOC die IBA wieder als Vertreter des Boxsports akzeptieren wird. Noch weniger ist vorstellbar, dass das IOC ein drittes Mal den Boxwettbewerb im Rahmen der Olympischen Spiele selbst organisieren wird.
Kommentar von Ralf Elfering
Amateure am Zuge
Dem Boxsport drohen nun in Deutschland schwierige Zeiten: Mit der jetzt immer wahrscheinlicher werdenden Streichung aus dem olympischen Programm dürfte der allergrößte Teil der staatlichen Förderungen nach den Spielen 2024 in Paris entfallen. Ohne diese Gelder sind Trainerstellen, Förderplätze in den Sportkompanien der Bundeswehr, Bundesstützpunkte und trainingswissenschaftliche Arbeit jedoch nicht mehr oder jedenfalls nicht mehr in bisheriger Art und Weise zu finanzieren.
Der Boxsport in Deutschland droht als dann nichtolympische Sportart auf das Niveau etwa des Minigolfs oder Dart-Sports zu fallen: Das heißt selbst bis in die Spitze hinein ganz weitgehend vom Ehrenamt und Geldnot gekennzeichnet. Der Abstand zur internationalen Leistungsspitze würde sich damit wohl abermals vergrößern und womöglich uneinholbar werden.
Ein neu zu gründender Weltverband könnte vielleicht eine Perspektive sein, wird aber kaum von heute auf morgen die vakante Stelle am Tisch des IOC füllen können. Er müsste dem IOC erst einmal beweisen, dass er den Boxsport in Breite und Qualität tatsächlich angemessen und global vertritt und organisatorisch in der Lage ist, den Sport auf diesem Niveau zu organisieren.
Fraglich ist auch, ob das IOC am Boxsport überhaupt noch ein Interesse hätte. In Lausanne hat man schließlich mit uns schon seit vielen Jahren keine gute Erfahrungen gemacht und behält uns nicht gerade in guter Erinnerung. Vielleicht gibt man dort den Platz gerne weiter an eine Sportart, die sich besser darstellt. Und sollte es eine Überlegung sein, den einen Kampfsport durch einen anderen zu ersetzen, so gibt man vielleicht den Kickboxern mal die Chance, sich zu beweisen.
Für die große Zahl der Boxsportler in den Vereinen des Deutschen Boxsport-Verbandes mag der nun drohende Verlust des olympischen Status ihres Sports keine sofortigen und keine ganz unmittelbaren Folgen haben. Die Realität auf der Ebene des Vereinssports ist überwiegend von lokalen Bedingungen geprägt: Der Verlust von Trainingszeiten in der genutzten Schulsporthalle wiegt hier zunächst mehr als die Streichung aus dem olympischen Programm.
Allerdings gehört es zur Strahlkraft unseres Sports, dass er bislang zu den olympischen Kernsportarten zählte. Gerade in seiner olympischen Ausprägung konnte er (zumindest theoretisch und potenziell) ein Gegenmodell sein zum fragwürdigen, korrupten und oft gesundheitsgefährdenden sogenannten Profiboxen, das besser »kommerzielles Boxen« genannt werden sollte, da es grundlegenden Anforderungen an einen ernstzunehmenden Sport nicht genügt. Insofern profitierte auch die sportliche Basis davon, einen Sport auszuüben, der an seiner Spitze im olympischen Zusammenhang wahrgenommen wurde. Über kurz oder lang werden auch die Vereine den drohenden Bedeutungsverlust auf vielen Ebenen spüren.
Das Label »olympisches Boxen« hatte in den letzten Jahren an Verbreitung gewonnen. Es stünde uns nicht mehr zu, wenn wir nun aus dem Programm gekegelt werden. Vielleicht kehren wir gezwungenermaßen wieder zurück zum »Amateurboxen«.
In den Ohren der älteren Boxsportfreunde hat das Wort »Amateurboxen« zwar durchaus noch einen ehrenvollen Klang, weil es an den früheren Begriff des olympischen Sports erinnerte, in dem man nur der sportlichen Ehre wegen startete, aber nicht wegen des Geldes. Wenn wir den Begriff aber womöglich bald schon wieder einführen müssen, klingt es für die jüngere Generation ganz passend nach dem, was jetzt vielleicht wirklich aus dem Boxen wird: Eine bemühter Sport auf Hobbyniveau, deren Verbände ebenso leichtfertig, wie unverantwortlich wie eben auch amateurhaft die olympische Perspektive opferten.