Nachdem der us-amerikanische Boxverband »USA-Boxing« vor einigen Tagen erklärt hatte (Link öffnet neues Fenster), an den bevorstehenden Weltmeisterschaften der Frauen in Indien und der Männer in Usbekistan nicht teilzunehmen, schlossen sich nun weitere nationale Boxverbände dem Boykott an.
Dem us-amerikanischen Verband folgte zuerst der irische Boxverband, kurz darauf Tschechien und Großbritannien – wobei Großbritannien (»GB-Boxing«) die Entscheidung erst einmal nur auf die Frauen-WM bezog, die Teilnahme an der Männer-WM aber noch prüfe und darüber zu einem späteren Zeitpunkt entscheiden wolle.
Es heißt, dass weitere nationale Boxverbände diesen Schritt erwägen und die Beratungen zur Gründung eines neuen Weltverbandes fortschritten.
Die Hintergründe der Boykottbewegung sowie der Bestrebungen, einen neuen Weltverband zu gründen, liegen im sportpolitischen Kurs des Weltverbandes IBA (vormals AIBA) unter der Leitung des Russen Umar Kremlev, der Ende 2020 an die Spitze des Verbandes gewählt wurde.
Unter Kremlev droht der olympische Tod des Boxens
Ihm gelang nicht, den viele Jahre währenden Konflikt mit dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) zu befrieden. Die Veränderungen innerhalb des Weltverbandes konnten das IOC im Kern nicht davon überzeugen, dass sich der Verband wesentlich in Richtung Transparenz und Integrität bewegt haben könnte.
Im Gegenteil: Das IOC äußerte mehrfach und in steigender Intensität Bedenken, dass der Verband, der finanziell vom russischen Staatskonzern Gazprom abhängig ist, unter der Einflussnahme des russischen Staates stehe. Tatsächlich erlaubte die IBA nach dem Beginn des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine als erster Weltsportverband auch wieder die Teilnahme russischer und belarussischer Sportler und Funktionäre mit nationalen Symbolen wie Flaggen und Hymnen – und stellte sich damit gegen die Linie des IOC.
De Beziehungen zwischen dem IOC und der IBA scheinen mittlerweile rettungslos zerstört. Dem entspricht, dass das IOC der IBA für die Olympischen Spiele in Paris 2024 zum zweiten Mal in Folge die Zuständigkeit (Link öffnet neues Fenster) entzog und den Boxsport für die übernächste Olympiade 2028 in Los Angeles schon gar nicht mehr in das vorläufige Programm genommen hat. Daher spielen – anders als früher – die bevorstehenden Weltmeisterschaften auch keine Rolle mehr für die Qualifikation zu den Olympischen Spielen.
IBA zunehmend im Krawallmodus
Die IBA und ihr Präsident Kremlev verfallen indes zunehmend in einen krawalligen Ton. Am Rande eines Turniers in Marokko bezeichnete Kremlev die Funktionäre, die sich an einem Boykott beteiligen, als »Hyänen« und »Schakale«.
Er forderte die Teams der USA und Irlands auf, die Entscheidungen ihrer nationalen Verbände zu missachten, lud sie zur WM ein und versprach finanzielle Unterstützung: »Die Athleten, Trainer und Funktionäre eines Landes haften nicht für das Verhalten des Managements ihrer nationalen Verbände oder für politische Spiele. Die IBA verurteilt alle politischen Spiele, die dem Sport schaden.«
Den Mitgliedsverbänden drohte der Präsident mit den Worten: »Die IBA wird auf weiteres ähnliches Verhalten, das gegen den IBA-Disziplinar- und Ethikkodex verstößt, mit Nachdruck reagieren und strenge Sanktionen gegen diejenigen verhängen, die den Teilnahmeboykott initiieren und sich ihm anschließen.«
Diese Ankündigung dürfte »GB-Boxing« aufhorchen lassen: Zunächst nur die Frauen-WM zu boykottieren, sich aber einen Start bei der Männer-WM noch offen zu halten, erscheint nicht vorstellbar.
Kommentar von Ralf Elfering
Das Tischtuch ist zerschnitten
Mit der IBA wird es allem Anschein nach keine olympische Zukunft des Boxsports mehr geben. Darüber sollte man sich besser keine Illusionen mehr machen. Es ist daher höchste Zeit, sich von dem neureichen Oligarchenrotz und Bling-Bling der IBA zu verabschieden. Und zwar mit aller Kraft und gebotenen Deutlichkeit. Von der IBA möge man bitteschön nur den Wegfall des Kopfschutzes für Frauen behalten.
Man wird in einem neuen Weltverband kleinere Brötchen backen müssen. Wenn es aber dazu führt, dass dafür der Sport wieder mehr im Mittelpunkt steht als seine bloße neureiche Inszenierung (oder die eines Präsidenten), dann ist es gut.
Dabei darf man nicht naiv sein: Ein neuer Verband ist am Ende auch nur ein Verband – über kurz oder lang mit allen unschönen Erscheinungen, die solche Institutionen nun einmal fast zwangsläufig hervorbringen. Aber schlimmer als die IBA kann es erst einmal nicht sein. Daher lohnt der Schritt allemal.
Ein lang anhaltender Schaden ist die Spaltung der Boxwelt. Der allgegenwärtige und mit guter Reisekasse ausgerüstete Machtstratege Kremlev scheint Sympathien in Ländern des globalen Südens »erworben« zu haben – zumindest bei Funktionären. Und er setzt dies in Szene. Die Geschenke, die er gönnerhaft und medial wirksam verteilt, kann (oder muss?) man allerdings auch als eine patriarchale und neokoloniale Demütigung von Sportler*innen des globalen Südens lesen.
Das mag vielleicht nicht immer und überall so gesehen werden, weil Russland in den Augen einiger (oder besser: im Gefühl einiger) noch mit der vermeintlich sozialistischen, früheren UdSSR verbunden wird, die im taktischen weltpolitischen Kontext auch Dekolonialisierungsbewegungen unterstützte. Diese Erinnerung lebt da und dort anscheinend noch nach und verschleiert den Blick auf das heutige Russland. Den Rest besorgen dann die Geschenke und Versprechungen.
Jene Verbände, die sich nun hoffentlich von der IBA trennen und einen Neustart wagen, werden im globalen Süden hingegen als Repräsentanten der Gesellschaften gelesen, die für Jahrhunderte der Ausbeutung stehen. Das wird es einem neuen Verband schwer machen, in Ländern des globalen Südens Sympathien zu finden. Daher wäre es sehr wünschenswert gewesen, wenn sich Länder wie zum Beispiel Kuba, Brasilien oder Indien eingebracht hätten oder noch einbringen würden.
Wenig hilfreich (aber vielleicht umso aufschlussreicher) ist daher die Äußerung des tschechischen Boxfunktionärs Marek Šimák. Das Branchenportal »Inside the Games« zitiert ihn mit den Worten, der neue Verband solle sich gegen Putin und pro-europäisch positionieren.
Das freilich ist genau die falsche Idee. Es sollte eben nicht um einen irgendwie pro-europäischen oder pro-abendländischen Verband gehen. Solche Äußerungen geben jenen Stimmen recht, die einen neuen Verband als Werkzeug des globalen Nordens sehen und führen jene fatale Spaltung fort, die die IBA zuvor weiter angeheizt hat. Sie spielen der IBA damit letztlich in die Hände.