Das Ehrenamt hat einen schweren Stand: Die Bereitschaft zur längerfristigen und verbindlichen Übernahme einer ehrenamtlichen Tätigkeit ist in den letzten Jahren kontinuierlich zurückgegangen.
Das spüren nicht nur die Vereine, die für ausscheidende Vorstände, Kassenprüfer*innen sowie Sport- und Zeugwarte immer schwieriger Nachfolger*innen finden, sondern auch – und womöglich in noch stärkerem Maße – die Landesverbände und das ihnen angegliederte Kampfrichterwesen.
Mangel an Kampfrichter*innen
Immer weniger Mitglieder von Boxvereinen lassen sich zu Punkt- oder Ringrichter*innen ausbilden. Von denen, die dennoch den Schritt gewagt haben, bleiben nicht viele langfristig in der Tätigkeit. Die Aussteigequote ist enorm: »Von 10 Leuten, die wir ausbilden, sind vielleicht nach zwei, drei Jahren noch zwei bei der Sache«, klagt der Kampfrichterobmann eines Landesverbandes, der ungenannt bleiben will.
Der ausbleibende Nachwuchs droht vielerorts eine fatale Abwärtsspirale in Gang zu setzen: Die Arbeitsbelastung der verbleibenden Kampfrichter*innen wächst, weitere Ausstiege folgen, und der Neueinstieg in diese Tätigkeit wird noch einmal unattraktiver, wenn die neuen Kampfrichter*innen die Sorge haben müssen, dass das neue Ehrenamt sie mit Haut und Haaren verschlingen könnte.
Punkturteile fallen im Home Office
Der Einsatz neuer Technologien soll hier Abhilfe schaffen. Geplant ist, dass die Punkturteile (immerhin gut 90 Prozent aller Kampfentscheidungen) künftig nicht mehr in der Sporthalle am Ring entschieden werden, sondern am heimischen Bildschirm der Kampfrichter*innen.
Dafür sollen in einem Jahr, also ab dem 1. April 2025, in einem Pilotprojekt zwei oder drei Landesverbände mit einigen Videosystemen ausgestattet werden, die das Kampfgeschehen übertragen. Im Idealfall soll der Ring dabei von drei Seiten gefilmt werden. Zur Not kann es aber auch eine Kamera sein, die das Bild überträgt.
Ob nun von drei Seiten oder nur aus einer Perspektive aufgenommen wird: In jedem Fall sind es aber mindestens drei Kampfrichter*innen, die über die Punkturteile entscheiden und das Ergebnis dann online zurück in die Sporthalle übermitteln. Angestrebt sind aber als Regelfall die Entscheidungen von 5 Punktrichter*innen.
Eines bleibt jedoch beim Alten: Ringrichter*innen sollen auch in Zukunft vor Ort die Kämpfe leiten und behalten die Zuständigkeit für alle anderen Kampfentscheidungen wie z.B. KO, RSC, RSC‑I und Disqualifikation. Die Leitung eines Kampfes durch erfahrene Ringrichter*innen wird für unsersetzlich gehalten und kann durch keine Technologie ersetzt werden. Ebenso bleiben der Supervisor und der Zeitnehmer vorgesehen. Was digital aber besser geht, soll eben digital gemacht werden.
Festgelegte Anfangszeiten für Veranstaltungen
Damit für die Zulosungen der Punktrichter*innen ein stets ausreichend bestückter Pool von Kampfrichter*innen online zur Verfügung steht, müssen Boxveranstaltungen in Zukunft wahrscheinlich zu bestimmten festgelegten Uhrzeiten beginnen. Veranstaltende Vereine sollen künftig bundesweit zwischen drei Optionen wählen können:
- Vormittagsveranstaltung (Beginn 10 Uhr)
- Nachmittagsveranstaltung (Beginn 15 Uhr)
- Abendveranstaltung (Beginn 19 Uhr)
Wo ein Turnier mit mehrenen Veranstaltungen am Tag geplant ist, muss wohl in diesem Raster geplant werden. Ausnahmen von vorgegebenen Startzeiten sollen auf einen begründeten Antrag hin aber möglich sein.
Technologie mit vielen Vorteilen
Das sogenannte »Tele Judging« (TJ) hat viele Vorteile:
- Es ist geplant, einen bundesweiten Pool von Kampfrichter*innen zu bilden, der über die Grenzen der Landesverbände hinweg eingesetzt werden soll. Wird es in einem Landesverband mit Punktrichter*innen knapp, kann ein anderer Landesverband das ausgleichen.
- Aus dem Pool heraus werden die Punktricher*innen unter Berücksichtigung ihrer Lizenzen und der Art Wettkampfveranstaltungen bundesweit den Veranstaltungen zugelost. Die Zulosung soll sich sogar von Kampf zu Kampf ändern können. Dieser zufällige Wechsel dient dem Schutz vor Manipulationen.
- Vor allem in den großen Flächenverbänden entfallen viele aufwändige und lange Anfahrten von Kampfrichter*innen: Statt wegen weiter Wege einen ganzen Wochenendtag opfern zu müssen, beschränkt sich der Einsatz künftig auf die reine Dauer der Wettkämpfe. Das Sozialleben der Punktrichter*innen leidet weniger.
- Die Aufwandsentschädigungen der Punktrichter*innen soll sich nach der Zahl der gepunkteten Kämpfe berechnen. In Verbindung mit dem verminderten Zeitaufwand steigert das die Attraktivität der Tätigkeit und motiviert zu vielen Einsätzen.
- Den Verbänden fließen durch das »Tele Judging« valide Daten zum Kampfrichterwesen zu. Damit kann die Aus- und Fortbildung sowie die Evaluation der Kampfrichter*innen wirksam begleitet und unterstützt werden. Wer wie viele Einsätze hat, wer wie häufig abweichende Urteile hat – all diese Zahlen liegen durch die neue Technologie vor.
Anbieter mit Ambitionen im Sport
Das Tele-Judging-System wird von der Firma EvolutionarySports entwickelt. Der Geschäftsführer Maik Metternich erklärt: »Zum Einsatz kommen hochwertige Webcams aus Serienproduktion, die drahtlos parallel über zwei unterschiedliche Frequenzen mit einem leistungsstarken Laptop am Ring verbunden sind. Die Kameras werden auf Stativen montiert können und mit einem Akku bis 20 Stunden am Stück betrieben werden, so dass für die ganze Anlage keine Kabel am Ring verlegt werden müssen. Insgesamt verbinden wir so Einfachheit im Aufbau mit einer hohen Betriebssicherheit im Einsatz.«
Die Firma aus dem schwäbischen Kirchzarten hat große Ziele: Ähnliche Systeme werden aktuell im Eiskunstlauf und im Kunstturnen erprobt. »Hier haben wir in einiger Hinsicht vergleichbare Problemstellungen identifizieren können,« erläutert Metternich. Ein Team von über 20 Entwickler*innen arbeitet bei EvolutionarySports an der Software. Lohnend ist das Engagement für die Kirchzartener langfristig dann, wenn mehrere Randsportarten das System einsetzen – und das möglichst auch über Grenzen hinweg.
Projekt als Teil der Digitalisierung
Die Organisation der Punktrichter*innen-Einsätze soll später Teil der bevorstehenden Digitalisierung des Wettkampfbetriebes sein, da dort ohnehin alle Kampfrichter*innen erfasst und mit ihren Lizenzstufen verwaltet werden. Hierfür wird an entsprechenden Schnittstellen gearbeitet.
Das für 2025 geplante Pilotprojekt ist zunächst auf zwei Jahre angesetzt. In dieser Testphase sollen Verbesserungen an Technik und Software vorgenommen werden. Bewährt sich das »Tele Judging«, kann es anschließend in allen Landesverbänden zur Anwendung kommen.