Pilot­pro­jekt: 2025 soll Tele-Jud­ging im olym­pi­schen Boxen getes­tet werden

Bahnbrechende Umwälzung im Kampfrichterwesen

Tele Judging: 2025 sollen in einem Pilotprojekt die ersten Kämpfe aus dem Home Office heraus gewertet werden können. Bundesweit sollen die Kampfrichter*innen dazu einen Pool bilden.

Das Ehren­amt hat einen schwe­ren Stand: Die Bereit­schaft zur län­ger­fris­ti­gen und ver­bind­li­chen Über­nah­me einer ehren­amt­li­chen Tätig­keit ist in den letz­ten Jah­ren kon­ti­nu­ier­lich zurückgegangen. 

Das spü­ren nicht nur die Ver­ei­ne, die für aus­schei­den­de Vor­stän­de, Kassenprüfer*innen sowie Sport- und Zeug­war­te immer schwie­ri­ger Nachfolger*innen fin­den, son­dern auch – und womög­lich in noch stär­ke­rem Maße – die Lan­des­ver­bän­de und das ihnen ange­glie­der­te Kampfrichterwesen. 

Man­gel an Kampfrichter*innen

Immer weni­ger Mit­glie­der von Box­ver­ei­nen las­sen sich zu Punkt- oder Ringrichter*innen aus­bil­den. Von denen, die den­noch den Schritt gewagt haben, blei­ben nicht vie­le lang­fris­tig in der Tätig­keit. Die Aus­stei­ge­quo­te ist enorm: »Von 10 Leu­ten, die wir aus­bil­den, sind viel­leicht nach zwei, drei Jah­ren noch zwei bei der Sache«, klagt der Kampf­richt­er­ob­mann eines Lan­des­ver­ban­des, der unge­nannt blei­ben will.

Der aus­blei­ben­de Nach­wuchs droht vie­ler­orts eine fata­le Abwärts­spi­ra­le in Gang zu set­zen: Die Arbeits­be­las­tung der ver­blei­ben­den Kampfrichter*innen wächst, wei­te­re Aus­stie­ge fol­gen, und der Neu­ein­stieg in die­se Tätig­keit wird noch ein­mal unat­trak­ti­ver, wenn die neu­en Kampfrichter*innen die Sor­ge haben müs­sen, dass das neue Ehren­amt sie mit Haut und Haa­ren ver­schlin­gen könnte.

Der klas­si­sche Auf­bau einer Wett­kampf­ver­an­stal­tung sieht min­des­tens 8 Per­so­nen mit einer Kampf­rich­ter­li­zenz vor: 1 Supervisor*in, 1 Zeitnehmer*in, 1 Ringrichter*in und 5 Punktrichter*innen. Sol­len Kampfrichter*innen auch mal eine Pau­se haben kön­nen, sind sogar wei­te­re Kampfrichter*innen als Ablö­sun­gen einzuplanen.

Punk­tur­tei­le fal­len im Home Office

Der Ein­satz neu­er Tech­no­lo­gien soll hier Abhil­fe schaf­fen. Geplant ist, dass die Punk­tur­tei­le (immer­hin gut 90 Pro­zent aller Kampf­ent­schei­dun­gen) künf­tig nicht mehr in der Sport­hal­le am Ring ent­schie­den wer­den, son­dern am hei­mi­schen Bild­schirm der Kampfrichter*innen.

Dafür sol­len in einem Jahr, also ab dem 1. April 2025, in einem Pilot­pro­jekt zwei oder drei Lan­des­ver­bän­de mit eini­gen Video­sys­te­men aus­ge­stat­tet wer­den, die das Kampf­ge­sche­hen über­tra­gen. Im Ide­al­fall soll der Ring dabei von drei Sei­ten gefilmt wer­den. Zur Not kann es aber auch eine Kame­ra sein, die das Bild überträgt. 

Ob nun von drei Sei­ten oder nur aus einer Per­spek­ti­ve auf­ge­nom­men wird: In jedem Fall sind es aber min­des­tens drei Kampfrichter*innen, die über die Punk­tur­tei­le ent­schei­den und das Ergeb­nis dann online zurück in die Sport­hal­le über­mit­teln. Ange­strebt sind aber als Regel­fall die Ent­schei­dun­gen von 5 Punktrichter*innen.

Eines bleibt jedoch beim Alten: Ringrichter*innen sol­len auch in Zukunft vor Ort die Kämp­fe lei­ten und behal­ten die Zustän­dig­keit für alle ande­ren Kampf­ent­schei­dun­gen wie z.B. KO, RSC, RSC‑I und Dis­qua­li­fi­ka­ti­on. Die Lei­tung eines Kamp­fes durch erfah­re­ne Ringrichter*innen wird für unser­setz­lich gehal­ten und kann durch kei­ne Tech­no­lo­gie ersetzt wer­den. Eben­so blei­ben der Super­vi­sor und der Zeit­neh­mer vor­ge­se­hen. Was digi­tal aber bes­ser geht, soll eben digi­tal gemacht werden.

Beim »Tele Jud­ging« ent­fal­len alle Punktrichter*innen vor Ort. Sie wer­ten von zu Hau­se aus. Die gan­ze Ver­an­stal­tung kann mit 3 Per­so­nen vor Ort durch­ge­führt wer­den: 1 Supervisor*in, 1 Zeitnehmer*in und 1 Ringrichter*in. Eine enor­me Aufwandsersparnis.

Fest­ge­leg­te Anfangs­zei­ten für Veranstaltungen

Damit für die Zulo­sun­gen der Punktrichter*innen ein stets aus­rei­chend bestück­ter Pool von Kampfrichter*innen online zur Ver­fü­gung steht, müs­sen Box­ver­an­stal­tun­gen in Zukunft wahr­schein­lich zu bestimm­ten fest­ge­leg­ten Uhr­zei­ten begin­nen. Ver­an­stal­ten­de Ver­ei­ne sol­len künf­tig bun­des­weit zwi­schen drei Optio­nen wäh­len können:

  1. Vor­mit­tags­ver­an­stal­tung (Beginn 10 Uhr)
  2. Nach­mit­tags­ver­an­stal­tung (Beginn 15 Uhr)
  3. Abend­ver­an­stal­tung (Beginn 19 Uhr)

Wo ein Tur­nier mit meh­ren­en Ver­an­stal­tun­gen am Tag geplant ist, muss wohl in die­sem Ras­ter geplant wer­den. Aus­nah­men von vor­ge­ge­be­nen Start­zei­ten sol­len auf einen begrün­de­ten Antrag hin aber mög­lich sein.

Tech­no­lo­gie mit vie­len Vorteilen

Das soge­nann­te »Tele Jud­ging« (TJ) hat vie­le Vorteile: 

  • Es ist geplant, einen bun­des­wei­ten Pool von Kampfrichter*innen zu bil­den, der über die Gren­zen der Lan­des­ver­bän­de hin­weg ein­ge­setzt wer­den soll. Wird es in einem Lan­des­ver­band mit Punktrichter*innen knapp, kann ein ande­rer Lan­des­ver­band das ausgleichen.
  • Aus dem Pool her­aus wer­den die Punktricher*innen unter Berück­sich­ti­gung ihrer Lizen­zen und der Art Wett­kampf­ver­an­stal­tun­gen bun­des­weit den Ver­an­stal­tun­gen zuge­lost. Die Zulo­sung soll sich sogar von Kampf zu Kampf ändern kön­nen. Die­ser zufäl­li­ge Wech­sel dient dem Schutz vor Manipulationen.
  • Vor allem in den gro­ßen Flä­chen­ver­bän­den ent­fal­len vie­le auf­wän­di­ge und lan­ge Anfahr­ten von Kampfrichter*innen: Statt wegen wei­ter Wege einen gan­zen Wochen­end­tag opfern zu müs­sen, beschränkt sich der Ein­satz künf­tig auf die rei­ne Dau­er der Wett­kämp­fe. Das Sozi­al­le­ben der Punktrichter*innen lei­det weniger.
  • Die Auf­wands­ent­schä­di­gun­gen der Punktrichter*innen soll sich nach der Zahl der gepunk­te­ten Kämp­fe berech­nen. In Ver­bin­dung mit dem ver­min­der­ten Zeit­auf­wand stei­gert das die Attrak­ti­vi­tät der Tätig­keit und moti­viert zu vie­len Einsätzen.
  • Den Ver­bän­den flie­ßen durch das »Tele Jud­ging« vali­de Daten zum Kampf­rich­ter­we­sen zu. Damit kann die Aus- und Fort­bil­dung sowie die Eva­lua­ti­on der Kampfrichter*innen wirk­sam beglei­tet und unter­stützt wer­den. Wer wie vie­le Ein­sät­ze hat, wer wie häu­fig abwei­chen­de Urtei­le hat – all die­se Zah­len lie­gen durch die neue Tech­no­lo­gie vor.
Im Schwarz­wald arbei­tet ein Team von über 20 Entwickler*innen an Soft­ware­lö­sun­gen für Kampf­rich­ter­auf­ga­ben in ver­schie­de­nen Sport­ar­ten, dar­un­ter auch im olym­pi­schen Boxsport.

Anbie­ter mit Ambi­tio­nen im Sport

Das Tele-Jud­ging-Sys­tem wird von der Fir­ma Evo­lu­tio­na­rySports ent­wi­ckelt. Der Geschäfts­füh­rer Maik Met­ter­nich erklärt: »Zum Ein­satz kom­men hoch­wer­ti­ge Web­cams aus Seri­en­pro­duk­ti­on, die draht­los par­al­lel über zwei unter­schied­li­che Fre­quen­zen mit einem leis­tungs­star­ken Lap­top am Ring ver­bun­den sind. Die Kame­ras wer­den auf Sta­ti­ven mon­tiert kön­nen und mit einem Akku bis 20 Stun­den am Stück betrie­ben wer­den, so dass für die gan­ze Anla­ge kei­ne Kabel am Ring ver­legt wer­den müs­sen. Ins­ge­samt ver­bin­den wir so Ein­fach­heit im Auf­bau mit einer hohen Betriebs­si­cher­heit im Einsatz.«

Die Fir­ma aus dem schwä­bi­schen Kirch­zar­ten hat gro­ße Zie­le: Ähn­li­che Sys­te­me wer­den aktu­ell im Eis­kunst­lauf und im Kunst­tur­nen erprobt. »Hier haben wir in eini­ger Hin­sicht ver­gleich­ba­re Pro­blem­stel­lun­gen iden­ti­fi­zie­ren kön­nen,« erläu­tert Met­ter­nich. Ein Team von über 20 Entwickler*innen arbei­tet bei Evo­lu­tio­na­rySports an der Soft­ware. Loh­nend ist das Enga­ge­ment für die Kirch­zar­te­ner lang­fris­tig dann, wenn meh­re­re Rand­sport­ar­ten das Sys­tem ein­set­zen – und das mög­lichst auch über Gren­zen hinweg.

Pro­jekt als Teil der Digitalisierung 

Die Orga­ni­sa­ti­on der Punktrichter*innen-Einsätze soll spä­ter Teil der bevor­ste­hen­den Digi­ta­li­sie­rung des Wett­kampf­be­trie­bes sein, da dort ohne­hin alle Kampfrichter*innen erfasst und mit ihren Lizenz­stu­fen ver­wal­tet wer­den. Hier­für wird an ent­spre­chen­den Schnitt­stel­len gearbeitet.

Das für 2025 geplan­te Pilot­pro­jekt ist zunächst auf zwei Jah­re ange­setzt. In die­ser Test­pha­se sol­len Ver­bes­se­run­gen an Tech­nik und Soft­ware vor­ge­nom­men wer­den. Bewährt sich das »Tele Jud­ging«, kann es anschlie­ßend in allen Lan­des­ver­bän­den zur Anwen­dung kommen. 

Die Spon­so­ren der Box­ab­tei­lung des FC St. Pauli: