Nach dem endgültigen Ausschluss des Boxweltverbandes IBA durch das Internationale Olympische Komitee (IOC) am 22. Juni 2023 gab der Verband vor kurzem den geplanten Start zwei neuer Turnierformate bekannt:
- Zum einen soll auf der Ebene der Nationalverbände unter dem Titel »Global Boxing Cup« 2024 ein Turnier gestartet werden, das stark an die 2010 gestartete und 2019 aus finanziellen Gründen eingestellte »World Series of Boxing« (WSB) erinnert. Unter dem Dach der IBA (damals noch AIBA genannt) traten in der WSB von Franchisenehmern unterhaltene »Nationalmannschaften« gegeneinander an. Ähnlich wie seinerzeit in der WSB sollen im Rahmen des »Global Boxing Cup« die Mannschaften zunächst in (wahrscheinlich kontinentalen) Gruppen gegeneinander antreten, um dann in Play-Offs um den Titel zu boxen. Die IBA spricht von »erheblichen Preisgeldern«.
- Zum anderen soll ab Anfang 2024 auf der Ebene der Vereine eine »IBA Champions League« ausgerichtet werden. Der Club-Wettbewerb ist auf eine Dauer von 10 Monaten ausgelegt und soll im November 2024 mit einem Finale enden.
Klingt nett: Alle sind willkommen
Zu diesen geplanten »Flagship-Events« lädt die IBA ausdrücklich auch Sportler*innen, Kampfrichter*innen und andere Offizielle solcher Nationalverbände ein, die nicht mehr Mitglied im früheren Weltverband des olympischen Boxens sind.
Die IBA verweist in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf ihr finanzielles Unterstützungsprogramm FSP (»Financial Support Programme«) und zitiert die niederländische Boxerin Megan de Cler, die mit Mitteln dieses Programms im März 2023 die Boykottentscheidung ihres Nationalverbandes unterlaufen konnte und an der Frauen-WM in Indien teilnahm. Es kann nicht überraschen, dass der niederländische Verband daraus Konsequenzen zog und die Sportlerin aus dem Kader strich.
Auch zwei Athleten aus Deutschland, die jedoch gar nicht zum DBV-Kader zählen, starteten ohne jede Kenntnis des DBV überraschend bei der Männer-WM im Mai 2023 in Usbekistan – wahrscheinlich ebenfalls möglich gemacht mit Unterstützung der IBA. Die dringende Aufforderung des DBV, die Athleten nicht unter »GER« starten zu lassen, da sie eben nicht durch den Verband entsandt worden seien, ignorierte die IBA geflissentlich.
IBA ignoriert Mitgliedsverbände
Das Vorgehen der IBA, an allen üblichen Wegen vorbei selbst zu entscheiden, welche Sportler*innen und Offizielle eine Nation vertreten dürfen, ignoriert in eklatanter Weise die sportliche Entscheidungsautonomie ihrer Mitgliedsverbände und bricht so sehr mit allen Gepflogenheiten des sportlichen Verkehrs, dass dies kaum ein Zufall sein dürfte.
Die Vorgänge rund um die beiden Weltmeisterschaften und die angekündigten Turnierformate legen vielmehr die Deutung nahe, dass die freundlich formulierten Einladungen der IBA, unabhängig von jedem Mitgliedsstatus oder strategischen Verbandsentscheidungen an ihren Turnieren teilnehmen zu können, letztlich gar nicht dem Sport und den Sportler*innen dienen sollen.
Zwietracht das Ziel?
Sie könnten stattdessen das Ziel haben, durch das Säen von Zwietracht die sportliche Arbeit in jenen Nationalverbänden zu stören, die sich von der IBA abgewendet haben oder dies auch nur erwägen.
Denn Nationalverbände (ob IBA-Mitglied oder nicht) müssen nun offenbar jederzeit damit rechnen, dass ihre Arbeit und Entscheidungen unterlaufen und ausgehebelt werden, und Sportler*innen oder auch Offizielle (und wo nicht aus der ersten Reihe, dann eben aus hinteren Reihen) von der IBA direkt angesprochen und für die Interessen des Weltverbandes eingespannt werden.
Nicht ausgeschlossen, dass sich in den Nationalverbänden hier oder dort Sportler*innen oder auch Offizielle vom Bling-Bling der IBA-Inszenierungen einfangen lassen. Im günstigen Fall bemerken sie aus Naivität nicht, in welchen Dienst sie sich damit stellen. Im schlechteren Fall tun sie es dennoch, weil sie sich persönliche Vorteile davon versprechen.
Förderprogramm mutiert zur Störmaßnahme
Das 2021 mit Gazprom-Geld aufgelegte IBA-Programm FSP sollte eigentlich die sportliche Arbeit von Mitgliedsverbänden unterstützen. Möglicherweise erweist es sich jetzt als das Gegenteil, nämlich als ein Topf, aus dem heraus der Weltverband die sportliche Arbeit von Nationalverbänden untergräbt und das Sportsystem im Ganzen schwer beschädigt.
Naivere Menschen mögen sich von den schön klingenden Worten des Weltverbandes blenden lassen: »Wir treten für faire Chancen für alle ein und freuen uns darauf, unsere Athletinnen und Athleten bei dieser Chance auf Wettkämpfe willkommen zu heißen. Innerhalb des IBA gibt es keinen Platz für politische Vorurteile und Beschränkungen aufgrund von Nationalität und Status der Nationalen Verbände«, wird Umar Kremlev zitiert. Honi soit qui mal y pense – ein Schuft, wer Böses dabei denkt.
Die wirksamste Immunität gegen diese Störungen wären ein bald erkennbares und konkret terminiertes Turnierprogramm des neuen Weltverbandes »World Boxing« (und wenn noch so bescheiden) sowie irgendwann erste Aussagen des IOC dazu, unter welchen Bedingungen und in welchem Zeitrahmen ein neuer Weltverband des olympischen Boxens auf die Anerkennung durch das IOC hoffen darf.