Am 14. Mai wurde der Russe Umar Kremlev in Istanbul trotz warnender Signale des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) als Präsident der IBA (früher AIBA) im Rahmen eines außerordentlichen Kongresses wiedergewählt.
Fünf Kandidaten waren für unwählbar erklärt worden
Die Wahl fand per Akklamation statt (ein bloßer Applaus genügte), nachdem zuvor eine »Interim Nomination Unit« der »Boxing Independent Integrity Unit« den Niederländer Boris van der Vorst als einzigen Gegenkandidaten für unwählbar erklärt (Link öffnet neues Fenster) hatte.
Ihm und vier weiteren Personen, die jedoch nur für den Vorstand, aber nicht für das Amt des Präsidenten kandidierten, waren von der »Interim Nomination Unit« Verstöße gegen die Satzung des Verbandes vorgeworfen worden.
Ausgebootete Kandidaten wandten sich an Sportgerichtshof
Die solchermaßen ausgebooteten Kandidaten (neben Boris van der Vorst noch der US-Amerikaner Michael McAtee, der Neuseeländer Steve Hartley, der Schwede Per-Axel Sjöholm sowie der Däne Lars Brovil) hatten sich wegen ihrer Sperrung an den Internationalen Sportgerichtshof CAS in Lausanne gewandt.
Geringfügige Vergehen rechtfertigten keinen Ausschluss von Wahl
Der entschied nun, dass die von der Wahl ausgeschlossenen Kandidaten sich nur eines geringfügigen Verstoßes gegen die Wahlordnung schuldig gemacht hätten, der (wenn überhaupt) allenfalls mit leichten Sanktionen hätte belegt werden dürfen.
Zumal, so stellt der Sportgerichtshof fest, der amtierende Präsident Umar Kremlev gleich gehandelt habe, dafür aber nicht bestraft worden sei. Der Sportgerichthof entschied daher, der Beschwerde der fünf ausgebooteten Kandidaten stattzugeben.
Allerdings bewertete der Internationale Sportgerichtshof nur den Vorwurf des vorzeitigen Wahlkampfes. Die anderen erhobenen Vorwürfe (damit dürften die unterstellte Beteiligung an einer anderen internationalen Boxorganisation und die behauptete verbotene Zusammenarbeit zwischen Kandidaten gemeint sein) seien nicht Gegenstand des Verfahrens gewesen.
Muss die Wahl nun wiederholt werden?
Der Ausschluss der Kandidaten aufgrund eines vorzeitigen Wahlkampfes war also unzulässig. Etwas unklar bleibt, ob die anderen oben genannten Vorwürfe, die (eigenartigerweise) nicht Gegenstand der Bewertung des CAS waren, auch für sich genommen eine Sperrung der Kandidaten begründen könnten (zumindest aus Sicht der IBA bzw. der »Interim Nomination Unit«).
Allerdings würde sich die IBA wohl immer weiter ins Abseits stellen, wenn sie angesichts der CAS-Entscheidung nun eine Neuwahl verweigert. Die Reputation der »Interim Nomination Unit«, die vom CAS für ihre Entscheidung abgestraft wurde, darf als so beschädigt gelten, dass auch ihr Urteil in den anderen Punkten infrage gestellt ist.
IOC beobachtet die Vorgänge aufmerksam
Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hatte sich von den Vorgängen rund um die Wahl in Istanbul wenig begeistert gezeigt, wollte aber vor einer deutlicheren Stellungnahme erst die Entscheidung des Internationalen Sportgerichtshofes abwarten.
Man darf vermuten, dass sich das IOC in seiner Skepsis der IBA gegenüber nun einmal mehr bestätigt sieht. Kommt es zu keiner Neuwahl, dürfte sich die olympische Zukunft des Boxsports weiter verdunkeln.
Die Pressemitteilung des CAS in deutscher Übersetzung
Wir dokumentieren die englischsprachige Mitteilung des »Court of Arbitration for Sport« (CAS) vom 14. Juni 2022 in einer deutschen Übersetzung:
PRESSEMITTEILUNG
WAHL DES INTERNATIONALEN BOXVERBANDES (IBA)
DAS SCHIEDSGERICHT FÜR SPORT (CAS) GIBT DEN BESCHWERDEN VON BORIS VAN DER VORST, MICHAEL MCATEE, STEVEN HARTLEY UND PER-AXEL SJÖHOLM STATT
Lausanne, 14. Juni 2022 – Der Court of Arbitration for Sport (CAS) hat die Beschwerden von Boris van der Vorst, Michael McAtee, Steven Hartley und Per-Axel Sjöholm (die Beschwerdeführer) gegen die Entscheidung der Interim Nomination Unit (INU) der Boxing Independent Integrity Unit vom 12. Mai 2022 (die angefochtene Entscheidung), mit der sie bei den IBA-Wahlen vom 14. Mai 2022 als nicht wählbar für alle Gremien des Internationalen Boxverbands (IBA) eingestuft wurden, bestätigt. Die angefochtene Entscheidung wurde aufgehoben.
Zuvor, am 28. April 2022, hatte der INU-Vorsitzende die Angelegenheit an den IBA-Disziplinarausschuss verwiesen, um über die angeblichen Verstöße der vier Kandidaten gegen die Wahlordnung zu entscheiden. Am 11. Mai 2022 hatte der IBA-Disziplinarausschuss die vier Kandidaten für nicht schuldig befunden. Am nächsten Tag wurde die angefochtene Entscheidung von der INU veröffentlicht.
Der zuständige CAS-Schiedsrichter stellte fest, dass die Beschwerdeführer nur einen geringfügigen Verstoß gegen die IBA-Wahlordnung (vorzeitiger Wahlkampf) begangen hatten, der eine leichte Sanktion wie eine Verwarnung oder sogar keine Sanktion, nicht aber einen Ausschluss von der Wahl verdient hätte; außerdem stellte der Einzelschiedsrichter fest, dass der amtierende Präsident denselben geringfügigen Verstoß begangen hatte und dafür nicht sanktioniert worden war. Die übrigen Verstöße, die den Beschwerdeführern in der angefochtenen Entscheidung vorgeworfen wurden, wurden vom CAS-Schiedsrichter nicht berücksichtigt. In Anbetracht dessen und in Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung beschloss der Einzelschiedsrichter, den Beschwerden stattzugeben und die angefochtene Entscheidung aufzuheben.
Quelle: https://www.tas-cas.org/en/general-information/news-detail/article/cas-upholds-the-appeals-filed-by-boris-van-der-vorst-michael-mcatee-steven-hartley-and-per-axel-sj/ (Link öffnet neues Fenster)