Das vergangene Jahr hat uns vieles gelehrt. Unter anderem, dass Jahresausblicke eine riskante Sache sind. Unser letzter Versuch Anfang Januar des zurückliegenden Jahres war im März jedenfalls schon wieder Makulatur. Die Corona-Pandemie hatte zuerst China und spätestens ab März den Rest der Welt fest im Griff – und damit natürlich auch den Sport auf allen Ebenen. Die Folgen sind uns alle noch im Bewusstsein. Mehr noch: Sie sind lange noch nicht überwunden, denn die Pandemie dauert noch an. Daher wird sich dieser Versuch eines Ausblicks auf das neue Jahr zentral um die denkbaren oder sogar erwartbaren Auswirkungen der Pandemie auf unseren Sport drehen.
Die zweite Welle
Der Blick auf die vergangenen Monate der Pandemie zeigt deutlich: Radikale Lockdowns mit drastischer Reduzierung von Kontakten in möglichst vielen Lebensbereichen können die Pandemie eindämmen. Das ist nur logisch, denn wo Menschen sich nicht mehr begegnen, kann das Virus sich nicht mehr übertragen. Ebenso logisch ist aber auch der Umkehrschluss: Wenn wir Einschränkungen lockern und Kontakte wieder zulassen, wird sich das Virus erneut verbreiten. Auch das lässt sich beobachten, in Deutschland wie auch in anderen Ländern.
Ebenso ließ und lässt sich beobachten, was exponentielle Vermehrungsraten sind. Innerhalb äußerst kurzer Zeiträume können Zustände umkippen: Was letzte Woche noch möglich schien, ist eine Woche später schon ein absurder Gedanke. Wir erlebten dies mit der Geschwindigkeit, wie der erste Lockdown über uns kam. Wir erlebten dies erneut im Herbst, als uns ab Oktober die Infektionszahlen erneut – und noch viel stärker als während der ersten Welle – außer Kontrolle gerieten, obwohl (oder vielleicht: weil) die Mehrheit noch in gelassener spätsommerlicher Stimmung war.
Leider wirkten die kontaktbeschränkenden Maßnahmen des Herbstes und Winters weniger stark als erhofft. Sie konnten das exponentielle Wachstum zwar eindämmen, aber das Infektionsgeschehen stagnierte auf einem sehr hohen Niveau bzw. wuchs z.T. trotzdem noch weiter an.
Zum einen mag dies an einer gewissen Pandemiemüdigkeit der Menschen liegen, die Begegnungen in der Vorweihnachts- und Weihnachtszeit nicht immer so konsequent reduziert haben (Geschenkeinkäufe, Weihnachtsfeiern, Tagesausflüge in Skigebiete) bzw. nicht reduzieren konnten (Schule, Berufstätigkeit, Einzelhandel) wie noch im Frühjahr. Zum anderen könnte sich vielleicht erweisen, dass inzwischen wesentlich ansteckendere Virusmutationen das pandemische Geschehen stärker befeuern, so dass mit ähnlichen Maßnahmen, wie sie im Frühjahr noch wirksam waren, heute vielleicht nur geringere Steigerungen, jedoch keine notwendigen Senkungen der Infektionszahlen erzielt werden können.
Es ist immer noch – oder vielleicht mehr denn je – zu befürchten, dass ohne Trendwende das Gesundheitssystem überlastet wird und Erkrankte nicht mehr angemessen behandelt werden könnten.
Licht am Ende des Tunnels
Aus dem Spiel von Lockdown und Lockerung gibt es nur einen einzigen Ausweg: Die Immunisierung der Bevölkerung. Mit einem ersten zugelassenen Impfstoff und weiteren, deren Zulassung bevorsteht, ist eine Besserung der Lage zu erwarten.
Dazu kommt, dass der Effekt der zunehmenden Immunisierung zusammenfallen wird mit dem Eintritt in die wärmere Jahreszeit. Begegnungen werden dann wieder vermehrt draußen stattfinden können, was dem Virus weitere Übertragungswege nimmt. Vieles spricht dafür, dass wir den Sommer wohl noch nicht komplett normal, so aber doch wieder unter deutlich entspannteren Bedingungen genießen können – hoffentlich ohne im Herbst wieder in Lockdowns zubringen zu müssen.
Ein Glücksfall ist, dass die Entwicklung der Impfstoffe schneller ging, als man anfangs hoffen durfte. Und auch, dass zumindest der aktuell schon zugelassene Impfstoff hochwirksam zu sein scheint. Wichtig für den weiteren Verlauf der Pandemie werden noch zwei Fragen sein: Stoppt die Impfung auch die Weitergabe des Virus an andere, oder schützt sie »nur« vor einer Erkrankung? Und wie lange hält die Immunität der Impfung an?
Allerdings sollten uns bewusst sein: Die Immunisierung ist kein Automatismus. Die vor uns liegenden neun Monate müssen genutzt werden, um Schritt für Schritt bis zum Herbst eine Impfrate von mindestens 60 bis 70 Prozent zu erreichen. Andere Fachleute halten für eine sogenannte »Herdenimmunität« sogar eine Impfrate von 80 bis 90 Prozent für erforderlich. Hier sind enorme logistische Aufgaben bei der Beschaffung der Impfstoffe und Impfung der Bevölkerung zu lösen.
Doch die Logistik ist nur die eine Seite. Eine Impfpflicht schließt die Bundesregierung aus, also wird es auch von der Impfbereitschaft der Bevölkerung abhängen, ob und wann wir den Weg aus der Krise finden. Aktuell ist in dieser Frage noch Luft nach oben. Die mediale Präsenz von Impfgegnern scheint aktuell lauter als die der Impfbefürworter. Wissenschaft und Fakten haben nicht immer einen leichten Stand. Vermutlich wird die Bereitschaft zur Impfung aber mit den kommenden Monaten wachsen.
Fazit: Solange die die Herdenimmunität noch nicht erreicht ist, wird Boxsport selbst bei stark gesunkenem Infektionsgeschehen nur eingeschränkt und unter Beibehaltung von Hygienemaßnahmen möglich bzw. verantwortbar sein. Und selbst dann bleiben Risiken. Es sollte daher im ureigenen Interesse des Boxsports sein, verantwortungsvoll an der vollständigen Überwindung der Krise mitzuwirken, statt nur kurzsichtig auf Lockerungen oder Regelungslücken zu setzen.
Boxsport auch 2021 noch unter Einschränkungen
Der Boxsport wird ohne Herdenimmunität weder im Training noch im Wettkampf zur früheren Normalität zurückkehren können. Die üblicherweise im Frühjahr terminierten Landesmeisterschaften der Nachwuchsaltersklassen scheinen unter diesen Vorzeichen aus jetziger Sicht nicht recht vorstellbar. Im Sinne eines solidarischen Beitrags des Boxsports zur Überwindung der pandemischen Situation sowie zur Planungssicherheit der Vereine wäre es vielleicht gut, diese Wettbewerbe gleich in die zweite Jahreshälfte zu verschieben, statt Illusionen zu säen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit bald schon wieder einkassiert werden müssen. Letztendlich droht Verbänden (aber eine Ebene darunter auch Vereinen) auch ein Verlust an Glaubwürdigkeit, wenn ganz aktionistisch Pläne ausgerufen werden, die bei sachlichem Blick auf die Lage mindestens hinterfragbar sein dürften.
Eine solche Entscheidung würde auch Druck von den Vereinen nehmen, in denen ja eigentlich jetzt bald die Vorbereitung auf solche Meisterschaften beginnen müssten. Mindestens in der späten Phase einer solchen Vorbereitung würden (etwa mit Sparring und Trainingswettkämpfen) üblicherweise Trainingsformen erforderlich, deren Zulässigkeit für diesen Zeitraum aktuell nicht zu erwarten ist. Vor diesem Hintergrund würde das Festhalten an Meisterschaften in den Augen Außenstehender fast wie eine Aufforderung zu Verstößen gegen das Infektionsschutzgesetz wirken können. In der Außenwirkung wäre das nicht gut.
Die von den Behörden erlassenen beschränkenden Maßnahmen haben nach §28a Absatz 5 des Infektionsschutzgesetzes immer eine Befristung. Sie dürfen grundsätzlich nur für vier Wochen verhängt, wohl aber verlängert werden. Wenn also stets aufs neue Angaben zum Ende solcher Einschränkungen kursieren, so lässt sich daraus nicht ableiten, die Pandemie werde bis dahin überwunden sein. Inzwischen haben wir doch alle unsere Erfahrungen machen können und wissen, dass hier eher die strategisch gut eingeteilte Ausdauerleistung des Marathonläufers als die Qualitäten des Sprinters gefragt sind.
Diese gesetzlich verankerte Befristung sollte daher nicht den strategischen Planungshorizont der Sportverbände bestimmen. Unisono sagen die relevanten Fachleute voraus, dass die Lage mindestens bis zum Sommer noch Einschränkungen erfordern wird und gerade die unmittelbar bevorstehenden Monate die größte Herausforderung werden dürften.
Fazit: In den ersten zwei bis vier Monaten des neuen Jahres wird man im Bereich des Amateur- und Breitensports kaum mit Erleichterungen rechnen können, erst recht nicht für Indoor- und Kontaktsportarten. Auf Erleichterungen wird man wohl im April oder Mai hoffen dürfen, wenn steigende Temperaturen und wachsende Immunität durch Impfungen die Lage allmählich entspannen könnten. Die Lockerungen im Sport werden (so war es schon 2020) wahrscheinlich stufenweise erfolgen: Outdoorsport in Gruppen wird eher möglich sein als Indoorsport, Gruppengrößen werden vielleicht schrittweise wachsen dürfen. Die Erstellung und Beachtung von Hygienekonzepten für Training und Wettkampf dürfte uns noch bis in die zweite Jahreshälfte hinein begleiten, vielleicht auch noch durch das ganze Jahr hindurch. Die Aussichten für Meisterschaftsturniere in der zweiten Jahreshälfte stehen prinzipiell nicht schlecht – allerdings vielleicht ohne Zuschauer.
Box-Bundesliga
Unter den aktuellen und für die kommenden Monaten zu erwartenden Bedingungen dürfte auch eine Box-Bundesliga in der ersten Jahreshälfte des neuen Jahres kaum möglich sein. Jedenfalls nicht mit Zuschauern und an verschiedenen Austragungsorten und über einen längeren Zeitraum gestreckt.
Vielleicht wäre sie als radikal verdichtetes, mehrtägiges Turnier, bei dem alle Teilnehmer und Beteiligten nach vorangegangenen Testungen für den Zeitraum des Turniers in einer abgeschotteten und durch weitere Testungen überwachten »Bubble« leben, ohne Zuschauer theoretisch denkbar. In der Praxis dürfte das aber kaum durchführbar sein.
Der Aufwand wäre enorm, die Kosten wären es ebenso. Einnahmen sind hingegen kaum zu erwarten, wenn Zuschauer fehlen. Die Sponsoren der Ligavereine werden für eine solche Form der Liga auch wahrscheinlich nicht einspringen, denn sie haben in der Regel eher einen lokalen Bezug zu »ihrem« Verein. Für sie ist es daher kaum attraktiv, wenn die Kämpfe live im Internet gestreamt und bundesweit von einer begrenzten Zahl an Zuschauern verfolgt werden.
Sponsoren mit bundesweiter Wirkung und erforderlicher finanzieller Leistungskraft, die eine solch verdichtete Liga ermöglichen könnten und wollten, sind nicht in Sicht. Den Stellenwert (also die öffentliche Beachtung) hierfür müsste sich der olympische Boxsport erst in einem langjährigen Prozess der Wertsteigerung erarbeiten.
Fazit: Eine Bundesligasaison ist allenfalls wohl für das zweite Halbjahr 2021 zu erwarten. Die vielleicht größte Ungewissheit ist dabei, ob die Entwicklung der Pandemie dann Veranstaltungen mit (so vielen) Zuschauern erlaubt, dass für die interessierten Vereine eine Ligateilnahme realisierbar ist. Hier sind Zweifel erlaubt.
Olympische Spiele
Aktuell hält man beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC) und in Japan noch an den Olympischen Sommerspielen fest, nachdem sie – schon wegen der Corona-Pandemie – um ein Jahr von 2020 auf 2021 verschoben werden mussten. Sie sollen am 23. Juli 2021 in Tokio eröffnet werden.
Wenn es jedoch stimmt, dass wir in den kommenden zwei bis vier Monaten auf den Höhepunkt der Pandemie zusteuern, dann wären wir vermutlich im März / April in einer schlimmeren Lage als jene, die im letzten Jahr eine Absage der Spiele begründete. Allerdings mit dem Vorteil, die Pandemie besser zu kennen und einen gewissen Umgang mit ihr erlernt zu haben.
Doch gleichzeitig muss man ehrlicherweise feststellen, dass die gewachsenen Kenntnisse und mittlerweile entwickelten Umgangsstrategien die Pandemie schlussendlich noch nicht eindämmen konnten. Und sollte sich eine ansteckendere Mutation des SARS-CoV-2-Virus weltweit verbreiten (worauf aktuell einige Beobachtungen hinweisen), wird die Aufgabe einer Eindämmung nicht leichter.
Außerdem ist zu beobachten, dass die Wellen der Pandemie die unterschiedlichen Regionen der Welt zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlicher Stärke durchlaufen. Asiatische Länder, die in der ersten Welle besser bestanden als zum Beispiel Europa, melden aktuell Verschlechterungen (Link öffnet neues Browserfenster). Dazu zählen auch Südkorea und Japan, die lange als leuchtende Beispiele für ein gutes Pandemiemanagement galten.
Auch wenn das Gastgeberland Japan und das IOC vermutlich alles daran setzen werden, die Spiele irgendwie durchführen zu können (notfalls eben ohne Zuschauer und in einem dauergetesteten Schutzkokon von zehntausenden Beteiligten), so bleiben dennoch Fragezeichen über den Ringen stehen. Es könnte sich am Ende doch als eine zu mächtige Aufgabe erweisen, die Spiele in den Zeiten einer solchen Pandemie über die Bühne bringen zu wollen. Klar ist aber: Können die Spiele 2021 nicht ausgerichtet werden, kommt eine abermalige Verschiebung nicht mehr infrage. Hier hatte sich das IOC schon festgelegt. Der Blick würde sich in diesem Fall auf Paris richten, dem Gastgeber der Olympischen Spiele 2024.
Noch deutlichere Fragezeichen stehen über den vielen noch gar nicht abgeschlossenen Qualifikationswegen. Auch im Boxsport sind die Qualifikationen für Tokio schließlich noch nicht beendet. Von weltweit fünf Qualifikationsturnieren konnten wegen der Pandemie bislang nur zwei regulär durchgeführt werden (Afrika und Asien). Das Qualifikationsturnier für Europa musste im März 2020 nach dem dritten Wettkampftag coronabedingt abgebrochen werden. Sowohl das amerikanische wie auch das weltweite Qualifikationsturnier konnten schon gar nicht mehr beginnen.
Das unterbrochene Europaturnier soll nun eigentlich vom 22. bis zum 26. April 2021 in London am Stand seines Abbruchs fortgesetzt werden. Aus jetziger Sicht erscheint fraglich, ob das möglich sein wird, denn Großbritannien rutscht aktuell tiefer in die Corona-Krise als jemals zuvor. Eine erneute Verlegung dieses wie auch der beiden anderen, noch gar nicht begonnenen Turniere ist allein terminlich wohl kaum noch möglich. Möglicherweise muss die vom IOC eingesetzte Boxing Task Force auf AIBA-Ranglisten zurückgreifen, um über die Startberechtigungen für Tokio entscheiden zu können. Die AIBA wäre in diesem Fall auf unerwartete Weise und sozusagen durch die Hintertür doch wieder am olympischen Boxturnier beteiligt.
Solange die Olympischen Spiele nicht abgesagt werden, muss die bestmögliche Vorbereitung hierauf versucht werden. Und das (bei entsprechender Vorsicht) mit allen Trainingsformen und Trainingsmitteln, die hierfür erforderlich sind. Das schließt Maßnahmen ein, die für den boxsportlichen »Unter- und Mittelbau« während der andauernden Pandemie vielleicht nicht möglich sind. So sollte die Basis weniger empört fragen »Warum dürfen die, was wir nicht dürfen?«, sondern vielmehr erkennen, dass sich der olympische Boxsport in Tokio bestmöglich vertreten muss, um hierzulande insgesamt eine gewisse Relevanz zu wahren. So betrachtet kämpfen der DBV und die Kaderathleten in Tokio auch für den Vereinssport. Es ist vielleicht nur nicht immer in jedem Social-Media-Posting aller Athleten erkennbar.
Fazit: Ginge es um Wettquoten, wäre die Wahrscheinlichkeit für eine Austragung der Spiele vielleicht bei 60 – 70% zu sehen. Die Wahrscheinlichkeit einer planmäßigen Qualifizierung über die noch ausstehenden Qualifikationsturniere ist vielleicht bei 30% anzusetzen. Vielleicht findet sich ja ein Wettanbieter?
Vereinssport unter Corona
Der Vereinssport bildet die sportliche Breite und Basis des olympischen Boxens. Hier sind coronabedingt viele Klagen zu hören. Verständlich, denn eine Fortentwicklung von Sportlern wurde gleichsam fast eingefroren, weil es seit März 2020 über weite Strecken keinen regulären Sportbetrieb mehr gab. Es bleibt abzuwarten, ob dies eine erkennbare Wirkung auf das Leistungsniveau verschiedener Jahrgänge haben wird.
Die verordneten Einschränkungen des Sportbetriebes trafen leider nicht überall auf jenes Maß an Einsicht, das man sich erhofft hätte und das dem olympischen Boxsport gut gestanden hätte. Das ist weniger jungen Sportlern anzulasten, die eben tun wollen, wofür sie brennen und von denen man – ganz altersgemäß – auch nicht den Blick auf das »große Ganze« verlangen kann. Es waren eher zuweilen (über)ambitionierte Trainer, die in schattigen Nischen einer öffentlich wenig beachteten Randsportart zu Trainingsmitteln griffen, die andere aus Einsicht ausließen. In diesen Fällen hätte man sich manchmal resolutere Verbände gewünscht, die klare Regeln durchsetzen und damit für eine solidarische Gleichheit sorgen, wenn es auf der Basis der Einsicht eben nicht geschieht.
Doch der Blick soll auch bei diesem Thema weniger auf das abgelaufene Jahr als auf das neue, vor uns liegende Jahr gehen. So verständlich die Klagen über die sportlichen Einschränkungen auch sind: Es ist vielleicht hilfreicher, auch mal das große Potenzial des klassischen Vereinssports in dieser Krise stärker ins Blickfeld zu rücken.
Vereinssport hatte lange Zeit einen etwas angestaubten Ruf: Unflexibel die Trainingszeiten, wenig hip das Training in Schulsporthallen ohne Saunabereich und mit vielleicht nur wenigen funktionierenden Duschen, unbequem die Formalitäten wie Ämter, Versammlungen und Protokolle. Kommerzielle Sportanbieter boten da scheinbar mehr. Allerdings zu einem Vielfachen des Preises, mit festen Vertragslaufzeiten und ohne leistungssportliche Perspektiven, die fast zwangsläufig ausbleiben muss, wenn Sportler und Trainer sich als Kunde und Dienstleister begegnen.
In der Krise zeigt sich der Vereinssport nun überraschend überlebensfähig: Im Vergleich zu kommerziellen, privatwirtschaftlichen Sportangeboten (Fitnessstudios, Gyms etc.) ermöglicht er Sport zu den üblicherweise niedrigen Mitgliedsbeiträgen gemeinnütziger Vereine. Es ist ein Unterschied, ob jemand als Kunde eines privatwirtschaftlich betriebenen Gyms monatlich 50 oder 60 EUR zahlen soll (und keinen oder nur eingeschränkten Sport machen darf) oder ob jemand als Mitglied eines Vereins 10 EUR monatlich zahlen muss – dies zudem (und das ist von zentraler Bedeutung) in dem Wissen, damit nicht das Gewinninteresse einer Privatperson zu bedienen, sondern eine gemeinsam von allen Mitgliedern genutzte und geschätzte Struktur zu erhalten.
Es mag viele Sportvereine geben, die im Laufe der Zeit und im Trainingsalltag vergessen, den »Geist« eines Vereines zu vermitteln und immer wieder aufs Neue erfahrbar zu machen. Sie werden eine vergleichsweise geringe Bindungskraft entwickeln und in dieser Krise womöglich im überdurchschnittlichen Maß Mitglieder verlieren.
Diejenigen Vereine, die aber immer wieder erfahrbar werden lassen, was einen Verein im besten Fall ausmacht, dürfen in der aktuellen Krise hingegen auf eine vergleichsweise hohe Treue der Mitglieder hoffen. Die aktuelle Corona-Krise könnte also ermutigen, das solidarische Grundprinzip von Vereinen wieder stärker erkennbar zu machen. In einer Welt, in der die Durchsetzung von Einzelinteressen als Erfolgsweg propagiert wird, ist eine freiwillige, von gemeinsamen Interessen geleitete und nach demokratischen Regeln erfolgende Vergemeinschaftung ein interessantes Gegen- und womöglich in dieser Lage ausdrücklich auch ein Erfolgsmodell.