Anlässlich der Asienmeisterschaft der Schüler und Junioren in al-Ain (Abu Dhabi) hatte der asiatische Kontinentalverband ASBC am 31. August 2024 zu einem außerordentlichen Kongress eingeladen, bei dem als einziger Tagesordnungspunkt ein vom ASBC-Vorstand eingebrachter Antrag zum Wechsel von der IBA zu World Boxing zur Diskussion und Abstimmung stand.
36 von 43 Mitgliedern nahmen am Kongress teil
Von den 43 Mitgliedsverbänden der ASBC nahmen folgende 36 stimmberechtigt an dem international mit Spannung erwarteten Kongress teil:
Bahrain, Bhutan, Brunei, China, Hong Kong, Indonesien, Iran, Irak, Japan, Jordanien, Kambodscha, Kasachstan, Kirgistan, Laos, Libanon, Macau, Malaysien, Myanmar, Nepal, Ost-Timor, Pakistan, Palästina, Philippinen, Qatar, Saudi Arabien, Singapur, Sri Lanka, Syrien, Tadschikistan, Thailand, Taiwan, Turkmenistan, Vereinigte Arabische Emirate, Usbekistan, Vietnam und Jemen.
Indien war wegen einer nicht formgerechten Anmeldung lediglich als Gast ohne Stimmrecht auf dem Kongress vertreten. Gar nicht anwesend waren Afghanistan, Bangladesch, Nordkorea, Südkorea, Kuwait und die Mongolei.
(Rot gekennzeichnet sind jene Nationalverbände, die in individueller Entscheidung bereits vor diesem Kongress dem neuen Weltverband World Boxing beigetreten waren, ohne dabei ihre Mitgliedschaft in der ASBC aufzugeben bzw. zu verlieren.)
Usbekistan plädiert für Verbleib in der IBA, Japan für einen Wechsel zu World Boxing
In der Aussprache vor der Abstimmung ergriff unter anderem der Delegierte Usbekistans das Wort. Usbekistan hatte bei den zurückliegenden Olympischen Spielen in Paris in den sieben Gewichtsklassen der Männer fünf Goldmedaillen erkämpft und darf spätestens mit diesem Erfolg als ein Schwergewicht des olympischen Boxens gelten, dessen Meinung Gewicht beizumessen ist.
Der Delegierte Usbekistans sprach sich gegen einen Wechsel zu World Boxing aus: World Boxing, so seine Worte, sei eine neue Organisation mit einer nicht entwickelten Infrastruktur. Vor allem sei World Boxing noch nicht vom Internationalen Olympischen Komitee anerkannt, und man habe keine Garantie, dass eine Anerkennung erfolgen werde. Das Boxen in Asien habe große Erfolge vorzuweisen, die man bei einem Wechsel zu World Boxing ohne Zweifel verlieren werde.
Anders der Delegierte Japans: Er betonte, dass das Ziel, den olympischen Status des Boxens zu sichern, alle hier auf dem Kongress eine, der aber nur durch einen Wechsel zu World Boxing zu erhalten sei.
Weitere Redebeiträge betonten mehr oder weniger lediglich die Wichtigkeit einer Einheit innerhalb der ASBC, bezogen aber inhaltlich keine wirkliche Stellung.
Geheime Abstimmung endet mit Verbleib bei IBA
Nach der Aussprache, an der sich insgesamt nur 6 Nationalverbände mit durchweg kurzen Statements beteiligt hatten, und die deswegen angesichts der Brisanz des Themas recht knapp ausgefallen war, kam es schließlich zu der geheimen Abstimmung über einen Wechsel zu World Boxing.
Von den 36 stimmberechtigten Nationalverbänden sprachen sich 21 für den Verbleib bei der IBA aus, während hingegen 14 Verbände für einen Wechsel zu World Boxing stimmten. Eine Stimme war ungültig abgegeben worden. Damit haben die Mitglieder der ASBC einen geschlossenen Wechsel von der IBA zu World Boxing abgelehnt.
Wobei anzumerken ist, dass auch ein anderes Votum erst einmal wohl nur eine Absichtserklärung gewesen wäre, denn World Boxing prüft jeden Antrag eines Nationalverbandes auf Aufnahme ganz individuell. Ein »Sammeleintritt« eines gesamten Kontinentalverbandes mit allen Mitgliedern auf einen Schlag erschien kaum vorstellbar, vielleicht in dieser Form auch gar nicht möglich.
IBA begrüßt Entscheidung und spricht Warnung aus
Die IBA begrüßte die Entscheidung des Kongresses in einem noch am selben Tag veröffentlichten Statement (Link öffnet neues Fenster). Darin heißt es, dass politisch motivierte Absichten, sich World Boxing anzuschließen, die von einigen Mitgliedern unterstützt werden, unverantwortlich seien. Es gebe keinen vernünftigen Grund, sich einer Organisation anzuschließen, die keine Absicht habe, den Boxsport voranzubringen, sondern lediglich die persönlichen Ambitionen ihrer Führung verfolge.
Die IBA, heißt es in der Veröffentlichung weiter, sei sich wohl bewusst, dass Nationale Olympische Komitees (NOKs), die unter Druck des IOC stünden, politisch motivierte Kampagnen in ihren jeweiligen Ländern durchführten, indem sie nationalen Verbänden Druck machten, die IBA zu verlassen. Dies sei in erster Linie ein Eingriff in die Arbeit einer unabhängigen Organisation, ganz zu schweigen davon, dass Drohungen, die Finanzierung zu kürzen, falls die nationalen Verbände bei der IBA bleiben, dem Wohl der Athleten zuwiderliefen.
World Boxing, so die IBA, habe weder die finanziellen Mittel, das Fachwissen noch die Unterstützung, um irgendwelche bedeutenden Veranstaltungen zu organisieren, noch die Mittel, um ihre Mitglieder zu unterstützen, noch die Absicht, den Boxsport weiterzuentwickeln. World Boxing behaupte, dass sie den Boxsport im Herzen der Olympischen Spiele halten wollten, was an sich fair sei; allerdings kümmerten sie sich nicht um die Entwicklung des Sports in den Ländern, das Nachwuchsboxen und den Leistungsweg der Athleten.
World Boxing, fährt das Statement fort, habe kein Programm, keine Vision – nur die isolierte Idee, dass Boxen bei den Olympischen Spielen bleibe. Das möge kraftvoll klingen, sei aber in Wirklichkeit nicht genug, um Boxen zu einem erfolgreichen Sport zu machen. Boxen könne ohne Weltmeisterschaften und kontinentale Veranstaltungen, ohne Wettkämpfe für Elite‑, Jugend- und Junioren-Altersgruppen nicht überleben.
Das Statement schließt mit der Warnung an die Verbände, die IBA zu verlassen: Es werde keinen Weg zurück geben.
ASBC zeigt sich trotz Beschluss durchaus gespalten
Trotz des Votums gegen einen Beitritt zu World Boxing zeigt sich die Gemeinschaft der Verbände in der ASBC keineswegs so geschlossen, wie es einige Redner in der Aussprache vor der Abstimmung beschwören wollten und die IBA es gerne darstellt.
Von den anwesenden (und zugleich stimmberechtigten) Nationalverbänden hatten sich bereits fünf in individuellen Entscheidungen dem neuen Weltverband World Boxing angeschlossen: Philippinen, Singapur, Bhutan, Taiwan und Pakistan. Man wird daher annehmen dürfen, dass diese fünf Verbände bei der Abstimmung für einen Wechsel zu World Boxing gestimmt haben werden.
Wenn nun aber insgesamt 14 Verbände für einen Wechsel gestimmt haben, bedeutet dies, dass offensichtlich weitere neun Verbände ihre Zukunft lieber bei World Boxing sehen würden als unter dem Dach der IBA.
Da das Votum geheim durchgeführt wurde, kann man über ein Abstimmungsverhalten einzelner Nationalverbände natürlich nur spekulieren. Vermutlich wird man aber Japan zu den Befürwortern eines Wechsels zählen dürfen, wo doch der japanische Delegierte in der Aussprache vor der Abstimmung genau dafür geworben hatte. Auch bei Thailand und Kasachstan scheint gut vorstellbar, dass sie für einen Wechsel gestimmt haben könnten.
Zu den insgesamt 14 asiatischen Nationalverbänden, die auf dem Kongress für einen Wechsel zu World Boxing gestimmt haben, sind noch jene drei ASBC-Mitglieder hinzuzurechnen, die schon gewechselt haben, aber auf dem Kongress wegen Abwesenheit oder Formfehlern nicht abstimmen konnten: Indien, Mongolei und Südkorea.
Unter dem Strich heißt dies, dass 17 von 43 Mitgliedsverbänden ihre Zukunft unter dem Dach von World Boxing sehen. Acht haben diesen Schritt bereits vollzogen, weitere neun hätten ihn gerne im Rahmen dieses außerordentlichen Kongresses getan.
Es bleibt spannend abzuwarten, ob in den kommenden Wochen einzelne Verbände der ASBC (ebenso wie die acht bereits eingetretenen Nationalverbände) in individuellen Entscheidungen den Beitritt zu World Boxing betreiben werden.
ASBC-Präsident legt Vorstandsamt in der IBA nieder
Als Folge der Abstimmung legte ASBC-Präsident Pichai Chunhavajira (zugleich auch seit April 2024 thailändischer Finanzminister) noch am Tag des Kongresses seinen Posten im »Board of Directors« in der IBA nieder.
In einer Erklärung (Link öffnet neues Fenster) hierzu heißt es, er wolle unmissverständlich klarstellen, dass ihr (gemeint ist anscheinend der Vorstand der ASBC) Engagement für die Olympische Charta unerschütterlich bleibe. Sie würden mit allem, was sie hätten, dafür kämpfen, dass das Boxen seinen rechtmäßigen Platz bei den Spielen in Los Angeles 2028 behalte. Der olympische Geist sei tief mit dem Wesen unseres Sports verwoben, und sie würden nicht zulassen, dass dies kompromittiert wird.
In Anbetracht der heute getroffenen Entscheidungen habe er sich entschieden, von seinem Amt im IBA-Vorstand zurückzutreten. Diese Entscheidung sei nicht leicht gefallen, aber sie sei notwendig. Seine volle Konzentration und Energie werde er nun einem Ziel widmen: die Zukunft des Boxens bei den Olympischen Spielen zu sichern und sicherzustellen, dass die ASBC weiterhin ihre langjährige, wichtige Rolle in diesem Sport spiele.
Sie stünden an einem Scheideweg, aber er sei zuversichtlich, dass ihnen viele Wege offenstünden. Gemeinsam würden sie jede Option prüfen, jedes Hindernis überwinden und alles tun, um nicht nur das asiatische Boxen, sondern die gesamte globale Boxgemeinschaft zu retten. Dies sei ein Kampf, den man sich nicht leisten können zu verlieren, und er sei fest entschlossen, ihn zu führen.