
Vom 30. Juni bis zum 6. Juli 2025 war Kasachstan der Gastgeber und Ausrichter des »World Boxing Cups«. 29 teilnehmende Nationalverbände hatten insgesamt 250 Athlet*innen (127 Männer und 123 Frauen) in die kasachische Hauptstadt Astana entsandt. Nach sieben Tagen und 230 Wettkampfentscheidungen waren schließlich alle Medaillen in den jeweils zehn Gewichtsklassen der Frauen und Männer vergeben.
Astana als Standortbestimmung vor der WM
Vom 4. bis zum 14. September 2025 wird »World Boxing« in Liverpool (England) die ersten Weltmeisterschaften in der Altersklasse der Erwachsenen (Link öffnet neues Fenster) ausrichten. Vor diesem Wettkampfhöhepunkt bot das Turnier in Kasachstan den Nationalverbänden die Möglichkeit einer sportlichen Standortbestimmung. Vor allem jene Nationalverbände, die mit großen und im Geschlechterverhältnis ausgewogenen Teams am »World Boxing Cup« teilgenommen haben, werden genau überlegt haben, wen sie auf die Reise schicken – und sich im Nachgang ebenso eingehend die Ergebnisse anschauen, um daraus Schlüsse für die bevorstehenden Weltmeisterschaften zu ziehen. Es lohnt daher, sich mit dem zurückliegenden »World Boxing Cup« etwas eingehender zu befassen.
Groß und stark besetzter Wold Boxing Cup
Die Größe des Turniers verdeutlicht die stetig wachsende sportliche Bedeutung von »World Boxing« (Link öffnet neues Fenster) als dem neuen Weltverband des olympischen Boxens. Dessen vorläufige Anerkennung durch das Internationale Olympische Komitee (IOC) verlieh dieser Entwicklung noch einmal einen deutlichen Schub.
So haben sich mittlerweile (Stand August 2025) 118 Nationalverbände aus allen fünf Kontinenten dem neuen Verband angeschlossen, darunter inzwischen auch klassische Boxnationen wie etwa Kuba, Kasachstan und Usbekistan. Von den »großen Boxnationen« fehlt im neuen Weltverband eigentlich nur noch Russland – aus naheliegenden Gründen, wenn man die Entstehungsgeschichte von »World Boxing« berücksichtigt.

Europa und Asien dominieren das Feld der Teilnehmenden
Europa und Asien bilden auch im neuen Verband die Schwerpunkte des olympischen Boxens:
- Asien nahm mit 9 Nationalverbänden an dem Turnier teil und stellte 97 der 250 Boxer*innen (= 38,8 %). Die durchschnittliche Größe der asiatischen Teams betrug 10,8 Personen.
- Europa war mit 14 Nationalverbänden und ebenfalls 97 Athlet*innen in Astana vertreten (= 38,8 %). Die durchschnittliche Größe der europäischen Teams betrug 6,9 Personen.
Zusammen stellten die Nationalverbände dieser beiden Kontinente also 194 der 250 Boxer*innen (77,6 %). Aus Nord- und Südamerika kamen 41 Athlet*innen (16,4 %), aus Ozeanien 14 Sportler*innen (2,5 %). Das Schlusslicht bildete Afrika mit nur einer Teilnehmerin.
Kasachstan und Indien hatten mit jeweils 20 Boxer*innen die größten Teams in das Turnier geschickt und damit sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern jede der zehn Gewichtsklassen besetzt. Ihnen folgte die Türkei mit 19 Teilnehmer*innen (10 Frauen, 9 Männer). 14 Sportler*innen entsandten Australien, Brasilien und England. Frankreich und Südkorea waren mit 12 Athlet*innen angereist.
Die kleinsten Teams kamen aus Kroatien, Nigeria, Schweiz und der Slowakei: Aus diesen Nationen nahm jeweils nur eine Person am Wettbewerb teil. Kuba und China ließen den »World Boxing Cup« aus, ebenso Irland und Spanien, Thailand sowie Indonesien. Auffällig: Kirgistan entsandte nur Männer zum »World Boxing Cup«, Polen und Usbekistan hingegen ausschließlich Frauen.


Kasachstan führt im Medaillenspiegel
Im Medaillenspiegel des Turniers (Link öffnet PDF in neuem Fenster) nimmt der Gastgeber Kasachstan mit acht von zwanzig möglichen Goldmedaillen unangefochten den ersten Platz ein. Es folgen Brasilien und Indien mit jeweils vier bzw. drei Goldmedaillen. Australien, Usbekistan, Frankreich, Finnland und Norwegen erkämpften jeweils eine der verbliebenen fünf Goldmedaillen. Deutschland errang eine Silber- und eine Bronzemedaille. Im Medaillenspiegel bedeutet dies den 12. Platz, den sich Deutschland mit Bulgarien und der Mongolei teilt.
Medaillenspiegel nur bedingt aussagekräftig
Der Medaillenspiegel gewichtet Goldmedaillen sehr stark: Silber und Bronze berücksichtigt er erst in zweiter und dritter Linie, d. h. nur dann, wenn die gleiche Anzahl von Gold- bzw. Silbermedaillen sekundäre bzw. tertiäre Entscheidungskriterien erfordert.
Auf diesem Wege wäre ein Nationalverband mit überhaupt »nur« einer Goldmedaille im Medaillenspiegel über einem Verband platziert, der z. B. 10 Silber- und 9 Bronzemedaillen gewonnen hätte. Gute Leistungen unterhalb des ersten Platzes fließen also kaum noch ihn in ein.
Sportfachlich betrachtet ist der Medaillenspiegel daher nur von bedingter Aussagekraft, obwohl er (vor allem in den Medien und Ministerien) als die zentrale sportliche Erfolgsbilanz eines Wettbewerbs gilt.
Ranking erlaubt differenziertere Analysen
Aus fachlicher Sicht ist das Ranking nach NOC (Link öffnet PDF in neuem Fenster) wesentlich aufschlussreicher. Für diese Auswertung wird die gesamte Wettkampfleistung innerhalb des Turniers herangezogen. Die drei zentralen Auswertungen des »Rankings« sind:
- »Bouts per Boxer« (Kämpfe je Boxer, im folgenden mit »BpB« abgekürzt – Ein für jede teilnehmende Mannschaft errechneter Wert dafür, wie viele Kämpfe die Boxer*innen dieser Mannschaft durchschnittlich im Turnier absolviert haben. Je höher der Wert, desto besser die sportliche Leistung, denn die Boxer*innen haben sich im Turnier durch Siegleistungen weiter nach vorne boxen können. Im Gegensatz zum Medaillenspiegel werden bei diesem Wert also auch Kämpfe in Vorrunden berücksichtigt, die mit Medaillenrängen noch gar nichts zu tun haben. Ein Medaillenerfolg zählt hier einfach nur als ein weiterer Kampf.
- »Points« (Punkte) – Ein für jede teilnehmende Mannschaft errechneter Wert dafür, wie viele Siege das Team erringen konnte. Ein Sieg in Vorrunden- und Viertelfinalkämpfen zählt jeweils einen Punkt auf das Punktekonto der Mannschaft ein. Ein Halbfinalsieg bringt zwei Punkte, ein Sieg im Finale drei Punkte. Eine Niederlage bringt gar keinen Punkt. Zum einen fließt in diese Auswertung die Größe einer Mannschaft ein: Ein Nationalverband, der jede Gewichtsklasse besetzt und in den Vorrundenkämpfen auch einige der Vergleiche gewinnen kann, holt hier bereits Zählbares, obwohl niemand die letzten Turnierrunden erreicht. Zum anderen werden Siege in den letzten beiden Turnierrunden stärker gewichtet.
- »Points per Boxer« (Punkte je Boxer, im folgenden mit »PpB« abgekürzt) – Ein für jede teilnehmende Mannschaft errechneter Wert dafür, wie stark die individuelle sportliche Qualität der einzelnen Boxer*innen zum Mannschaftserfolg beiträgt. Ein kleines Team, das im Turnier mit seinen wenigen Sportler*innen weit kommt, wird hier einen höheren Wert erlangen, als ein großes Team, dass seine Punkte mit weniger Siegen vieler Boxer*innen sammelt.
Am Ende treffen alle diese drei Auswertungen eine differenzierte Aussage zur sportlichen Qualität der Teams als der Medaillenspiegel – nur eben mit jeweils etwas anderen Schwerpunkten.
Wirkliche »Top-Teams« erzielen in allen drei Auswertungen gute Ergebnisse: Sie sind
- mit großen Teams angetreten,
- mit vielen Boxer*innen (auch in großen Turniergruppen) weit gekommen und
- können auch auf Siege in Medaillenkämpfen verweisen.
Kasachstan, Indien und Brasilien zeigen in Astana starke Leistungen
Beim zurückliegenden »World Boxing Cup« in Astana trifft dies auf drei Nationen zu:
NOC | Teamgröße | Siege | Niederl. | Punkte | BpB | PpB | Gold | Silber | Bronze |
KAZ | 20 | 46 | 12 | 74 | 2,9 | 3,7 | 8 | 4 | 4 |
IND | 20 | 33 | 17 | 47 | 2,5 | 2,4 | 3 | 5 | 3 |
BRA | 14 | 27 | 10 | 41 | 2,6 | 2,9 | 4 | 2 | 1 |
Zum Vergleich die Werte Deutschlands:
NOC | Teamgröße | Siege | Niederl. | Punkte | BpB | PpB | Gold | Silber | Bronze |
GER | 7 | 5 | 7 | 6 | 1,7 | 0,9 | - | 1 | 1 |
Mit diesen drei Nationen wird bei der Weltmeisterschaft in Liverpool wahrscheinlich also zu rechnen sein. Bei der Vergabe der Medaillen werden sie wohl ein gewichtiges Wort mitreden. Namentlich bei Indien und Brasilien hatte sich der Weg in die Weltspitze seit längerer Zeit angedeutet. In Indien sind es dabei vor allem die Frauen, die sich in der internationalen Spitze immer stärker etablieren konnten. In Astana holten sie mehr Edelmetall als die Männer ihres Teams – vor allem aber gewannen sie sämtliche drei Goldmedaillen des Teams und trugen damit überproportional zur guten Teamleistung bei.
Usbekistan schonte seine Boxer
Auch Usbekistan wird in Liverpool ohne Zweifel zu den Top-Favoriten zählen. Der Weg der Usbeken an die Weltspitze ist schon seit einer Reihe von Jahren zu beobachten. Wie weit sie auf diesem Weg gekommen sind, zeigten die Olympischen Spiele 2024 in Paris: Usbekistan dominierte das Turnier und gewann im Wettbewerb der Männer fünf von sieben möglichen Goldmedaillen.
Allerdings: Nach Astana hatten die Usbeken mit neun Frauen ein für ihre Verhältnisse lediglich kleines Team entsandt, das eine Gold- und vier Bronzemedaillen errang und im Medaillenspiegel damit den fünften Platz belegte.
Die usbekischen Männer hatten den Weg nach Kasachstan gar nicht erst angetreten. Die boxsportliche Rivalität zwischen den beiden zentralasiatischen Boxnationen Kasachstan und Usbekistan mochte bei den Usbeken die Sorge begründet haben, auf dem Terrain des Rivalen unter vielleicht erschwerten Bedingungen um Siege kämpfen zu müssen – mit der möglichen Folge, den Medaillenspiegel ausgerechnet bei der Generalprobe kurz vor den Weltmeisterschaften womöglich nicht anzuführen.
Usbekistan lieferte Leistung stattdessen in Polen
Die usbekischen Männer waren stattdessen im Mai beim Felix-Stamm-Turnier in Polen angetreten, das in diesem Jahr in den Rang eines »World Boxing Cups« gehoben wurde.
In der polnischen Hauptstadt erkämpften die acht Usbeken sechs Gold- und zwei Bronzemedaillen und führten mit dieser Leistung den Medaillenspiegel an. Im Ranking erzielten sie ebenfalls beeindruckende Werte: Von 27 Kämpfen gewannen sie in Polen 24 Vergleiche. Durchschnittlich hatten die acht usbekischen Boxer in Warschau 3,0 Kämpfe und 4,8 Punkte je Boxer.
NOC | Teamgröße | Siege | Niederl. | Punkte | BpB | PpB | Gold | Silber | Bronze |
POL | 30 | 28 | 25 | 45 | 1,8 | 1,5 | 5 | 3 | 10 |
UZB | 9 | 24 | 3 | 43 | 3,0 | 4,8 | 6 | 1 | 2 |
Im Ranking belegten sie damit knapp hinter dem Gastgeber Polen den zweiten Platz, der seine Punkte aber hauptsächlich durch Masse erreichte: Die 30 (!) Boxer*innen, die Polen in das Turnier schickte, sammelten ihre Punkte hauptsächlich in vielen Vorrundenkämpfen. Dementsprechend hatten die polnischen Gastgeber in Warschau von 53 Kämpfen »nur« 28 gewinnen können. Das schlägt sich in vergleichsweise schlechten Werten für Kämpfe und Punkte je Boxer nieder, die mit denen der Usbeken bei weitem nicht mithalten konnten: Im Schnitt hatten polnische Boxer*innen in diesem Turnier nur 1,8 Kämpfe und konnten lediglich 1,5 Punkte sammeln. Die schiere Masse sorgte aber am Ende aber dennoch für Medaillen: Polen gewann fünf Gold‑, drei Silber- und zehn Bronzemedaillen – aber eben mit einem sehr hohen Personaleinsatz.
Bei den imposanten Ranking-Werten der Usbeken in Warschau ist allerdings zu berücksichtigen, dass Kasachstan und Indien in Polen nicht teilgenommen hatten. Wären sie in Warschau angetreten, hätte sich Usbekistan auf dem Weg zu den Medaillenplätzen vor allem mit der starken kasachischen Konkurrenz auseinandersetzen müssen. Allerdings trifft dies umgekehrt auch auf Astana zu: Dem Gastgeber Kasachstan sowie Indien und Brasilien blieb beim zurückliegenden »World Boxing Cup« der Vergleich mit den usbekischen Männern erspart – ein Vergleich, der die gute Bilanz der drei Nationen sicherlich spürbar getrübt hätte.
Und Kuba?
Kuba ist erst seit Mai dieses Jahres Mitglied im neuen Weltverband »World Boxing« – und somit unter dem neuen administrativen Dach noch nicht ganz angekommen. Zudem befindet sich das kubanische Boxen – immerhin in den Augen vieler Kenner fast jahrzehntelang das Maß der Dinge – augenblicklich in einer schwierigen Situation.
Die ökonomische Lage im sozialistisch regierten Kuba ist prekär. Dies verdeutlichten zuletzt noch einmal die landesweiten langen Stromausfälle im Oktober 2024 (Link öffnet neues Fenster). Es kann daher nicht verwundern, dass diese schwierigen wirtschaftlichen Umstände auch kubanische Spitzenathleten für die Verlockungen des kapitalistischen Auslandes empfänglich werden lassen. So wechselte etwa Andy Cruz Gomez (Olympiasieger 2021 in Tokyo sowie Weltmeister 2017, 2019 und 2021) nach einem 2022 bekannt gewordenen Fluchtversuch (Link öffnet neues Fenster) inzwischen in die USA und begann dort 2023 eine zweite Karriere als Profiboxer.
Auf der sozialistisch regierten Karibikinsel – Jahrzehnte eine Bastion des reinen olympischen Boxens, weil der 2016 verstorbene Revolutionsführer und spätere Regierungschef Fidel Castro das Profiboxen für eine kapitalistische Dekadenz hielt – beugte man sich inzwischen (vermeintlichen) Sachzwängen und erlaubte seinen Boxern (unter Steuerung des Verbandes) ein Engagement im Profiboxen. Wohl auch, um talentierte Sportler im Land zu halten und einem weiteren Substanzverlust vorzubeugen.
In dieser insgesamt turbulenten und schwierigen Gemengelage geriet das Erfolgsmodell »olympisches Boxen in Kuba« zuletzt fühlbar aus dem sonst so treffsicheren Takt: In Paris 2024 gewannen die fünf teilnehmenden männlichen Boxer »nur« zwei Medaillen (1 x Gold, 1 x Bronze). Den sonst fast schon abonnierten Spitzenplatz im Medaillenspiegel musste Kuba an Usbekistan abtreten, die an der Seine dominierten – und damit vielleicht eine Zeitenwende einläuteten.
Das deutsche Team in Astana
Der Deutsche Boxsport-Verband entsandte mit vier Männern und drei Frauen ein vergleichsweise kleines Team zu diesem »World Boxing Cup«. Zwei von ihnen erreichten Medaillenränge:
- Im Superschwergewicht der Männer (über 90 kg, 13 Teilnehmer in dieser Gewichtsklasse) gelang dies nach längerer Verletzungspause dem 25-jährigen Nikita Putilov. Er zog eines der drei Freilose und konnte somit das Achtelfinale überspringen. Durch Siege im Viertelfinale über den Bulgaren Morejon und im Halbfinale über den Inder Narender boxte er sich in das Finale des Turniers vor. Erst dort musste er sich dem Kasachen Aibek Oralbey geschlagen geben, so dass er am Ende eine Silbermedaille mit nach Hause nehmen konnte.
- Im Halbmittelgewicht der Frauen (bis 75 kg, 11 Teilnehmerinnen) erreichte die 24-jährige Leonie Müller einen Platz auf dem Siegerpodest. Ohne Freilosglück musste sie bereits im Achtelfinale starten, in dem sie die Französin Andrea Badin ausschaltete. Im Viertelfinale besiegte sie schließlich die US-Amerikanerin Marie-Angelis Rosendo. Mit diesen zwei Siegleistungen zog sie in das Halbfinale des Wettbewerbs ein, wo sie auf die Australierin Lekeisha Pergoliti traf. In diesem Vergleich musste sie der Konkurrentin den Vortritt lassen, so dass die Bronzemedaille der Lohn ihrer erbrachten Leistung wurde.
Vier der insgesamt fünf Siegleistungen des deutschen Teams sind also auf den Ertragskonten der beiden Medaillisten zu verbuchen. Den fünften Sieg trug Ben Ehis (Halbschwergewicht, bis 80 kg) zur deutschen Bilanz bei – er bezwang im Achtelfinale den Kanadier Denis Nickenson, bevor er im Viertelfinale ausschied. Maxi Klötzer (bis 51 kg), Tatjana Obermeier (bis 54 kg), Mouxime Abdoulay (bis 75 kg) und Tyron Amo (bis 90 kg) blieben in Kasachstan ohne Sieg.
Im Medaillenspiegel sorgten die Silber- und die Bronzemedaille für einen 12. Platz, den sich Deutschland mit Bulgarien und der Mongolei teilt. Im sportlich aussagekräftigeren Ranking (s.o.), das die Leistung nach den insgesamt durch die Teams erlangten Punkte sortiert, belegt das deutsche Team den 14. Platz. Die relevanten Auswertungen hier:
NOC | Teamgröße | Siege | Niederl. | Punkte | BpB | PpB | Gold | Silber | Bronze |
GER | 7 | 5 | 7 | 6 | 1,7 | 0,9 | - | 1 | 1 |
DBV-Team: Kämpfe je Boxer (BpB)
Bei den Kämpfen je Boxer erreichte das deutsche Team mit 1,7 BpB einen durchschnittlichen Wert. Es teilt sich diesen Wert mit Norwegen und England.
Besser waren hier 14 Teams: Mongolei, Bulgarien, Philippinen, Kirgistan (alle 1,8), Usbekistan, USA, Japan (alle 1,9), Finnland, Nigeria, Slowakei (alle 2,0), Frankreich (2,4) und die wirklichen Top-Teams des Turniers Indien (2,5) Brasilien (2,6) und Kasachstan (2,9).
Schlechter waren in dieser Auswertung 13 Teams: Türkei (1,6), Aserbaidschan, Dominikanische Republik, Schweden (alle 1,5), Taiwan, England, Australien (alle 1,4), Polen (1,3), Italien, Südkorea (beide 1,2), Schweiz, Kroatien und Kanada (alle 1,0).
Dabei muss man jedoch berücksichtigen, dass die Slowakei und Nigeria den Wert von 2,0 BpB mit nur je einer Person erreichten, die im Turnier jeweils einen Sieg und eine Niederlage erzielte. Eine Aussage zur boxsportlichen Qualität lässt sich auf dieser kleinen Datengrundlage nicht seriös treffen. Denn Individualfaktoren (Glück, Pech, aber auch Einzeltalent) schlagen in dieser Wertung umso stärker durch, je kleiner die Teams sind. Der Wert wird umso aussagekräftiger, je größer die Teams sind, die zu ihm beitragen.
Ein sinnvoller boxsportlicher Vergleich auf der Grundlage dieser Auswertung nach Kämpfen je Boxer muss also die Teamgröße berücksichtigen. Schauen wir also auf die Teams, die in Astana in gleicher oder ähnlicher Größe wie Deutschland vertreten waren (bis zu 2 Sportler größer oder kleiner):

Exakt die gleiche Teamgröße (7 Personen) hatten Taiwan und Polen. Im Vergleich mit diesen beiden Teams war das deutsche Team mit 1,7 BpB effizienter:
- Polen bestritt im Turnier 9 Kämpfe, von denen nur 2 gewonnen werden konnten, aber 7 als Niederlage verbucht werden mussten. Für eine Medaille reichte dies nicht. Bei den »Kämpfen je Boxer« reichte dies für den Wert von 1,3 BpB.
- Taiwan absolvierte in Astana 10 Kämpfe, in denen 3 Siege gelangen, jedoch 7 Niederlagen hingenommen werden mussten. Allerdings sprang dabei im Federgewicht der Frauen (bis 57 kg) eine Bronzemedaille heraus. Bei den »Kämpfen je Boxer« (Bouts per Boxer) bedeutete dies einen Wert von 1,4 BpB.
DBV-Team: Points per Boxer (PbB)
Das Team des DBV erreichte in dieser Auswertung mit 0,9 PbB ebenfalls einen durchschnittlichen Wert. Es teilt sich diesen Wert mit der Mongolei und Bulgarien.
Besser waren in dieser Kategorie 12 Teams: Kasachstan (3,7), Brasilien (2,9), Indien (2,4), Norwegen (2,0), Frankreich, Finnland (beide 1,8), Usbekistan (1,3), Japan, Philippinen, Slowakei, Nigeria und die USA (alle 1,0).
Schlechter waren hier 14 Teams: Australien, Kirgistan (beide 0,8), Türkei (0,7), Aserbaidschan, Dominikanische Republik, Schweden (alle 0,5), England, Taiwan (beide 0,4), Polen (0,3), Südkorea, Italien (beide 0,2), Kanada, Kroatien und die Schweiz (alle 0 Punkte).
Auch bei diesem Wert ist es sinnvoll, in erster Linie größengleiche oder größenähnliche Teams zu vergleichen. Noch einmal also ein Blick auf die Teams mit fünf bis neun Personen:

Beide größengleichen Teams im Turnier konnten die Sportlerinnen und Sportler des DBV deutlich hinter sich lassen:
- Polen erreichte mit 7 Personen in 9 Turnierkämpfen nur 2 Siege. Das entspricht lediglich 0,3 PbB und ist der drittniedrigste Wert aller Teams in diesem Turnier.
- Taiwan erreichte mit einem gleich großen Team 3 Siege in 10 Kämpfen. Das reichte für 0,4 PpB. Zwar sprang für Taiwan dabei mit einem Viertelfinalsieg eine Bronzemedaille heraus, aber in der Auswertung des Boxpointers werden erst Halbfinal- und Finalsiege mit einem Bonus von einem bzw. zwei zusätzlichen Punkten honoriert. Von diesem Bonus profitierte Taiwan also nicht – wohl aber Deutschland, das durch die Silbermedaille einen zusätzlichen Punkt einstreichen konnte und daher bei den »Punkten je Boxer« auf 0,9 PbB springen konnte.
Unter den anderen, größenähnlichen Teams stechen in diesem Vergleich zwei Nationen mit guten Werten heraus:
- Finnland erreichte mit 5 Personen einen Wert von 1,8 PbB. Die Finnen gewannen 6 von 10 Kämpfen. Eine Goldmedaille brachte ihnen einen 2‑Punkte-Bonus.
- Die neun usbekischen Frauen (Usbekistan nahm ausschließlich mit Frauen teil) gewannen 9 von 17 Kämpfen und eine Goldmedaille. Mit dem Medaillenbonus reichte dies für 1,3 PbB.
Die bevorstehenden Weltmeisterschaften in Liverpool werden für das deutsche Team kein Spaziergang. Das war aber natürlich auch nicht zu erwarten gewesen. Die stärker gewordene Konkurrenz wird auch für Athlet*innen des DBV den Weg auf das Siegerpodest länger und schwieriger machen.
Kurz vor der WM konnte vor allem Leonie Müller noch einmal Leistungsnachweise abliefern. Jetzt in Kasachstan holte sie mit zwei Siegleistungen über Frankreich und die USA Silber. Beim Feliks-Stamm-Turnier in Warschau (Mai 2025) gewann sie mit zwei Siegen über Brasilien und die Türkei Gold. Im November 2024 sicherte sie sich mit drei Siegen die Deutsche Meisterschaft.
Die wirklichen Verlierer des Turniers
Mit den Ergebnissen in Astana werden einige Nationen gar nicht zufrieden sein können. Dies betrifft vor allem Kanada, Italien, Südkorea und England.
Kanada hatte immerhin 10 Boxer*innen über den Atlantik geschickt. Sie mussten ohne einen einzigen Sieg die Rückreise antreten. Die Rechenaufgabe ist hier einfach: Bei »Kämpfen je Boxer« reichte das für 1,0 BpB. Bei »Punkten je Boxer« für eine glatte Null. Weniger geht nicht. Bei dieser doch respektablen Teamgröße, die den Einfluss von Zufällen schon deutlich einschränkt, darf man das als desaströs bezeichnen.
Italien war mit 6 Boxer*innen in Kasachstan angetreten. Sie konnten 7 Kämpfe bestreiten, davon aber nur einen gewinnen. Das reichte für 1,2 BpB und 0,2 PbB. Beim Feliks-Stamm-Turnier in Warschau hatte das noch ganz anders ausgesehen: Dort hatten die 9 Boxer*innen Italiens von 21 Kämpfen immerhin 15 gewinnen können (2,3 BpB und 3,0 PbB). Allerdings hatte man ein in weitesten Teilen verändertes Team nach Kasachstan geschickt: Nur ein Sportler, der in Warschau dabei war, war auch in Kasachstan im Team (Salvatore Attrativo). In Italien wird man daraus sicherlich Schlüsse ziehen.
Südkorea war ebenfalls mit einem eher größeren Team im Turnier vertreten. Die 12 Athletinnen und Athleten bestritten 14 Kämpfe, erzielten aber nur 2 Siege. Im Ergebnis reichte dies für 1,2 BpB und 0,2 PbB.
In England (immerhin Gastgeberin der Weltmeisterschaften im September) wird man von den Resultaten in Astana ebenfalls »not amused« gewesen sein. Die immerhin 14 Sportler*innen von der Insel standen insgesamt 20 mal im Ring, verließen ihn aber nur 6 mal als Sieger bzw. Siegerin. Das reichte zwar für 2 Bronzemedaillen bei den Männern und für 1 Bronzemedaille bei den Frauen, kann aber die dürftige sportliche Teamleistung dennoch kaum kaschieren: Es reichte nur für 1,4 BpB und 0,4 PbB.
Liverpool als Herausforderung für die Gründungsmitglieder von World Boxing
Im Oktober 2024 richtete »World Boxing« seine erste Weltmeisterschaft aus. In Pueblo (USA) kämpfte die Altersklasse U19 (Jugend) um Medaillen. An dem Turnier nahmen damals Sportlerinnen und Sportler aus 31 Nationen teil. Der neue Weltverband des olympischen Boxens »World Boxing« hatte zu diesem Zeitpunkt 55 Mitglieder – und war (als Nachwirkung seiner Gründungsgeschichte) westlich bzw. westeuropäisch dominiert.
»World Boxing« ist seitdem deutlich gewachsen. Einen deutlichen Schub erhielt die Entwicklung des Verbandes noch einmal durch seine vorläufige Anerkennung durch das IOC im Februar 2025: Inzwischen sind mit Ausnahme Russlands alle boxsportlich oder sportpolitisch relevanten Nationen dem neuen Weltverband beigetreten.
Vor allem der Beitritt starker asiatischer Nationalverbände (allen voran Usbekistan und Kasachstan, aber auch Indien) hat die »Kräfteverhältnisse« innerhalb des Verbandes markant verändert. Man darf daher annehmen, dass im September die boxsportlichen Verhältnisse wieder zurecht gerückt werden.
Die Gründungsmitglieder des neuen Weltverbandes werden sich in Liverpool also vermutlich warm anziehen müssen. Weniger wegen des in England immer möglichen kühlen Regenwetters, sondern wegen der im Weltverband gestiegenen sportlichen Qualität und Konkurrenz.
Die Zeit des fast ein wenig familiären Miteinanders der in Aufbruchstimmung vereinten Gründungsmitglieder dürfte mit dem Turnier in Liverpool wahrscheinlich enden. Für einen Weltverband eine ganz normale Entwicklung.