
Der neue Weltverband des olympischen Boxens »World Boxing« hat am 20. August 2025 eine Richtlinie (»Sex Eligibility Policy«, Link öffnet neues Fenster) zum Umgang mit und zur Bestimmung der geschlechtlichen Identität von Boxerinnen und Boxern veröffentlicht (Link öffnet neues Fenster).
Eine Zusammenfassung der wichtigsten Punkte
Die Kernpunkte dieser am Tag ihrer Veröffentlichung in Kraft getretenen Richtlinie sind:
- Der Verband unterteilt den Sport hinsichtlich des Geschlechts in eine weibliche und in eine männliche Kategorie.
- Um in der weiblichen Kategorie starten zu können, muss eine Athletin bei Geburt weiblich gewesen sein. Um in der männlichen Kategorie starten zu können, muss ein Athlet bei Geburt männlich gewesen sein.
- Alle Sportlerinnen und Sportler, die das achtzehnte Lebensjahr vollendet haben und in einem Wettbewerb antreten wollen, der von »World Boxing« durchgeführt, beaufsichtigt oder vergeben wird, müssen ihre Zugehörigkeit zu einer der beiden Geschlechtskategorien einmalig nachgewiesen haben.
- Der Nachweis ist durch einen PCR-Test (oder einem funktional vergleichbaren Test) zu erbringen, der auf Vorhandensein bzw. Abwesenheit von genetischem Material der XX-Chromosomen oder Y‑Chromosomen prüft.
- Dabei gilt die getestete Person als von Geburt an männlich und darf bzw. muss somit in der Kategorie der Männer starten,
- wenn bei dem Test genetisches Material von Y‑Chromosomen gefunden wird oder
- bei einer Variante der Geschlechtsentwicklung (DSD), bei der eine männliche Androgenisierung erfolgt ist.
- Dabei gilt die getestete Person als von Geburt an weiblich und darf bzw. muss somit in der Kategorie der Frauen starten,
- wenn bei dem Test genetisches Material von XX-Chromosomen oder kein genetisches Material von Y‑Chromosomen gefunden werden oder
- bei einer Variante der Geschlechtsentwicklung (DSD), bei der keine männliche Androgenisierung erfolgt ist.
- Wenn bei Testungen der als Frauen gemeldeten Personen Auffälligkeiten (etwa genetisches Material von Y‑Chromosomen) gefunden werden, sind weitere Testungen vorgesehen.
- Verantwortlich für die Testungen sind die Nationalverbände. »World Boxing« kann eigene Testungen durchführen. Für gefälschte Testungen sind Sanktionen vorgesehen.
- Personen, die ihr Geschlecht nach der Geburt gewechselt haben, müssen in der Geschlechtskategorie starten, der sie nach Sicht des Verbandes bei Geburt angehört haben.
Einen besonderen Handlungsbedarf sieht »World Boxing« in der Kategorie der Frauen. Daher wird diese Richtlinie bei der bevorstehenden Weltmeisterschaft in Liverpool (04.09. – 14.09.2025) im Wettbewerb der Frauen bereits angewendet. Ab dem 01.01.2026 gilt diese Richtlinie schließlich auch für Männer, die dann vor einer Teilnahme an den betreffenden internationalen Wettbewerben die Zugehörigkeit zur männlichen Geschlechtskategorie nachweisen müssen.

Das IOC übertrug 2021 die Regelung dieser Fragen den Verbänden
Lange Zeit hatte das IOC sich daran versucht, für die Fragen rund um geschlechtliche Identitäten eine allgemeingültige Regelung zu finden. Die verschiedenen Ansätze und Ergebnisse waren unter dem Strich allesamt wenig überzeugend – in früheren Jahren, als mitunter noch äußere Geschlechtsmerkmale inspiziert wurden, wurden sie sogar vielfach als sehr entwürdigend empfunden.
2021 legte das IOC dieses heikle Thema schließlich mit dem »Framework on Fairness, Inclusion and Non-Discrimination on the Basis of Gender Identity and Sex Variations« (Link öffent neues Fenster) in die Verantwortung der einzelnen Sportfachverbände. Diese seien mit Blick auf die spezifischen Bedingungen der durch sie vertretenen Sportarten am ehesten in der Lage, eine angemessene Lösung zu finden. Allerdings machte das IOC dabei zur Auflage, dabei so inklusiv wie möglich, frei von Diskriminierungen und auf der Basis von Fakten vorzugehen.
Die nun von »World Boxing« veröffentlichte Richtlinie erledigt also die vom IOC auferlegten Hausarbeiten. Im Ergebnis ähnelt sie den Regelungen anderer Weltverbände. So hat etwa der Weltverband der Leichtathletik »World Athletics« ganz ähnliche Regelungen getroffen (Link öffnet neues Fenster).
Kommentar von Ralf Elfering
Manchmal gibt es nicht für alles gute und einfache Lösungen
Die jetzt veröffentlichte »Sex Eligibility Policy« des Weltverbandes greift ein heißes Eisen auf. Und man wird sich sicher sein dürfen: Die Personen und Kommissionen, die bei »World Boxing« mit dem Thema befasst waren, werden einigen Schweiß vergossen haben – und am Ende das Dokument dennoch nicht ganz ohne Herzklopfen veröffentlich haben.
Allen wird noch in Erinnerung sein, welche Sprengkraft (Link öffnet neues Fenster) das Thema »Gender« 2024 bei den Olympischen Spielen in Paris hatte, als zwei Boxerinnen vorgeworfen wurde, zu Unrecht in der Kategorie der Frauen gestartet zu sein und am Ende Gold gewonnen zu haben.
Das Internationale Olympische Komitee (IOC) – nach dem Ausschluss der IBA zum zweiten Mal für das olympische Boxturnier zuständig – hatte bei beiden Athletinnen (die übrigens zuvor jahrelang in der Zuständigkeit der IBA bereits als Frauen geboxt hatten) den Geschlechtseintrag im amtlichen Pass zur Grundlage ihrer Teilnahme am Frauenturnier gemacht.
Das Thema geriet völlig in die Dynamik der sportpolitischen Auseinandersetzungen zwischen dem russisch geführten ehemaligen olympischen Boxverband IBA und dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC). Offensichtliche Trollarmeen und Fake-Websites (Link öffnet neues Fenster) heizten die Stimmung in den sozialen Medien an und inszenierten das Thema – darin aktuellen gesamtpolitischen Konfliktlinien folgend – als einen Kulturkampf zwischen Ost und West.
Einen seiner beschämenden Tiefpunkte erreichte die Sache, als in den Kommentarspalten ganz überwiegend Männer bei beiden Sportlerinnen obsessiv Faltenwürfe der Hosen als Zeichen der Geschlechtszugehörigkeit deuteten. Sie gaben vor, die Rechte der »biologischen Frauen« verteidigen zu wollen, offenbarten dabei aber eine männlich-toxische Aggressivität, die für Frauen (und viele weitere) immer schon potenziell lebensbedrohlich gewesen ist.
Solchermaßen politisch instrumentalisiert und befeuert, dominierte die Causa phasenweise die Berichterstattung von den Olympischen Spielen. Sogar Regierungschefs (Link öffnet neues Fenster) verschiedener Staaten griffen die Angelegenheit auf.
»World Boxing« hält im Boxsport nun an der aus seiner Sicht unveränderlichen und binären Einteilung in zwei Geschlechtskategorien (männlich und weiblich) fest. Dies kann nicht wirklich überraschen. Im Unterschied zu den Kommentarspalten der sozialen Medien sieht man dies in weiten Teilen der wissenschaftlichen Welt inzwischen zwar differenzierter, aber der Sport im Allgemeinen und der Boxsport im Speziellen ist nicht gerade bekannt dafür, avancierte Positionen zu vertreten.
Vor diesem Hintergrund ist die neue Richtlinie des Weltverbandes »World Boxing« sogar noch vergleichsweise empathisch formuliert, spricht sie doch z. B. mit Blick auf Transgender-Personen von Respekt und Würde. Hier sind in der Wortwahl deutliche Unterschiede zum wutenbrannten Getrampel der IBA zu spüren, obwohl auch »World Boxing« in dieser Sache am Ende eine vergleichbare Position einnimmt. Oft ist es aber eben auch der Tonfall, der die Musik macht.
Die Angelegenheit jedoch auf einen sporttypischen Konservatismus reduzieren zu wollen, greift zu kurz. Der Verband verweist bei seiner Entscheidung auf die besonderen Bedingungen in einer Kampfsportart wie dem Boxen, in der es legitim ist, dem Gegner bzw. der Gegnerin körperlichen Schaden zuzufügen. Dies, so »World Boxing«, führe zu der besonderen Herausforderung (»unique safety challenge«), durch Richtlinien für einen fairen, vor allem aber auch für einen sicheren Wettbewerb zu sorgen.
Man wird diese Erwägungen in der Tat nicht einfach als komplett unbegründet beiseite wischen können. Es könnte immerhin sein, dass der Boxsport vielleicht ein ganz besonders kompliziertes Terrain ist, auf dem sich der völlig legitime Anspruch auf eine freie Selbstbestimmung der geschlechtlichen Identität einerseits und die Fairness im Wettbewerb und die Sicherheit der Beteiligten andererseits nicht wirklich gut und simpel unter einen Hut bringen lässt.
Womöglich muss man das erst einmal (zähneknirschend) aushalten. Erträglich ist es allerdings nur, solange glaubhaft ist und bleibt, dass diese Entscheidungen nicht leichtfertig oder aus toxischem Chauvinismus heraus getroffen wurden, sondern im Zweifel Erwägungen der Sicherheit den Vorrang hatten.