Recht­li­che Dimen­sio­nen des Box­sports: Boxen aus straf­recht­li­cher Perspektive

Warum im Boxsport Körperverletzungen (meist) ohne Folgen bleiben

Die Autorin des Tex­tes Arlet­te Grei­tens ist akti­ves Mit­glied der Box­ab­tei­lung des FC St. Pau­li. Nach ihrem Stu­di­um der Rechts­wis­sen­schaf­ten an der Buce­ri­us Law School absol­vier­te sie 2020 ihr Ers­tes Staats­examen. Zur­zeit ist sie Wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­te­rin und pro­mo­viert an der Hel­mut-Schmidt-Uni­ver­si­tät in Hamburg.

Der Box­sport hat es zur­zeit nicht leicht. In unse­rem Fall ist die Sport­hal­le schon fast ein Jahr geschlos­sen, ein regu­lä­res Trai­ning fin­det nicht statt und auch Wett­kämp­fe wer­den abge­sagt. Kein Geräusch auf­schla­gen­der Box­hand­schu­he und quiet­schen­der Box­sä­cke, alles liegt auf Eis. Wenn wir uns in die­sen Zei­ten schon nicht kör­per­lich aus­las­ten kön­nen, so bleibt uns doch Zeit zum Nach­den­ken. Zum Bei­spiel dar­über, war­um Kampf­sport­ar­ten wie das Boxen, in denen wir uns regel­mä­ßig ein blau­es Auge, eine blu­ti­ge Nase oder gar Schlim­me­res zuzie­hen, über­haupt erlaubt sind. Auf wel­cher recht­li­chen Grund­la­ge fußt der Box­sport? Was haben Ver­ei­ne, Trai­ne­rIn­nen und Sport­le­rIn­nen in Trai­ning und Wett­kampf zu beach­ten, um sich im Bereich des Erlaub­ten zu bewe­gen? Mit die­sen Fra­gen beschäf­tigt sich der fol­gen­de Bei­trag. Bei den Ant­wor­ten han­delt es sich (wie im Recht üblich) um die sub­jek­ti­ve juris­ti­sche Ein­schät­zung der Autorin. Für den Groß­teil der genann­ten Fall­grup­pen gibt es bis­her weder gesetz­li­che noch gericht­li­che Direk­ti­ven. Es besteht des­halb kei­ne Gewähr dafür, dass ein ent­spre­chen­der tat­säch­li­cher Fall auf glei­che Wei­se ent­schie­den wer­den würde.

Das Ver­hält­nis von Kampf­sport und Strafrecht

Kampf­sport hat inso­weit mit dem Straf­recht zu tun, als Aus­üben­de sich der Gefahr aus­set­zen, sich gegen­sei­tig zu ver­let­zen. Unse­re Gesund­heit, unse­re kör­per­li­che Unver­sehrt­heit und unser Leben haben wir in unse­rer Ver­fas­sung als eini­ge der wich­tigs­ten Güter fest­ge­schrie­ben; wir wol­len grund­sätz­lich nicht, dass wir uns gegen­sei­tig kör­per­lich ver­let­zen. Weil das deut­sche Straf­recht zunächst ein­mal Mit­tel des Staa­tes ist, gesell­schaft­lich uner­wünsch­tes Ver­hal­ten zu sank­tio­nie­ren, gibt es im Straf­ge­setz­buch (StGB) geschrie­be­ne Geset­ze, die Kör­per­ver­let­zun­gen unter bestimm­ten Vor­aus­set­zun­gen unter Stra­fe stel­len. Ver­ur­sacht ein Spar­rings­part­ner durch meh­re­re Schlä­ge eine Gehirn­er­schüt­te­rung beim ande­ren, erfüllt er hier­mit bereits die Tat­merk­ma­le einer straf­ba­ren Kör­per­ver­let­zung (§ 223 Abs. 1 StGB). Auch wenn Kampf­sport deutsch­land­weit in unzäh­li­gen Ver­ei­nen gelehrt und trai­niert wird, geht man in der Rechts­wis­sen­schaft und ‑pra­xis nicht davon aus, dass die Teil­nah­me am Kampf­sport ein gesell­schaft­lich grund­sätz­lich aner­kann­tes Ver­hal­ten ist. Es ist kein gebil­lig­tes, soge­nann­tes »sozi­al­ad­äqua­tes« Ver­hal­ten, wel­ches straf­frei ist.1 Jedes Mal also, wenn wir jeman­den beim Boxen so tref­fen, dass wir dadurch Schmer­zen bei ihm oder ihr ver­ur­sa­chen, die das »kör­per­li­che Wohl­be­fin­den« beein­träch­ti­gen, erfül­len wir zunächst ein­mal den Tat­be­stand der Körperverletzung. 

Die Ein­wil­li­gung als Rechts­fer­ti­gungs­grund für Kör­per­verletzun­gen

Der Straf­bar­keit ent­ge­hen wir aber dadurch, dass die Per­son, die wir poten­zi­ell »ver­let­zen«, in eben jene Ver­let­zungs­hand­lung ein­wil­ligt. Durch die soge­nann­te »recht­fer­ti­gen­de Ein­wil­li­gung« kann eine Per­son zustim­men, dass jemand ande­res ihre indi­vi­du­el­len Rechts­gü­ter, also etwa ihr kör­per­li­ches Wohl­be­fin­den oder ihr Eigen­tum, ver­letzt. So kann man auch einem Schlüs­sel­dienst erlau­ben, das Tür­schloss der eige­nen Woh­nung auf­zu­bre­chen, wenn man sich selbst aus­ge­schlos­sen hat. Die­ser hat sich dann nicht etwa wegen Sach­be­schä­di­gung straf­bar gemacht.

Wenn wir uns also wäh­rend des Trai­nings blaue Fle­cken oder auch mal eine blu­ti­ge Nase zuzie­hen, stim­men wir die­sen Ver­let­zun­gen jeden­falls bis zu einer bestimm­ten Gren­ze zu, indem wir zum Trai­ning kom­men und an den Part­ner­übun­gen oder Spar­rings teil­neh­men. Durch unse­re Ein­wil­li­gung recht­fer­ti­gen wir die Kör­per­ver­let­zung, was dazu führt, dass das Ver­hal­ten nicht straf­bar ist. 

Abb. oben: In Trai­ning und Wett­kampf blei­ben Kör­per­ver­let­zun­gen im Rah­men des Regel­werks straf­frei, da die Betei­lig­ten ihre Ein­wil­li­gung gege­ben haben.

Vor­aus­set­zun­gen der Ein­willigung

Doch auch die Ein­wil­li­gung ist an bestimm­te Vor­aus­set­zun­gen geknüpft. Nur eine berech­tig­te Per­son darf über Rechts­gü­ter ver­fü­gen. Bei unse­rer Gesund­heit und unse­rem kör­per­li­chen Wohl­be­fin­den han­delt es sich um höchst­per­sön­li­che Rech­te, das heißt, jede Per­son kann grund­sätz­lich nur über ihren eige­nen Kör­per ent­schei­den. Zugleich muss der oder die Ein­wil­li­gen­de aber auch die not­wen­di­ge Ein­sichts­fä­hig­keit besit­zen, um über die eige­nen Güter ent­schei­den zu kön­nen. Davon geht das Recht grund­sätz­lich ab Errei­chen der Voll­jäh­rig­keit, also dem 18. Lebens­jahr, aus. Erwach­se­ne kön­nen grund­sätz­lich für sich selbst ent­schei­den, in wel­che Risi­ken sie sich bege­ben wol­len. Es kommt also nicht dar­auf an, ob sie als Anfän­ge­rIn­nen oder erfah­re­ne Boxe­rIn­nen ins Trai­ning gehen: neh­men sie am Trai­ning teil, kann man grund­sätz­lich davon auf­ge­hen, dass sie sich bewusst in die Gefah­ren­la­ge bege­ben und damit in sie ein­wil­li­gen. Bei Min­der­jäh­ri­gen muss der Ein­zel­fall betrach­tet wer­den. Je mehr sich das Alter jedoch der Voll­jäh­rig­keit nähert, des­to eher kann man von der ent­spre­chen­den »geis­ti­gen Rei­fe« aus­ge­hen. Für die Beur­tei­lung könn­te beim Box­sport etwa auch rele­vant sein, wie trai­nings­er­fah­ren der oder die Min­der­jäh­ri­ge bereits ist und wie gut er oder sie die Gefah­ren ent­spre­chend ein­schät­zen kann. 

Beson­der­hei­ten bei Min­derjähri­gen mit feh­len­der »geis­ti­ger Reife«

Wenn dem Kind noch nicht zuge­traut wird, eine sol­che Ent­schei­dung zu tref­fen, trifft die Ver­ant­wor­tung die gesetz­li­chen Ver­tre­te­rIn­nen, also in der Regel die Eltern. Um ein­zu­wil­li­gen, müs­sen sie von der Teil­nah­me am Trai­ning wis­sen und die­ser zustim­men. Das stel­len Ver­ei­ne zunächst dadurch sicher, dass die Eltern von Min­der­jäh­ri­gen den Ein­tritts­an­trag in den Sport­ver­ein unter­schrei­ben müs­sen. Bei unse­rem FC St. Pau­li tritt man nicht nur dem Dach­ver­ein bei, son­dern auch der jewei­li­gen Abtei­lung, sodass Eltern in jedem Fall um die Mit­glied­schaft in der Box­ab­tei­lung wissen.

Reicht das aller­dings schon aus, um jeder Trai­nings­ein­heit und jedem Wett­kampf sowie deren Ver­let­zungs­ge­fah­ren zuzu­stim­men? Expli­zit hat das bis­her weder ein Gericht noch die Wis­sen­schaft beant­wor­tet. Gene­rell in alle Trai­nings­ein­hei­ten ein­wil­li­gen kann man durch den Mit­glieds­an­trag allein wohl nicht. Viel mehr stim­men Erzie­hungs­brech­tig­te kon­klu­dent dadurch zu, dass sie ihr Kind an der jewei­li­gen Trai­nings­ein­heit teil­neh­men las­sen. Wenn das Kind ohne Wis­sen der Eltern zum Trai­ning erscheint oder deren Unter­schrift fälscht, machen sich Trai­ne­rIn­nen und Trai­nings­part­ne­rIn­nen bei einer Ver­let­zung let­zend­lich wohl trotz­dem nicht straf­bar, weil sie irr­tüm­lich davon aus­ge­gan­gen sind (und aus­ge­hen durf­ten), dass die Ein­wil­li­gung vor­lag (sog. Erlaubnistatbestandsirrtum).

Abb. oben: Ein aus­ge­füll­ter Mit­glieds­an­trag doku­men­tiert am bes­ten die Ein­wil­li­gung in mög­li­che Kör­per­ver­let­zun­gen. Vor allem bei min­der­jäh­ri­gen Sport­le­rIn­nen ist die Ein­wil­li­gung der Erzie­hungs­be­rech­tig­ten von gro­ßer Wichtigkeit.

Ein­wil­li­gung unab­hän­gig vom Mitglieds­an­trag

Die­se Grund­sät­ze gel­ten auch für Per­so­nen, die bis­her kein Mit­glied­schafts-For­mu­lar unter­schrie­ben haben. Zu den­ken ist vor allem an Box­sport-Inter­es­sier­te, die für ein Pro­be­trai­ning kom­men und an Gast­sport­le­rIn­nen aus ande­ren Ver­ei­nen. Weil man in der Regel kon­klu­dent dadurch ein­wil­ligt, dass man zum Trai­ning erscheint und an den Übun­gen teil­nimmt, kommt es auf die rei­ne Teil­nah­me und nicht auf die Mit­glied­schaft an. Durch die Teil­nah­me begibt man sich bewusst in eine Lage, in der ernst­haft mit Ver­let­zun­gen zu rech­nen ist. Ein­zig für Min­der­jäh­ri­ge erge­ben sich wie­der Beson­der­hei­ten: Ohne Mit­glied­schaft kann man nicht ohne Wei­te­res davon aus­ge­hen, dass die Erzie­hungs­be­rech­tig­ten von der Teil­nah­me ihres Schütz­lings wis­sen, was Vor­aus­set­zung für eine Ein­wil­li­gung ist. Um sicher­zu­ge­hen, dass sich nie­mand straf­bar macht, sind zwei Vor­ge­hens­wei­sen denk­bar: Trai­ne­rIn­nen kön­nen die min­der­jäh­ri­gen Pro­ban­den vor Trai­nings­be­ginn expli­zit fra­gen, ob ihre Erzie­hungs­be­rech­tig­ten der Teil­nah­me zuge­stimmt haben. Alter­na­tiv könn­te man zumin­dest für Anfän­ge­rIn­nen das Pro­be­trai­ning so gestal­ten, dass man sie kei­ner beson­de­ren Ver­let­zungs­ge­fahr aus­setzt – das heißt zum Bei­spiel kei­ne Part­ner­übun­gen mit Kör­per­kon­takt (das trifft für das Pro­be­trai­ning beim FCSP sowie­so schon zu). Ob Trai­ne­rIn­nen aus dem besu­chen­den Ver­ein anwe­send sind, ist mei­nes Erach­tens hin­ge­gen nicht enschei­dend, weil die­se nor­ma­ler­wei­se nicht die­je­ni­gen sind, die anstel­le des Trai­nie­ren­den und sei­ner Erzie­hungs­be­rech­tig­ten in Ver­let­zun­gen ein­wil­li­gen dür­fen. All die­se Kate­go­rien las­sen sich aller­dings nie ganz scharf abgren­zen. Hier hängt es immer vom Ein­zel­fall ab, ins­be­son­de­re davon, ob der oder die Teil­neh­men­de Box­er­fah­rung mit­bringt, wie ver­ant­wor­tungs­voll der oder die Min­der­jäh­ri­ge wirkt, um gege­be­nen­falls selbst schon ein­zu­wil­li­gen und so weiter. 

Zusam­men­fas­send lässt sich fest­hal­ten, dass Erwach­se­ne und ein­wil­li­gungs­fä­hi­ge Min­der­jäh­ri­ge grund­sätz­lich wohl dadurch in mög­li­che kör­per­li­che Ver­let­zun­gen ein­wil­li­gen, dass sie bewusst am Trai­ning oder Wett­kampf teil­neh­men. Bei Per­so­nen, die selbst zur Ein­wil­li­gung noch nicht in der Lage sind, über­neh­men dies die Erzie­hungs­be­rech­tig­ten dadurch, dass sie sie zum Trai­ning oder Wett­kampf gehen las­sen. Trai­ne­rIn­nen kön­nen die eige­ne Straf­bar­keit und die ihrer Sport­le­rIn­nen vor allem dadurch ver­mei­den, dass sie Auf­klä­rungs­ar­beit leis­ten: Indem regel­mä­ßig Trai­nie­ren­de bzw. deren Erzie­hungs­be­rech­tig­te ent­spre­chen­de Mit­glieds­an­trä­ge und Wett­kämp­fe­rIn­nen eine Ath­le­ten­ver­ein­ba­rung unter­schrei­ben (so beim FCSP), die auch auf die Risi­ken des Box­sports hin­wei­sen; indem Box­sport-Neu­lin­ge, die am Pro­be­trai­ning teil­neh­men wol­len, im Vor­hin­ein beson­ders auf die Risi­ken hin­ge­wie­sen wer­den oder erst gar kei­nem beson­de­ren Risi­ko aus­ge­setzt wer­den. Soll­te den­noch jemand ein­mal Straf­an­zei­ge erstat­ten, wür­de eine Per­son, die im Trai­ning jeman­den ver­letzt hat, sich in der Regel auch ohne tat­säch­li­che Ein­wil­li­gung nicht straf­bar machen, weil sie dann einen Irr­tums­tat­be­stand erfüllt, der sie von der Straf­bar­keit befreit. 

Gren­zen der Ein­wil­li­gung: Tötung und lebens­ge­fähr­li­che Handlungen 

Doch auch wenn man sei­ner eige­nen Kör­per­ver­let­zung (oder der sei­nes Kin­des) zustimmt, hat das Gesetz eine wei­te­re Gren­ze mit § 228 StGB gesetzt: 

§ 228 StGB
Wer eine Kör­per­ver­let­zung mit Ein­wil­li­gung der ver­letz­ten Per­son vor­nimmt, han­delt nur dann rechts­wid­rig, wenn die Tat trotz der Ein­wil­li­gung gegen die guten Sit­ten verstößt.

Man kann nur inso­weit recht­fer­ti­gend ein­wil­li­gen, als die Kör­per­ver­let­zung nicht »gegen die guten Sit­ten« ver­stößt. Dabei han­delt es sich um einen sehr schwam­mi­gen Begriff. Klar ist, dass es auf den Zweck und die Schwe­re der Kör­per­ver­let­zung ankommt:2 In sei­ne Tötung durch eine ande­re Per­son kann auch das Opfer selbst nicht ein­wil­li­gen, sodass dies die abso­lu­te Gren­ze der Ein­wil­li­gung ist.3 Aller­dings steigt ja hof­fent­lich nie­mand mit der Absicht in den Ring, den Trai­nings­part­ner oder die Geg­ne­rin im Wett­kampf zu töten. 

Ver­let­zun­gen bei Sport­kämp­fen wer­den in der Regel als soge­nann­tes »erlaub­tes Risi­ko« ein­ge­stuft, das nicht gegen die »guten Sit­ten« ver­stößt und in die des­halb von Betrof­fe­nen ein­ge­wil­ligt wer­den kann.4 Sport­fach­ver­bän­de geben sich eige­ne Regeln, im Bereich des olym­pi­schen Boxens sind dies in Deutsch­land die Wett­kampf­be­stim­mun­gen des Deut­schen Box­sport-Ver­ban­des. Solan­ge sich der oder die Kämp­fen­de inner­halb die­ser Regeln bewegt, geht man vom gesell­schaft­lich aner­kann­ten, erlaub­ten Risi­ko aus – auch des­halb, weil bei einem sport­li­chen Wett­kampf mit Regeln die Kon­tra­hen­tIn­nen gewis­ser­ma­ßen die glei­chen Chan­cen haben und sich mit rea­lis­ti­schen Ver­tei­di­gungs­mög­lich­kei­ten gegen­über­ste­hen.5 Inner­halb die­ses (regel­kon­for­men) Bereichs ist eine recht­fer­ti­gen­de Ein­wil­li­gung mög­lich. Zum erlaub­ten Risi­ko gehört auch, dass jemand ver­se­hent­lich im Über­ei­fer oder aus Uner­fah­ren­heit mal einen regel­wid­ri­gen Tref­fer lan­det.6 Ver­stößt jemand aller­dings absicht­lich gegen die Regeln – etwa durch einen geziel­ten regel­wid­ri­gen Tief­schlag – bewegt man sich auch schnell wie­der in einem nicht ein­wil­li­gungs­fä­hi­gen Bereich und kann sich damit wegen Kör­per­ver­let­zung straf­bar machen (ganz abge­se­hen davon, dass der oder die Geg­ne­rin in ein sol­ches Ver­hal­ten, selbst wenn es mög­lich wäre, auch nicht ein­wil­li­gen wür­de).7 Neben Sport­ar­ten wie dem Boxen fal­len in die Kate­go­rie des »erlaub­ten Risi­kos« etwa auch ris­kan­te medi­zi­ni­sche Ope­ra­tio­nen, die, wenn auch mög­li­cher­wei­se lebens­ge­fähr­dend, so doch auch (lebens-)notwendig sind.8

Straf­bar­keit der TrainerInnen/der RingrichterInnen 

Nor­ma­ler­wei­se sind den sport­li­chen Kampf­hand­lun­gen bei­woh­nen­de Trai­ne­rIn­nen oder Ring­rich­te­rIn­nen straf­recht­lich »aus dem Schnei­der«, solan­ge sich alle regel­kon­form ver­hal­ten. Die Straf­bar­keit beginnt aber auch für Per­so­nen, die nicht aktiv am Kampf teil­neh­men, dort, wo auch die Straf­bar­keit ihrer Schütz­lin­ge beginnt. So kann eine Trai­ne­rin, die einen Sport­ler zu regel­wid­ri­gem Ver­hal­ten ansta­chelt, um den Geg­ner zu ver­let­zen, sich der Teil­nah­me an des­sen rechts­wid­ri­ger Tat straf­bar machen (sog. Anstif­tung oder Bei­hil­fe zur Tat). Auch ist eine Straf­bar­keit wegen Unter­las­sens denk­bar, wenn etwa der Ring­rich­ter ent­ge­gen den Wett­kampf­be­stim­mun­gen einen Kampf bei einer erheb­li­chen oder regel­wid­rig ent­stan­de­nen Ver­let­zung einer der Teil­neh­men­den nicht abbricht, son­dern wei­ter­lau­fen lässt. Zudem gilt auch im Kampf­sport das all­ge­mei­ne Gebot, dass grund­sätz­lich jede Per­son, die kann, einer ver­letz­ten Per­son Hil­fe leis­ten muss. 

Ist die Boxer­hand eine Waffe?

An die­ser Stel­le kann noch mit einem ver­brei­te­ten Irr­glau­ben in der Welt des Kampf­sports auf­ge­räumt wer­den: § 224 StGB legt für beson­ders gefähr­li­che Kör­per­ver­let­zungs­hand­lun­gen län­ge­re Frei­heits­stra­fen als die »regu­lä­re« Kör­per­ver­let­zung fest. Was der Gesetz­ge­ber für beson­ders gefähr­li­che Hand­lun­gen hält, zählt die Norm auf. Unter ande­rem begeht eine gefähr­li­che Kör­per­ver­let­zung, wer dabei eine Waf­fe oder ein ande­res gefähr­li­ches Werk­zeug benutzt. Nun könn­te man anneh­men, dass, wenn ein/e Boxe­rIn außer­halb des Trai­nings in eine Schlä­ge­rei ver­wi­ckelt wird, der Faust­schlag als ein gefähr­li­ches Werk­zeug oder gar eine Waf­fe gem. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB gel­ten muss, weil er/sie ja durch das Trai­ning beson­ders schwer ver­let­zen kann. Die Gerich­te und die gro­ße Mehr­heit der Rechts­wis­sen­schaft­le­rIn­nen sieht das aber nicht so: Ihrer Ansicht nach bedeu­tet der im Gesetz genutz­te Begriff des Werk­zeugs (und der Waf­fe), dass es sich dabei um einen vom Kör­per sepa­ra­ten, zusätz­li­chen Gegen­stand han­deln muss, was auf eine mensch­li­che Faust nicht zutrifft.9 Den­noch müs­sen erfah­re­ne Kampf­sport­le­rIn­nen mit einer höhe­ren Stra­fe rech­nen, wenn sie jeman­den ohne des­sen Ein­wil­li­gung schla­gen, denn sie könn­ten die Vor­aus­set­zun­gen des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB erfül­len, nach dem alle das Leben poten­ti­ell gefähr­den­de Hand­lun­gen, die zu einer Kör­per­ver­let­zung füh­ren, eben­falls als gefähr­li­che Kör­per­ver­let­zun­gen ein­ge­stuft wer­den. Jemand, der genau weiß, wo und wie er schla­gen muss, um einen mög­lichst effek­ti­ven Tref­fer zu erzie­len, kann dadurch auf ande­re natür­lich auch umso schwe­rer – gar lebens­ge­fähr­dend – einschlagen.

Not­wehr­recht für KampfsportlerInnen

Gel­ten denn beson­de­re Regeln, wenn sich jemand außer­halb des Sports gegen Angrif­fe ver­tei­di­gen muss? Unter Not­wehr ver­steht das deut­sche Straf­recht eigent­lich rechts­wid­ri­ge Hand­lun­gen – etwa Kör­per­ver­let­zun­gen –, die jemand einer angrei­fen­den Per­son zur eige­nen Ver­tei­di­gung zufügt. In einer sol­chen Situa­ti­on, in der man selbst rechts­wid­rig ange­grif­fen wird, darf man sich grund­sätz­lich ver­tei­di­gen, ohne mit einer Stra­fe rech­nen zu müs­sen. Auch bei der Not­wehr han­delt es sich um einen Recht­fer­ti­gungs­grund für eigent­lich straf­ba­re Kör­per­ver­let­zun­gen. Das deut­sche Not­wehr­recht ist groß­zü­gig, denn nach der Devi­se »Recht braucht Unrecht nicht zu wei­chen« ist das Feld der straf­frei­en Hand­lun­gen sehr weit, sobald man tat­säch­lich ange­grif­fen wird. Auch Kampf­sport­le­rIn­nen dür­fen sich selbst vor tät­li­chen Angrif­fen außer­halb des Sports schüt­zen. Aller­dings endet das Not­wehr­recht unter ande­rem dann, wenn man es miss­braucht – etwa dadurch, dass man jeman­den zu einem Angriff pro­vo­ziert, um die Per­son dann ohne straf­recht­li­che Kon­se­quen­zen zusam­men­schla­gen zu kön­nen. Auch darf jemand in Schuss­waf­fen­be­sitz nicht ohne wei­te­res auf Ein­bre­che­rIn­nen schie­ßen. Schwebt man nicht gera­de in Lebens­ge­fahr, muss man hier zunächst war­nen und not­falls auf eine nicht töd­li­che Kör­per­stel­le zie­len. Ähn­lich gehen die erhöh­ten Fähig­kei­ten erfah­re­ner Kampf­sport­le­rIn­nen, ande­re zu ver­let­zen, auch mit einer erhöh­ten Ver­ant­wor­tung ein­her. Wird man als Kampf­sport­le­rIn tät­lich ange­grif­fen, gilt es auch hier – soweit zumut­bar – zunächst nicht auf beson­ders emp­find­li­che Stel­len wie den Kopf zu zie­len, son­dern zu ver­su­chen, sich jeden­falls vor­erst ander­wei­tig, durch einen Schlag gegen die Brust o.ä., zu ver­tei­di­gen.10


1  Döl­ling, ZStW 96 (1984), 36, 55 ff., 64; Kett-Straum/­Lin­ke, JA 2010, 25.
2  Dazu BGH, NJW 2015, 1540 Rn. 37; Eschel­bach, in: Beck­OK StGB, 47. Ed. Stand 01.08.2020, Vor § 228 StGB.
3  Vgl. hier­zu § 216 StGB.
4  BGH, NJW 2015, 1540 Rn. 42.
5  Anders etwa in einem Fall, den das BayO­blG, NJW 1999, 372, 373, ent­schied, in dem sich ein Jugend­li­cher von drei ande­ren Jugend­li­chen als „Auf­nah­me­ri­tu­al“ in deren Ban­de ver­prü­geln ließ.
6  Paeffgen/Zabel, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB Kom­men­tar, 5. Aufl. 2017, § 228 Rn. 109.
7  Stern­berg-Lie­ben, in: Schönke/Schröder, StGB Kom­men­tar, 30. Aufl. 2019, § 228 Rn. 27.
8  Eschel­bach, in: Beck­OK StGB, 47. Ed. Stand 01.08.2020, § 228 StGB Rn. 6; kri­tisch: Röss­ner, FS Hirsch, 1999, 313, 315 ff.
9  H.M.: Eschel­bach, in: Beck­OK StGB, 47. Ed. Stand 01.08.2020, § 228 StGB Rn. 6 m.w.N.
10  Kind­häu­ser, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB Kom­men­tar, 5. Aufl. 2017, § 32 Rn. 135.

Die Spon­so­ren der Box­ab­tei­lung des FC St. Pauli: