Im Vorfeld der aus Sicherheitsgründen von Jordanien nach Thailand verlegten asiatischen Kontinentalmeisterschaft hielt der asiatische Kontinentalverband ASBC am 23. November in Bangkok (Thailand) einen weiteren außerordentlichen Kongress ab.
August: ASBC mehrheitlich gegen geschlossenen Beitritt zu World Boxing
Der letzte (ebenfalls außerordentliche) ASBV-Kongress hatte erst am 31. August in Abu Dhabi stattgefunden. Damals hatte der geschlossene Wechsel zu World Boxing zur Abstimmung gestanden. Der Antrag hatte jedoch nicht die erforderliche Mehrheit erreicht: Von 36 abgegebenen Stimmen hatten 21 für den Verbleib bei der IBA votiert. 14 hatten für einen Wechsel zu World Boxing gestimmt, und ein Nationalverband hatte sich enthalten.
Individuelle Beitritte zu World Boxing
In der Folge dieser Abstimmung hatte der Präsident der ASBC Pichai Chunhavajira (Thailand) sein Amt in der IBA niedergelegt. Seine volle Konzentration und Energie, so seine Begründung, wolle er nun dem Ziel widmen, die Zukunft des Boxens bei den Olympischen Spielen zu sichern.
Da ein geschlossener Beitritt der asiatischen Nationalverbände zu World Boxing im August keine Mehrheit gefunden hatte, kam es in den zurückliegenden Wochen zu individuellen Beitritten asiatischer Nationalverbänden zu World Boxing. Darunter waren boxerische Schwergewichte wie etwa Kasachstan und Usbekistan.
Beim nun jüngst zurückliegenden außerordentlichen Kongress in Thailand stand der Vorschlag zur Diskussion und Abstimmung, dass die ASBC sich von der IBA löst, ohne sich aber im Gegenzug geschlossen dem neuen Weltverband World Boxing anzuschließen. In diesem Szenario sollten die Nationalverbände frei wählen dürfen, welchem Weltverband sie sich anschließen wollen.
November: ASBC mehrheitlich gegen Neutralität des Kontinentalverbandes
Diese Idee war bereits im August in Abu Dhabi Thema gewesen, konnte damals aber nicht wirksam abgestimmt werden, weil der Antrag nicht in der Tagesordnung vermerkt gewesen war. Bei der nunmehr zweiten Befassung mit diesem Antrag lehnten die asiatischen Nationalverbände auch diesen Weg ab: Von 34 abgegebenen Stimmen sprachen sich 23 für einen Verbleib in der IBA aus. 10 votierten für eine Lösung von der IBA, eine Stimme enthielt sich.
Das Abstimmungsergebnis bewegte den ASBC-Präsidenten Pichai Chunhavajira (Thailand) nun auch zum Rücktritt von seinem Amt als ASBC-Präsident. Ihm folgte der Generalsekretär der ASBC Ali Salameh (Jordanien).
Neuer asiatischer Kontinentalverband mit Anschluss an World Boxing
Drei Tage nach dem außerordentlichen ASBC-Kongress in Thailand wurde bekannt, dass sich ein neuer asiatischer Kontinentalverband gründen wird, der sich World Boxing anschließen werde. Eine zentrale Rolle scheint hierbei der ehemalige ASBC-Präsident Pichai Chunhavajira zu haben. Wenig überraschend, da er wiederholt und stark die olympische Ausrichtung des Boxsports betont hatte.
Es steht zu erwarten, dass sich dem neuen Kontinentalverband mindestens jene asiatischen Nationalverbände anschließen werden, die jetzt bereits Mitglied von World Boxing sind: Mongolei, Philippinen, Indien, Singapur, Südkorea, Bhutan, Taiwan, Pakistan, Thailand, Kirgistan, Irak, Japan, Laos, Kasachstan und Usbekistan.
Darüber hinaus sind weitere Beitritte zu erwarten. So fällt beispielsweise auf, dass sich China schon seit einiger Zeit an Turnieren von World Boxing beteiligt. Am aktuell laufenden Finale der World Boxing Cup in Sheffield ist China zum Beispiel mit 5 Athlet*innen beteiligt.
IBA will in Asien »geeinte Front« für IBA-Mitgliedschaft erkennen
Die IBA stellte das Abstimmungsergebnis des ASBC-Kongresses in Thailand als Beweis der Treue und Einigkeit dar. Unter der Überschrift »Die Botschaft ist klar – Der ASBC bleibt mit der IBA vereint« (Link öffnet neues Fenster) lobte die IBA die »entschiedene und klare Haltung« und sprach von einem »überwältigenden« Ergebnis, dass die »geeinte Front innerhalb der asiatischen Boxgemeinschaft« widerspiegele.
Auf die Gründung des neuen Kontinentalverbandes reagierte die IBA wenig später eher dünnhäutig. Laut Branchenportal »Inside the Games« (Link öffnet neues Fenster) kritisierte der Generalsekretär der IBA Chris Roberts die Neugründung als »unnötige Spaltung«, die nicht den Willen der Mehrheit der asiatischen Verbände widerspiegele.
Die Entscheidung von World Boxing wirke wie ein »politisches Manöver«, und nicht wie ein echtes Interesse an der Weiterentwicklung des Sports. World Boxing, so Chris Roberts, untergrabe die kollektiven Bemühungen, die erforderlich seien, um Boxen seinen Platz 2028 in Los Angeles und darüber hinaus zu sichern.
IOC lässt an Notwendigkeit neuer Strukturen und Ablehnung der IBA keinen Zweifel
Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hatte jedoch mehrfach und unmissverständlich klargestellt, dass die ausgeschlossene IBA mit dem Boxsport als Teil der Olympischen Spiele nichts mehr zu tun haben werde und sich die Nationalverbände des olympischen Boxens in einem neuen, transparenten Weltverband organisieren müssten, wenn das Boxen eine Zukunft bei den Olympischen Spielen sichern wolle.
Es hatte darüber hinaus auch klargestellt, dass (sofern Boxen wieder Teil des olympischen Programms werde) keine Boxsportler*innen an den Olympischen Spielen teilnehmen dürfen, die noch in einer Verbindung zur IBA stehen. Es hatte außerdem die Nationalen Olympischen Komitees aufgefordert, die Verbindung zu solchen nationalen Boxverbände zu kappen, die noch der der IBA angehören.
Kommentar von Ralf Elfering
Realitätsverweigerung und Nibelungentreue
Die asiatischen Delegierten waren auf den vergangenen Kongressen ihres asiatischen Kontinentalverbandes lange bemüht, vor dem Hintergrund des Konfliktes zwischen der IBA und dem IOC internen Streit zu vermeiden und stattdessen Einheit zu zeigen.
Sie bekannten sich zur olympischen Perspektive des Boxsports – mieden es aber sehr lange, dafür praktische Verantwortung zu übernehmen. Doch mit der Ablehnung der Neutralität der ASBC (man wollte als Konföderation weder der IBA noch WB angehören, so die jüngste Idee) war das Ende eines möglichen gemeinsamen Weges erreicht. Für jene asiatischen Verbände, denen die olympische Zukunft Boxsport tatsächlich am Herzen liegt, ließ sich eine Positionierung nun nicht mehr vermeiden.
Nun wird es also in Zukunft wohl zwei Kontinentalverbände geben: Einen, der der IBA angeschlossen ist (ASBC) – und einen neuen, der World Boxing angehört. Die wichtigen asiatischen Boxnationen Usbekistan, Kasachstan, Indien, Thailand und Japan haben sich für eine Anbindung an World Boxing entschieden. Denkbar erscheint, dass auch China folgen wird. Denn China nimmt sich schon seit geraumer Zeit ganz selbstbewusst die Freiheit, auch an Turnieren von World Boxing teilzunehmen.
Die IBA wollte das Votum von Bangkok zunächst als Treuebeweis der asiatischen Nationalverbände darstellen. Doch von der Einigkeit, welche die IBA in der Abstimmung erkennen wollte, ist die Boxgemeinschaft Asiens nie weiter entfernt gewesen als jetzt. Das zeigt die Neugründung eines Kontinentalverbandes.
Wenn der Generalsekretär der IBA Chris Roberts in seiner Reaktion auf die Gründung des neuen Kontinentalverbandes klagt, World Boxing untergrabe damit das Bemühen, Boxen 2028 in Los Angeles im Programm zu halten, kann man sich nur erstaunt die Augen reiben. Glaubt der Mann tatsächlich, was er da sagt?
Schließlich ist es die IBA, die jedes Warnzeichen ignoriert hat, den Weltverband vollends zum Werkzeug russischer Staatspolitik gemacht hat – und den olympischen Boxsport damit in seine größte Krise und an den Rand seiner Existenz manövriert hat.
Nein, Chris Roberts wird selbst nicht glauben, was er da vor Mikrofonen zu erzählen hat, darf man (zu seinem Vorteil) annehmen. Wohl aber wird er glauben, dass andere seinen absurden Darstellungen auch weiterhin noch Glauben schenken werden.
Wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen scheint auch in Teilen der globalen Box-Community eine Bubble entstanden zu sein, in der man sich standhaft der Realität verweigert und stattdessen lieber einer abgeschotteten Weltdeutung anzuhängen scheint. Immer noch verharrt daher eine relevante Anzahl von Nationalverbänden bei der IBA – allen klaren Zeichen zum Trotz. Nibelungentreue nennt man das. Es endet meist nicht gut.