Mit aller Vor­sicht: Ein box­sport­li­cher Aus­blick auf das neue Jahr 2020

Was uns im neuen Jahr erwarten und beschäftigen könnte

Kurz nach dem Jah­res­wech­sel wol­len wir einen Aus­blick auf die kom­men­den zwölf Mona­te mit eini­gen ihrer mög­li­chen The­men, Höhe­punk­ten, Neue­run­gen und Über­ra­schun­gen wagen. Der Aus­blick muss natür­lich spe­ku­la­tiv blei­ben: Wir wie alle wis­sen, kommt so man­ches am Ende anders als man denkt.

Neue Wett­kampf­be­stim­mun­gen zu erwarten

Aktu­ell gel­ten noch die Wett­kampf­be­stim­mun­gen (WB) in der Fas­sung vom Juli 2017, denn eine im März 2019 ver­sen­de­te Neu­fas­sung der WB wur­de kurz nach ihrer Ver­brei­tung wie­der ein­kas­siert. Für 2020 darf man hof­fen, dass der Wurf end­lich gelin­gen könnte.

Vor allem die Rege­lung der Gewichts­klas­sen wird inter­es­sie­ren. Wenn der Deut­sche Box­sport-Ver­band (DBV) hier den im Janu­ar 2019 ver­öf­fent­lich­ten Rege­lun­gen der AIBA folgt, dann wären zwei par­al­lel gel­ten­de Gewichts­klas­sen­sche­ma­ta zu erwarten:

  • Bei den Män­nern gäbe es dann 10 Gewichts­klas­sen für AIBA-Wett­kämp­fe und 8 Gewichts­klas­sen für die olym­pi­schen Spiele.
  • Bei den Frau­en gäbe es dann 10 Gewichts­klas­sen für AIBA-Wett­kämp­fe und 5 Gewichts­klas­sen für die olym­pi­schen Spiele.

Aller­dings stellt sich die Fra­ge, wel­che Rele­vanz die aktu­ell bei den Olym­pi­schen Spie­len ver­tre­te­nen Gewichts­klas­sen für ein künf­tig gel­ten­des Regel­werk haben, denn

  1. erscheint die Zukunft des Boxens als olym­pi­sche Dis­zi­plin aus meh­re­ren Grün­den unsi­cher (s.u.) und
  2. wird selbst für den Fall, dass Boxen 2024 in Paris olym­pisch bleibt, die völ­li­ge Gleich­stel­lung von Frau­en und Män­nern zu erwar­ten sein. Wenn (wie es wahr­schein­lich ist) die Anzahl der Start­plät­ze ins­ge­samt gleich bleibt, wer­den Män­ner wei­te­re Start­plät­ze an Frau­en abge­ben müs­sen. Dies lässt aber­mals eine Neu­be­stim­mung der olym­pi­schen Gewichts­klas­sen und ihrer Zuschnit­te erwarten.
Für 2020 ist auch eine über­ar­bei­te­te Fas­sung der Wett­kampf­be­stim­mun­gen zu erwar­ten. Dabei von beson­de­rem Inter­es­se: Die Rege­lung der Gewichts­klas­sen und inwie­weit brei­ten­sport­li­che Fra­gen auf­ge­nom­men werden.

Die im März erst ver­sen­de­te, dann aber schnell wie­der zurück­ge­zo­ge­ne Neu­fas­sung der WB sah umfang­rei­che Neue­run­gen im brei­ten­sport­li­chen Bereich vor: So wur­de trenn­schär­fer von Sport­bo­xen, Mas­ter­bo­xen und erst­ma­lig auch von Leicht­kon­takt­bo­xen gesprochen.

  • Das Sport­bo­xen wur­de dabei als öffent­li­che Spar­rings­kampf ohne Sie­ger definiert.
  • Beim Mas­ter­bo­xen waren hin­ge­gen die klas­si­schen Wett­kampf­ent­schei­dun­gen vorgesehen.
  • Im Gegen­satz dazu ziel­te das Leicht­kon­takt­bo­xen nur auf Punktsiege.

Im Leicht­kon­takt­bo­xen soll­ten Kämp­fer in ihren Alters­klas­sen nach Grö­ßen statt nach Gewicht zusam­men­ge­führt wer­den. Zudem war im Bereich des Leicht­kon­takt­bo­xens von sepa­ra­ten Trai­ner- und Kampf­rich­ter­li­zen­zen die Rede.

Es bleibt abzu­war­ten, ob die­se Kon­zep­te in einer neu­en WB noch ent­hal­ten sein wer­den. Ein Leicht­kon­takt­bo­xen als eigen­stän­di­ge Dis­zi­plin zu eta­blie­ren und vor allem auch mit Leben zu fül­len, dürf­te nicht en pas­sant zu schaf­fen sein. Aktu­ell scheint der Box­sport doch sehr auf das tra­di­tio­nel­le Boxen fixiert zu sein – und damit genü­gend Arbeit zu haben.

Zukunft der AIBA

Das eben begon­ne­ne Jahr 2020 könn­te für den olym­pi­schen Box­sport einen ent­schei­den­den Wen­de­punkt bedeu­ten. Der Welt­ver­band des olym­pi­schen Boxens AIBA hat sich in eine exis­ten­zi­el­le Kri­se manö­vriert und wur­de bekann­ter­ma­ßen vom IOC sus­pen­diert. Erst­ma­lig seit sei­ner Grün­dung hat er mit dem höchs­ten Wett­be­werb der von ihm ver­tre­te­nen Sport­art nichts mehr zu tun.

Die Welt­meis­ter­schaf­ten der erwach­se­nen Män­ner und Frau­en 2019 in Russ­land konn­ten zwar durch eine Rekord­be­tei­li­gung und gute Orga­ni­sa­ti­on über­zeu­gen, aber dies dürf­te eher dem Aus­rich­ter Russ­land als der AIBA selbst zuzu­schrei­ben sein, die zuletzt in Lau­sanne aus finan­zi­el­ler Not nur noch mit einem arg dezi­mier­ten Rumpf­team arbei­ten konnte.

Im März wird der bevor­ste­hen­de Welt­kon­gress der AIBA wei­te­re Klar­heit brin­gen. Ent­schei­den­de Punk­te des Tref­fens sind die Wahl des neu­en regu­lä­ren Prä­si­den­ten sowie die Ver­ab­schie­dung einer neu­en Sat­zung. Bei­des muss im Ergeb­nis das IOC über­zeu­gen, wenn der Weg zurück an den Tisch des olym­pi­schen Spit­zen­sports füh­ren soll.

Der Kon­flikt zwi­schen der AIBA und dem Inter­na­tio­na­len Olym­pi­schen Komi­tee (IOC) belas­tet den Box­sport: Ist der Riss noch zu kitten?

Wie es aller­dings um die Leis­tungs­fä­hig­keit des Welt­ver­ban­des bestellt ist, wur­de erst jüngst noch ein­mal klar, als ein wich­ti­ges Tref­fen des Exe­ku­tiv­ko­mi­tees der AIBA in Chi­na wegen man­geln­der Teil­nah­me nicht beschluss­fä­hig war und daher wich­ti­ge Ent­schei­dun­gen zur Reform des Ver­ban­des nicht vor­an­brin­gen konn­te. Kein gutes Signal für den Welt­kon­gress im März, der in Chi­na vor­be­rei­tet wer­den sollte.

Das IOC wird die Cau­sa AIBA nach dem Ende der Spie­le in Tokio wie­der auf ihre Agen­da set­zen. So, wie sich der Ver­band aktu­ell prä­sen­tiert, lie­fert er wohl weni­ge Argu­men­te, wie­der in den Kreis der olym­pi­schen Spit­zen­sport­ver­bän­de auf­ge­nom­men zu wer­den. Aus der vor­über­ge­hen­den Sus­pen­die­rung könn­te so der end­gül­ti­ge Aus­schluss werden.

Denk­bar auch, dass die AIBA ihre Kri­se auch finan­zi­ell nicht über­steht: Gel­der vom IOC flie­ßen seit län­ge­rer Zeit schon nicht mehr. Wegen der feh­len­den olym­pi­schen Per­spek­ti­ve der betei­lig­ten Sport­ler muss­te sie auch die pres­ti­ge­träch­ti­ge Word Series of Boxing einstellen.

Mar­ke­ting­plä­ne, zuletzt vom rus­si­schen Ver­band vor­an­ge­trie­ben, soll­ten Geld in die lee­ren Kas­sen spü­len, schei­nen aber durch die Doping­pro­ble­ma­tik des rus­si­schen Sports aus­ge­bremst: Russ­land darf nach dem Wil­len der WADA in den kom­men­den Jah­ren kei­ne inter­na­tio­na­len Sport­er­eig­nis­se mehr aus­rich­ten und kei­ne Funk­tio­nä­re in Welt­ver­bän­de ent­sen­den. Eine end­gül­ti­ge Ent­schei­dung beim inter­na­tio­na­len Sport­ge­richts­hof CAS steht hier­zu jedoch noch aus.

Es zeich­nen sich im Kern drei denk­ba­re Sze­na­ri­en ab, über deren Wahr­schein­lich­keit man sich strei­ten kann:

  1. Die AIBA kann das IOC mit inte­gren Per­so­nal­ent­schei­dun­gen und ernst­haf­ten Refor­men über­zeu­gen, so dass die vor­über­ge­hend aus­ge­spro­che­ne Sus­pen­die­rung 2020 oder 2021 zurück­ge­nom­men wird.
  2. Die AIBA erweist sich in den Augen des IOC als nicht (hin­rei­chend) refor­mier­fä­hig und wird end­gül­tig aus dem IOC ausgeschlossen.
  3. Die AIBA muss wegen ihrer deso­la­ten Finanz­la­ge Insol­venz anmel­den und ihren Betrieb einstellen.

In den Fäl­len 2 und 3 ist zu erwar­ten, dass Pro­fi­ver­bän­de beim IOC vor­stel­lig wer­den, um sich dort als Ret­ter des Box­sports in Sze­ne zu set­zen. Frei­lich blie­be auch die Chan­ce, dass sich das olym­pi­sche Boxen in einem neu­en Ver­band neu orga­ni­siert – dann am bes­ten von Beginn an im direk­ten, engen Aus­tausch mit dem IOC.

Jeden­falls erscheint es als sehr unwahr­schein­lich, dass das IOC noch ein­mal das olym­pi­sche Box­tur­nier selbst aus­rich­ten wird.

Olym­pi­schen Spie­le in Tokio 2020 und die Zukunft der Förderung

Im Zusam­men­hang mit den Rah­men­be­din­gun­gen der Sport­för­de­rung in Deutsch­land ist von her­aus­ra­gen­der Bedeu­tung, ob eine Sport­art Teil des olym­pi­schen Pro­gramms ist oder nicht. Aber ein­fach nur »dabei sein« ist nicht alles: Das Abschnei­den der deut­schen Box­sport­le­rin­nen und Box­sport­ler in Tokio wird in die gera­de ver­öf­fent­lich­ten vor­läu­fi­gen Ergeb­nis­se der »Poten­zi­al­ana­ly­se Sport« (PotAS) ein­ge­rech­net wer­den und die­se dann zu end­gül­ti­gen Ergeb­nis­sen machen. Die­se end­gül­ti­gen Ergeb­nis­se bil­den schließ­lich die Grund­la­ge von Gesprä­chen und Ent­schei­dun­gen zum Umfang künf­ti­ger Förderungen.

Nach dem Ende der Olym­pi­schen Spie­le in Tokio 2020 wer­den die Ergeb­nis­se der deut­schen Ath­le­tin­nen und Ath­le­ten in die end­gül­ti­gen Bewer­tun­gen der »Poten­zi­al­ana­ly­se Sport« (PotAS) ein­ge­rech­net. Wel­che künf­ti­gen Erfol­ge den ein­zel­nen Sport­ar­ten und ihren Dis­zi­pli­nen zutraut, fließt wesent­lich in die künf­ti­ge För­de­rung ein.

Das vor­läu­fi­ge, wie aber auch von vie­len Ver­bän­den kri­ti­sier­te Ergeb­nis der PotAS-Stu­die stell­te dem deut­schen Box­sport ein zwei­ge­teil­tes Zeug­nis aus: Die Struk­tur des Ver­ban­des wur­de schlecht bewer­tet, das Kader­po­ten­zi­al lan­de­te jedoch im Mittelfeld.

Aller­dings: Bei inter­na­tio­na­len Wett­kampf­hö­he­punk­ten zeig­te sich für den DBV trotz respek­ta­bler Erfol­ge ein­zel­ner Ath­le­tin­nen und Ath­le­ten in den letz­ten Jah­ren alles in allem eine abfal­len­de Erfolgs­kur­ve. So gab es zuletzt bei bei der WM in Russ­land weder für die Män­ner noch für die Frau­en einen ein­zi­gen Medaillenplatz.

Soll­te sich die­se Ten­denz in Tokio fort­set­zen, ist zu erwar­ten, dass das vor­läu­fi­ge PotAS-Ergeb­nis durch eine schlech­te­re Bewer­tung des Kader­po­ten­zi­als ins­ge­samt nach unten kor­ri­giert wird. Für die Ent­schei­dun­gen zu der Ver­tei­lung der För­der­mit­teln wären Erfol­ge in Tokio also sehr hilfreich.

Frei­lich: Was das alles, also selbst eine Ver­schlech­te­rung der PotAS-Ergeb­nis­se, in kon­kre­ten Sum­men hei­ßen könn­te, bleibt noch Spe­ku­la­ti­on. Erst 2019 hat­te das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um den För­der­um­fang des Sports immer­hin um etwa 30 Mil­lio­nen EUR erhöht.

Deut­scher Box­sport-Ver­band wird 100 Jah­re alt

Im olym­pi­schen Jahr 2020 fei­ert der Deut­sche Box­sport-Ver­band schließ­lich auch sei­nen 100. Geburts­tag und kann auf eine wech­sel­vol­le Geschich­te zurück­bli­cken. Er wur­de 1920 als »Deut­scher Reichs­ver­band für Ama­teur­bo­xen« gegründet.

In der Zeit der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Dik­ta­tur zwi­schen 1933 und 1945 erfuhr der Box­sport eine hohe Wert­schät­zung, pass­te er doch gut in das Bild einer zu Här­te, Dis­zi­plin und Wehr­haf­tig­keit zu erzie­hen­den Jugend. Der Ver­band selbst wur­de – wie alle Sport­fach­ver­bän­de in die­ser Zeit – gleichgeschaltet.

Schlag­lich­ter der deut­schen Box­ge­schich­te in Brief­mar­ken: Links eine Son­der­mar­ke der Deut­schen Bun­des­post (BRD) zu den Welt­meis­ter­schaf­ten 1995 in Ber­lin fünf Jah­re nach der Wie­der­ver­ei­ni­gung. Der DBV beleg­te damals mit 1 Gold‑, 1 Sil­ber- und 7 Bron­ze­me­dail­len Platz 5 des Medail­len­spie­gels. Gold hol­te Zol­tan Lun­ka, Sil­ber erbox­te Luan Kras­ni­qi. Rechts eine Mar­ke der DDR anläss­lich der Olym­pi­schen Som­mer­spie­le 1960 in Rom. In Rom trat übri­gens trotz der staat­li­chen Tei­lung eine gesamt­deut­sche Mann­schaft an. Im Schwer­ge­wicht über 81 kg gewann der DDR-Boxer Gün­ter Sieg­mund die Bronzemedaille.

Nach dem Krieg ent­wi­ckel­te sich der Box­sport in der DDR und BRD in getrenn­ten Ver­bän­den, die nach der Wie­der­ver­eni­gung 1990 im DABV ver­eint wur­den. Seit 2003 trägt der Ver­band sei­ne heu­ti­ge Bezeich­nung und Abkürzung.

Der Deut­sche Box­sport-Ver­band will sei­nen 100. Geburts­tag im Rah­men der Deut­schen Meis­ter­schaft fei­ern, die im Dezem­ber in Strau­bing (Bay­ern) aus­ge­tra­gen wer­den. Dem Ver­neh­men nach sind ein Fest­akt sowie die Erstel­lung einer Fest­bro­schü­re geplant.

In wel­cher Stim­mung man den Geburts­tag begeht, wird nicht zuletzt von den Ergeb­nis­sen in Tokio, den Ent­wick­lun­gen rund um den Welt­ver­band AIBA und den künf­ti­gen För­der­per­spek­ti­ven durch die öffent­li­che Hand abhän­gen (s.o.).

Die Spon­so­ren der Box­ab­tei­lung des FC St. Pauli: