Aktuell führt der Profiboxverband WBA (World Boxing Association) seinen 99. Verbandskongress durch. Coronabedingt findet der mehrtätige Austausch online statt. Ein Tagesordnungspunkt auf der Agenda war auch das Verhältnis des Verbandes zum olympischen Boxen.
Vor dem Hintergrund dieses Punkts hatte der Präsident der WBA Gilberto Jesus Mendoza den Interimspräsidenten des internationalen olympischen Boxverbandes (AIBA) Dr. Mohamed Moustahsane zu einer Rede eingeladen.
Gemeinsames Regelwerk angedacht
In anschließenden Statements verweisen beide Präsidenten darauf, dass man seit 2015 viele Gespräche geführt habe. Thema der Gespräche seien die Möglichkeiten der Zusammenarbeit im »Amateurbereich« gewesen.
Mendoza deutete an, dass ein gemeinsames Regelwerk für das olympische Boxen geschaffen werde. Moustahsane unterstrich in diesem Zusammenhang, es müsse sichergestellt sein, dass »die Boxer tatsächlich diejenigen sind, die von dieser Beziehung profitieren.«
Kommentar von Ralf Elfering
Täglich grüßt das Murmeltier
Das Verhältnis des so genannten Profiboxens zum olympischen Boxen ist ein ewig wiederkehrendes Thema. Nun taucht es also wieder auf und deutet einmal mehr die Perspektive einer »Vereinigung« an.
Dies mögen einige vielleicht als Hoffnung des Boxens betrachten. Es kann aber ebensogut auch als allergrößte Gefahr für einen Boxsport betrachtet werden, wie wir ihn als Sportler, Trainer oder Funktionäre kennen, ausüben und lieben.
Bei solchen Annäherungen wird über grundsätzliche, aber gut begründbare Differenzen zwischen den beiden Sportsystemen »olympisches Boxen« und »Profiboxen« hinweggesehen:
- Trotz aller berechtigten Kritik auch an den Verbänden des olympischen Boxens: Erkennbares Ziel bleibt hier ein objektiver Wettbewerb und Leistungsvergleich zwischen Sportlern. Sichtbar wird dies u.a. an dem Weg, wie im olympischen Boxen Titel gewonnen werden müssen: Wer gegen wen boxen wird, wird im Gegensatz zum so genannten Profiboxen nicht am grünen Tisch entschieden, sondern eingangs durch Auslosung und im weiteren Verlauf des Turniers durch die Siege und Niederlagen in der Turniergruppe. Allein ein solcher Weg entspricht anerkannten sportlichen Standards. Jedes andere Verfahren steht in einem gut begründbaren Widerspruch zu solchen Standards.
- Der Schutz der Athleten ist im so genannten Profiboxen den ökonomischen Interessen der Beteiligten hintangestellt. Im Zentrum steht das gut verkaufbare Spektakel, das im möglichst spektakulären KO oder blutigen Kämpfen seinen Höhepunkt findet. Darum werden Kämpfe bis über jede Erschöpfungsgrenze hinweg ausgedehnt und erst spät (nicht selten zu spät) von Ringrichtern abgebrochen. Das Event muss eben verkaufbar sein um jeden Preis. Technik und Taktik treten zurück – man sieht es an der Rückentwicklung mancher olympischer Boxer, die zum so genannten Profiboxen wechselten.
Sicher: Man wird davon ausgehen dürfen, dass der Bereich des olympischen Boxens auch unter oder mit einem Profiboxverband in gewisser Hinsicht getrennt bleiben würde vom so genannten Profiboxen. Aber es würde mit hoher Wahrscheinlichkeit als Nachwuchsreservoir gesehen werden und dem so genannten Profiboxen untergeordnet sein.
Damit würde es aber jene fatale Sichtweise zementieren, die grundfalsch ist: Dass nämlich das Profiboxen das bessere, höherwertige Boxen sei. Dieses Märchen glaubt die Öffentlichkeit nur aus zwei Gründen:
- Boxen schauen sich viele Menschen gerne an, aber kaum einer der Zuschauer hat fundierte Kenntnisse von Technik, Taktik oder Regeln oder gar eigene Erfahrungen in diesem Sport. Anders als etwa im Fußball, wo Millionen vor den Bildschirmen ein schlechtes Spiel sofort als schlechtes Spiel erkennen, kann den Zuschauern ein Boxkampf allein durch seine mediale Inszenierung als gut verkauft werden.
- In den meisten anderen Sportarten steht das Präfix »Profi« tatsächlich für die qualitative Spitze des Sports, während es im Boxsport nur die Bezeichnung einer anderen Konfession ist. Niemand wird in Europa Fußballprofi und hält sich dort, ohne wirklich Spitzensportler zu sein. Auf dem Weg zum und im professionellen Fußball sind im normalen Spielbetrieb der Ligen fortwährend so viele objektive Leistungsnachweise zu erbringen, dass dies allein eine gewisse Qualität garantiert.
Die AIBA hatte unter ihrem Präsidenten Wu (2006–2017 im Amt) den Versuch unternommen, unter ihrem Dach neben dem olympischen Boxen auch semiprofessionelles und professionelles Boxen zu etablieren (die World Series of Boxing und das AIBA Professional Boxing).
Im Grundsatz der richtige Weg, hätte er doch erreichen können, was in anderen Sportarten selbstverständlich ist: Die Vertretung und Organisation des ganzen Sports unter einem, anerkannten Dach mit dem Ziel, in allen drei Bereichen qualitativ gute und möglichst objektive Leistungsvergleiche zu organisieren.
Die AIBA wäre (trotz aller berechtigten Kritik an ihr) grundsätzlich auch der richtige Verband dafür gewesen, da sie seit ihrer Gründung den Boxsport beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC) vertrat. Entspechend alarmiert reagierte das so genannte Profiboxen damals auch.
Leider wurde der Versuch aber so unternommen, dass sich die AIBA dabei überhob, in ernste Schwierigkeiten geriet und, letztlich als eine der Folgen dieser Schwierigkeiten aktuell vorübergehend auch aus der Familie der olympischen Sportverbände ausgeschlossen wurde.
Sie erscheint daher so geschwächt, dass jeder Flirt mit Profiboxverbänden gefährlich wird, weil sie gegenwärtig kaum noch Gewicht in die Waagschale bringt. Für Verhandlungen mit kommerziell arbeitenden Verbänden ist das eine denkbar schlechte Ausgangsposition. Es droht der Ausverkauf.