IBA plant für 2023 die Abschaf­fung des Kopf­schut­zes bei Frauen

Männer boxen schon seit 2013 ohne den Kopfschutz

Im Rah­men des »Glo­bal Boxing Forums« in Abu Dha­bi rich­te­te die IBA am 11. Dezem­ber auch einen wei­te­ren Welt­kon­gress aus. An ihm nah­men rund die Hälf­te der gut 200 ange­schlos­se­nen natio­na­len Mit­glieds­ver­bän­de teil.

Dem Vor­trag des Gene­ral­se­kre­tärs der IBA Geor­ge Yer­olim­pos war u.a. zu ent­neh­men, dass der Welt­ver­band des olym­pi­schen Boxens für das Jahr 2023 in den Wett­kämp­fen der erwach­se­nen Frau­en die Abschaf­fung des Kopf­schut­zes plant. Dies, so Yer­olim­pos, sei mit den Ath­le­tin­nen dis­ku­tiert wor­den. Gegen­wär­tig sei in die­ser Ange­le­gen­heit ein Schrei­ben an die Mit­glieds­ver­bän­de in Arbeit.

Beginn der Rege­lung noch unklar 

Ab wann genau die Abschaf­fung des Kopf­schut­zes für erwach­se­ne Frau­en gel­ten wird, konn­te indes noch nicht ganz klar­ge­stellt wer­den. Auf eine ent­spre­chen­de Nach­fra­ge des bel­gi­schen Dele­gier­ten ver­wies Yer­olim­pos auf die bevor­ste­hen­de Mit­tei­lung der IBA an die natio­na­len Boxverbände.

Der bel­gi­sche Dele­gier­te berich­te­te im Zusam­men­hang mit dem geplan­ten Weg­fall des Kopf­schut­zes für Frau­en von einem Aspekt, der ihm aus sei­nem Ver­band zuge­tra­gen wor­den sei: Dort hat­ten Ath­le­tin­nen die Sor­ge geäu­ßert, dass sie im Fal­le von Gesichts­hä­ma­to­men fälsch­li­cher­wei­se für Opfer von männ­li­cher Gewalt gehal­ten wer­den könn­ten. Yer­olim­pos ver­sprach, die­sen Aspekt der betref­fen­den Kom­mis­si­on zur Kennt­nis zu bringen.

Es scheint gut vor­stell­bar, dass die 2023 bevor­ste­hen­de Welt­meis­ter­schaf­ten der Frau­en (in Indi­en vom 15. bis 31. März) die­se Neue­rung in den Wett­kampf­be­stim­mun­gen ein­füh­ren wird. Män­ner bestrei­ten ihre Wett­kämp­fe hin­ge­gen schon seit nun­mehr 10 Jah­ren ohne den Kopfschutz.

Kom­men­tar von Ralf Elfering

Das Rich­ti­ge im Falschen

Der Kopf­schutz für erwach­se­ne Män­ner wur­de nach den Olym­pi­schen Spie­len 2012 in Lon­don abge­schafft. Die Ent­schei­dung bezog sich im Kern auf medi­zi­ni­sche Grün­de: Man sol­le sich weni­ger auf die sel­te­nen, har­ten Schlä­ge fokus­sie­ren, die zum Abbruch eines Kamp­fes durch KO oder RSC füh­ren, son­dern statt­des­sen viel­mehr die vie­len nied­rig­schwel­li­gen Schlä­ge kri­ti­scher betrach­ten als bislang. 

Gera­de von die­sen fan­ge der Kopf­schutz aber vie­le ein (ohne sie jedoch rele­vant dämp­fen zu kön­nen), da er den Quer­schnitt des Kop­fes, mit­hin also die Angriffs­flä­che ver­grö­ße­re und über­dies zu einem sorg­lo­se­ren Ver­tei­di­gungs­ver­hal­ten verleite. 

Der Kopf­schutz ver­hin­de­re im Wesent­li­chen nur Cut-Ver­let­zun­gen, die wegen star­ker Blu­tun­gen zwar dra­ma­tisch aus­se­hen und auch Kampf­ab­brü­che zur Fol­ge haben kön­nen, medi­zi­nisch betrach­tet aber eher harm­los seien.

Die Grün­de erschei­nen plau­si­bel. Unplau­si­bel bleibt aller­dings, dass sie damals nicht auch schon die Abschaf­fung des Kopf­schut­zes für Frau­en begrün­de­ten. Denn es ist kaum vor­stell­bar, dass hier medi­zi­ni­sche Unter­schei­dun­gen gerecht­fer­tigt sein könnten.

Dass Frau­en nun schon zehn Jah­re län­ger mit dem Kopf­schutz Wett­kämp­fe bestrei­ten müs­sen als Män­ner, deu­tet auf etwas ande­res hin: Neben den plau­si­blen medi­zi­ni­schen Grün­den dürf­ten noch ande­re Erwä­gun­gen in der Fra­ge eine Rol­le gespielt haben.

Wahr­schein­lich woll­te man damals, mit neid­vol­lem Blick auf das Pro­fi­bo­xen, mit der Abschaf­fung des Kopf­schut­zes auch an der media­len Ver­mit­tel- und Ver­markt­bar­keit des olym­pi­schen Box­sports arbei­ten: Man woll­te die Gesich­ter der Ath­le­ten zei­gen und ihre Emo­tio­nen erkenn­bar machen. Schließ­lich gehört zum gro­ßen Nar­ra­tiv des Boxens (zumin­dest aus der Sicht der meis­ten Zuschau­er) der gna­den­lo­se Zwei­kampf, das Heroi­sche, die vom Kampf gezeich­ne­ten Sport­ler mit der exis­ten­zi­el­len Erfah­rung von Sieg oder Nie­der­la­ge. Soweit der (übri­gens auch nicht kom­plett fal­sche) Mythos, der gepflegt und bedient wer­den will. Das Pro­fi­bo­xen mach­te dies so gut zum Geschäfts­mo­dell, dass der sport­li­che Wert der Kämp­fe dar­über weit­ge­hend in den Hin­ter­grund trat. 

Für die erhoff­te bes­se­re Ver­mit­tel- und Ver­markt­bar­keit des olym­pi­schen Boxens nahm man also etwas mehr Blut ger­ne in Kauf, zumal die Medi­zi­ner ja auch hand­fes­te Grün­de gegen den Kopf­schutz ins Feld führ­ten. Die Wett­kampf­tä­tig­keit der Frau­en bewer­te­te man jedoch (noch lan­ge und bis heu­te) mit ande­ren Maß­stä­ben: Hier will man nach Mög­lich­keit kei­ne KOs sehen und erst recht kein Blut. Wohl in der (am Ende gar nicht so unbe­grün­de­ten) Annah­me, dass die Bou­le­vard­pres­se die Bil­der von blu­ti­gen Frau­en­kämp­fen als Beleg für einen bar­ba­ri­schen Sport aus­schlach­ten werde. 

So schließt das soge­nann­ten »Frau­en­bo­xen« (das Boxen der Män­ner heißt bezeich­nen­der­wei­se meist ein­fach nur »Boxen«) nur lang­sam und in klei­nen Schrit­ten auf. Immer­hin: Statt 4 x 2 Minu­ten boxen Frau­en nun seit eini­ger Zeit auch 3 x 3 Minu­ten. Doch immer noch gilt, dass in einem Frau­en­kampf das 4. Anzäh­len zum Abbruch durch RSC führt, wäh­rend bei Män­nern erst ein 7. Anzäh­len den Kampf zwin­gend been­det. Aller­dings: Es scheint aktu­ell in Dis­kus­si­on zu sein, auch hier eine Anglei­chung her­bei­zu­füh­ren. Das wäre ein gutes Zei­chen. Eben­so wie eine Gleich­be­hand­lung beim Kopfschutz.

Inter­es­sant aber, dass gera­de Sport­ar­ten und Sport­ver­bän­de, die sich sehr stark kom­mer­zi­el­len Ver­wer­tungs­zwän­gen aus­ge­setzt haben (wie z.B. MMA, aber auch das Pro­fi­bo­xen), sich hier schnel­ler in Rich­tung Gleich­be­hand­lung bewe­gen als der Sport abseits des Schein­wer­fer­lichts. Öko­no­mi­sie­rung ist eben immer ein Stück weit auch Ratio­na­li­sie­rung. Da passt ins Bild, dass gera­de die mitt­ler­wei­le olig­ar­chen­gleich geführ­te und tur­bo­ka­pi­ta­lis­tisch auf­tre­ten­de IBA mit Preis­gel­dern für Medail­len­ge­win­ne­rin­nen und der Abschaf­fung des Kopf­schut­zes in kur­zer Zeit Reform­schrit­te unter­nimmt, die der alten Tan­te AIBA nicht zuzu­trau­en waren. Es ist das Rich­ti­ge – aber eben im kom­plett Falschen.

Die Spon­so­ren der Box­ab­tei­lung des FC St. Pauli: