
Im Rahmen des »Global Boxing Forums« in Abu Dhabi richtete die IBA am 11. Dezember auch einen weiteren Weltkongress aus. An ihm nahmen rund die Hälfte der gut 200 angeschlossenen nationalen Mitgliedsverbände teil.
Dem Vortrag des Generalsekretärs der IBA George Yerolimpos war u.a. zu entnehmen, dass der Weltverband des olympischen Boxens für das Jahr 2023 in den Wettkämpfen der erwachsenen Frauen die Abschaffung des Kopfschutzes plant. Dies, so Yerolimpos, sei mit den Athletinnen diskutiert worden. Gegenwärtig sei in dieser Angelegenheit ein Schreiben an die Mitgliedsverbände in Arbeit.
Beginn der Regelung noch unklar
Ab wann genau die Abschaffung des Kopfschutzes für erwachsene Frauen gelten wird, konnte indes noch nicht ganz klargestellt werden. Auf eine entsprechende Nachfrage des belgischen Delegierten verwies Yerolimpos auf die bevorstehende Mitteilung der IBA an die nationalen Boxverbände.
Der belgische Delegierte berichtete im Zusammenhang mit dem geplanten Wegfall des Kopfschutzes für Frauen von einem Aspekt, der ihm aus seinem Verband zugetragen worden sei: Dort hatten Athletinnen die Sorge geäußert, dass sie im Falle von Gesichtshämatomen fälschlicherweise für Opfer von männlicher Gewalt gehalten werden könnten. Yerolimpos versprach, diesen Aspekt der betreffenden Kommission zur Kenntnis zu bringen.
Es scheint gut vorstellbar, dass die 2023 bevorstehende Weltmeisterschaften der Frauen (in Indien vom 15. bis 31. März) diese Neuerung in den Wettkampfbestimmungen einführen wird. Männer bestreiten ihre Wettkämpfe hingegen schon seit nunmehr 10 Jahren ohne den Kopfschutz.
Kommentar von Ralf Elfering
Das Richtige im Falschen
Der Kopfschutz für erwachsene Männer wurde nach den Olympischen Spielen 2012 in London abgeschafft. Die Entscheidung bezog sich im Kern auf medizinische Gründe: Man solle sich weniger auf die seltenen, harten Schläge fokussieren, die zum Abbruch eines Kampfes durch KO oder RSC führen, sondern stattdessen vielmehr die vielen niedrigschwelligen Schläge kritischer betrachten als bislang.
Gerade von diesen fange der Kopfschutz aber viele ein (ohne sie jedoch relevant dämpfen zu können), da er den Querschnitt des Kopfes, mithin also die Angriffsfläche vergrößere und überdies zu einem sorgloseren Verteidigungsverhalten verleite.
Der Kopfschutz verhindere im Wesentlichen nur Cut-Verletzungen, die wegen starker Blutungen zwar dramatisch aussehen und auch Kampfabbrüche zur Folge haben können, medizinisch betrachtet aber eher harmlos seien.
Die Gründe erscheinen plausibel. Unplausibel bleibt allerdings, dass sie damals nicht auch schon die Abschaffung des Kopfschutzes für Frauen begründeten. Denn es ist kaum vorstellbar, dass hier medizinische Unterscheidungen gerechtfertigt sein könnten.
Dass Frauen nun schon zehn Jahre länger mit dem Kopfschutz Wettkämpfe bestreiten müssen als Männer, deutet auf etwas anderes hin: Neben den plausiblen medizinischen Gründen dürften noch andere Erwägungen in der Frage eine Rolle gespielt haben.
Wahrscheinlich wollte man damals, mit neidvollem Blick auf das Profiboxen, mit der Abschaffung des Kopfschutzes auch an der medialen Vermittel- und Vermarktbarkeit des olympischen Boxsports arbeiten: Man wollte die Gesichter der Athleten zeigen und ihre Emotionen erkennbar machen. Schließlich gehört zum großen Narrativ des Boxens (zumindest aus der Sicht der meisten Zuschauer) der gnadenlose Zweikampf, das Heroische, die vom Kampf gezeichneten Sportler mit der existenziellen Erfahrung von Sieg oder Niederlage. Soweit der (übrigens auch nicht komplett falsche) Mythos, der gepflegt und bedient werden will. Das Profiboxen machte dies so gut zum Geschäftsmodell, dass der sportliche Wert der Kämpfe darüber weitgehend in den Hintergrund trat.
Für die erhoffte bessere Vermittel- und Vermarktbarkeit des olympischen Boxens nahm man also etwas mehr Blut gerne in Kauf, zumal die Mediziner ja auch handfeste Gründe gegen den Kopfschutz ins Feld führten. Die Wettkampftätigkeit der Frauen bewertete man jedoch (noch lange und bis heute) mit anderen Maßstäben: Hier will man nach Möglichkeit keine KOs sehen und erst recht kein Blut. Wohl in der (am Ende gar nicht so unbegründeten) Annahme, dass die Boulevardpresse die Bilder von blutigen Frauenkämpfen als Beleg für einen barbarischen Sport ausschlachten werde.
So schließt das sogenannten »Frauenboxen« (das Boxen der Männer heißt bezeichnenderweise meist einfach nur »Boxen«) nur langsam und in kleinen Schritten auf. Immerhin: Statt 4 x 2 Minuten boxen Frauen nun seit einiger Zeit auch 3 x 3 Minuten. Doch immer noch gilt, dass in einem Frauenkampf das 4. Anzählen zum Abbruch durch RSC führt, während bei Männern erst ein 7. Anzählen den Kampf zwingend beendet. Allerdings: Es scheint aktuell in Diskussion zu sein, auch hier eine Angleichung herbeizuführen. Das wäre ein gutes Zeichen. Ebenso wie eine Gleichbehandlung beim Kopfschutz.
Interessant aber, dass gerade Sportarten und Sportverbände, die sich sehr stark kommerziellen Verwertungszwängen ausgesetzt haben (wie z.B. MMA, aber auch das Profiboxen), sich hier schneller in Richtung Gleichbehandlung bewegen als der Sport abseits des Scheinwerferlichts. Ökonomisierung ist eben immer ein Stück weit auch Rationalisierung. Da passt ins Bild, dass gerade die mittlerweile oligarchengleich geführte und turbokapitalistisch auftretende IBA mit Preisgeldern für Medaillengewinnerinnen und der Abschaffung des Kopfschutzes in kurzer Zeit Reformschritte unternimmt, die der alten Tante AIBA nicht zuzutrauen waren. Es ist das Richtige – aber eben im komplett Falschen.