Inter­view: Die Attrak­ti­vi­tät des Kampf­sports für Rechtsextremist*innen

Rechte rekrutieren im Kampfsport und schöpfen Geld ab

Die Initia­ti­ve »Voll­kon­takt, Demo­kra­tie, Kampf­sport« ist ein Modell­pro­jekt, das im Rah­men des Bun­des­pro­gramms »Demo­kra­tie Leben« des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums für Fami­lie, Senio­ren, Frau­en und Jugend umge­setzt und maß­geb­lich finan­ziert wird. Es läuft über einen Zeit­raum von ins­ge­samt fünf Jah­ren und endet 2024.

Das Pro­jekt ist stark ver­netzt und wird von zahl­rei­chen Akteu­ren unter­stützt und getra­gen. So gibt es neben dem Minis­te­ri­um noch eini­ge wei­te­re Part­ner­or­ga­ni­sa­tio­nen wie zum Bei­spiel die Ama­deo-Anto­nio-Stif­tung, die Fried­rich-Ebert-Stif­tung, die nie­der­säch­si­sche Lot­to-Sport-Stif­tung und nicht zuletzt der Deut­sche Olym­pi­sche Sport­bund mit sei­ner Jugend­or­ga­ni­sa­ti­on Deut­sche Sport­ju­gend. Auch die Koor­di­nie­rungs­stel­le Fan­pro­jek­te KOS bei der Deut­schen Sport­ju­gend ist ein Part­ner der Initiative.

Wir spra­chen mit dem Pro­jet­lei­ter Olaf Zajonc über die­ses Pro­jekt, die Arbeit dort und dar­über, was Kampf­sport für Rechtsextremist*innen so attrak­tiv macht. Am Ende des Bei­trags sind eini­ge wei­ter­füh­ren­de Links zum The­ma zusammengetragen.


Wor­um geht es in Ihrer Arbeit?

Es geht beim Bun­des­pro­gramm »Demo­kra­tie Leben« um gesell­schafts­po­li­ti­sche The­men und ins­be­son­de­re um Extre­mis­mus­prä­ven­ti­on. Was uns beson­ders umtrieb, und wes­we­gen wir das Pro­jekt ins Leben geru­fen haben, war unse­re Ein­schät­zung, dass extrem rech­te Orga­ni­sa­tio­nen vom stark wach­sen­den Kampf­sport- und Selbst­ver­tei­di­gungs­markt in Deutsch­land, in Euro­pa und viel­leicht sogar welt­weit pro­fi­tie­ren wol­len und dar­in ein gro­ßes Poten­zi­al für ihre Sze­ne sehen. Wir kon­zen­trie­ren uns aber in unse­rer Arbeit auf Deutsch­land. Hier betrach­ten wir nicht nur den orga­ni­sier­ten Sport der klas­si­schen Sport­ver­ei­ne, son­dern auch den meist pri­vat­wirt­schaft­lich betrie­be­nen frei­en Kampf­sport­markt der Sport­schu­len und Gyms. Wir schau­en aber auch ein biss­chen über den Tel­ler­rand hin­aus in die benach­bar­ten euro­päi­schen Län­der. Jüngst haben wir etwa eine Koope­ra­ti­on mit öster­rei­chi­schen Part­nern gestar­tet, pro­fi­tie­ren aber auch von den Erfah­run­gen, die man zum Bei­spiel in Frank­reich und den Nie­der­lan­den in die­sem The­men­be­reich gesam­melt hat. 

Wie weit bzw. gut ist das Feld denn ausgeleuchtet?

Man muss lei­der fest­stel­len, dass die Ver­bin­dung von Kampf­sport und Rechts­extre­mis­mus in der Wis­sen­schaft bis­lang weit­ge­hend ver­nach­läs­sigt wird. Es gibt eigent­lich gar kei­ne Unter­su­chun­gen und Stu­di­en zum The­ma. Wir sind im Grun­de die ers­ten, die 2019 begon­nen haben, in die­sem Bereich Feld­for­schung zu betrei­ben und Ergeb­nis­se zu publi­zie­ren. Der gro­ße deut­sche Kampf­sport­markt ist aus die­sem Blick­win­kel recht wenig beleuch­tet. Beim orga­ni­sier­ten Sport sieht es etwas bes­ser aus, aber wir schlie­ßen auch die­sen Bereich in unse­re Arbeit ein, weil sowohl dort wie auch im frei­en Kampf­sport­markt Pro­blem­fel­der erkenn­bar und Prä­ven­ti­ons­maß­nah­men erfor­der­lich sind. Unse­re For­schungs­ar­beit soll aber nicht nur theo­re­ti­sches Wis­sen gene­rie­ren, son­dern ins­be­son­de­re bestehen­de Maß­nah­men zur Prä­ven­ti­on von Gewalt und grup­pen­be­zo­ge­ner Men­schen­feind­lich­keit wei­ter­ent­wi­ckeln. Wo es die noch nicht gibt, ver­su­chen wir mit unse­rer Arbeit auf die Not­wen­dig­keit dafür hin­zu­wei­sen und gege­be­nen­falls auch anzu­re­gen, dass sol­che Maß­nah­men im Bereich des Sports ent­wi­ckelt und ver­an­kert wer­den. Dafür füh­ren wir Ver­an­stal­tun­gen durch, wir ver­net­zen sehr stark und wir infor­mie­ren die Poli­tik. Wir gehen aber auch direkt an die Basis, arbei­ten mit Jugend­schutz und Jugend­so­zi­al­ar­beit zusam­men. Ein wich­ti­ger Teil unse­rer Arbeit ist auch unser Moni­to­ring. Dafür beob­ach­ten wir die ein­schlä­gi­gen Sze­nen und Milieus und erstel­len ein­mal jähr­lich ein Bericht über die Akti­vi­tä­ten, Ent­wick­lun­gen und Ten­den­zen in die­sem Bereich. Die Berich­te kann man kos­ten­los auf unse­rer Home­page downloaden.

»Wir sehen da zum Bei­spiel, dass das rechts­extre­mis­ti­sche Milieu stark dar­an inter­es­siert ist, in die­sem Bereich, also dem Kampf­sport­markt, finan­zi­el­le Mit­tel zu erwirtschaften.«

Was macht Kampf­sport aus Ihrer Sicht für Rechtsextremist*innen so attraktiv?

Das ist eine Fra­ge, die man auf meh­re­ren Ebe­nen beant­wor­ten kann. Da ist zum einen die per­so­na­le Ebe­ne, wo man schau­en kann, was Kampf­sport für einen kon­kre­ten Men­schen mit ent­spre­chen­den Ein­stel­lun­gen und Welt­an­schau­un­gen attrak­tiv machen kann, wel­chen Nut­zen er für sich dar­aus zie­hen kann. Wir betrach­ten das aller­dings etwas mehr auf der struk­tu­rel­len Ebe­ne. Wir sehen da zum Bei­spiel, dass das rechts­extre­mis­ti­sche Milieu stark dar­an inter­es­siert ist, in die­sem Bereich, also dem Kampf­sport­markt, finan­zi­el­le Mit­tel zu erwirt­schaf­ten. Kom­mer­zia­li­tät ist hier ein gro­ßer Aspekt. Wir beob­ach­ten, dass sich bestimm­te Struk­tu­ren über die Jah­re hin­weg bei der Durch­füh­rung von Ver­an­stal­tun­gen pro­fes­sio­na­li­siert haben: Kämp­fer und Ver­an­stal­tun­gen wer­den in die­sem Bereich ver­mark­tet und aus der Sze­ne her­aus Beklei­dungs­mar­ken gegrün­det, die online ver­trie­ben wer­den. Das wei­tet sich auch aus auf Sport­aus­rüs­tung und Nah­rungs­er­gän­zungs­mit­tel. Um das gan­ze Kampf­sport­an­ge­bot her­um, also auf Ver­an­stal­tun­gen und auch im Trai­ning, wer­den Ein­nah­men gene­riert, die den extrem rech­ten Netz­wer­ken zufließen. 

Also hat der Kampf­sport hier eine star­ke öko­no­mi­sche Bedeutung.

Genau. Ein wei­te­rer Aspekt ist die Netz­werk­bil­dung, die über gemein­sa­me Ver­an­stal­tun­gen vor­an­ge­trie­ben wer­den kann. Da kom­men Gleich­ge­sinn­te zusam­men, die mit­ein­an­der kämp­fen und trai­nie­ren. Es wer­den in die­sem Rah­men Bekannt­schaf­ten geschlos­sen und Gemein­schaf­ten gebil­det, auch über die Gren­zen Deutsch­lands hin­weg. Die­se Ver­net­zun­gen haben in den letz­ten Jah­ren stark zuge­nom­men. Dort, wo sie gewalt­a­ffi­ne jun­ge Män­ner ver­mu­ten, suchen ent­spre­chen­de Grup­pie­run­gen durch­aus auch Nach­wuchs. Da kann der Kampf­sport­be­reich ein ähn­lich frucht­ba­res Gebiet sein wie etwa auch der Hoo­li­ga­nis­mus. Rechts­extre­mis­ten sehen bei­de Berei­che als mög­li­ches Rekrutierungsfeld. 

Spielt der Sport an sich auch eine Rolle?

Durch­aus, aber grund­sätz­lich ist es uns wich­tig vor­aus­zu­schi­cken, dass trotz bestehen­der Her­aus­for­de­run­gen und Pro­ble­me Kampf­sport nie per se nega­tiv oder aus­schließ­lich als destruk­tiv bewer­tet wer­den darf. Im Gegen­teil: Er besitzt auf­grund sei­ner dia­lo­gi­schen Grund­struk­tur viel­fäl­ti­ge Poten­zia­le und Mög­lich­kei­ten der inten­si­ven Bezie­hungs­bil­dung, zur Selbst­er­zie­hung und dem Umgang mit eige­nen (unbe­wuss­ten) Aggres­si­ons- und Gewalt­po­ten­zia­len. Was aus die­sen Poten­zia­len und Mög­lich­kei­ten letzt­lich wird, hängt in hohem Maße von der Hal­tung und den Zie­len derer ab, die die Kampf­sport­kul­tur in einem Gym oder Ver­ein viel­schich­tig beein­flus­sen. So kann das Erler­nen vom Kampf­tech­ni­ken durch­aus auch eine per­so­na­le Auf­rüs­tung sein – ins­be­son­de­re, wenn es sich um sol­che Tech­ni­ken han­delt, die in rea­len Gewalt­si­tua­tio­nen Anwen­dung fin­den kön­nen. Hier trai­nie­ren eini­ge die Fähig­keit zur Gewalt­an­wen­dung im Stra­ßen­kampf und im Rah­men von poli­tisch moti­vier­ten Akti­vi­tä­ten. Außer­dem hat der Kampf­sport in der extre­men Rech­ten gene­rell eine lan­ge Tra­di­ti­on und eine lan­ge Geschich­te. Er steht dort in einer engen Ver­bin­dung mit einer sozi­al­dar­wi­nis­ti­schen Welt­an­schau­ung. Rech­te Ideo­lo­gien im all­ge­mei­nen und natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Ideo­lo­gien im spe­zi­el­len sind grund­le­gend gewalt­voll. Auch das Boxen hat­te in der Zeit der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Herr­schaft einen ganz hohen Stel­len­wert und wur­de der Jugend nahe­ge­bracht. Im Kern geht in die­sem Bereich dar­um, das Leben als eine Form von Kampf der Men­schen dar­zu­stel­len: Völ­ker, so die Sicht­wei­se, kämp­fen gegen­ein­an­der und müs­sen sich ver­tei­di­gen, müs­sen »wehr­haft« blei­ben. Die­se Kampf­rhe­to­rik zieht sich kon­ti­nu­ier­lich durch die­se rech­ten Milieus. Das sieht man zum Bei­spiel an den Wehr­sport­grup­pen der 1970er Jah­re bis hin zu den mili­tan­ten Neo­na­zi-Kame­rad­schaf­ten der jün­ge­ren Ver­gan­gen­heit und Gegen­wart. Die­se His­to­rie ist lang und steht immer in Ver­bin­dung mit einer bestimm­ten Form der Weltanschauung.

»Im Kern geht in die­sem Bereich dar­um, das Leben als eine Form von Kampf der Men­schen dar­zu­stel­len: Völ­ker, so die Sicht­wei­se, kämp­fen gegen­ein­an­der und müs­sen sich ver­tei­di­gen, müs­sen ›wehr­haft‹ blei­ben. Die­se Kampf­rhe­to­rik zieht sich kon­ti­nu­ier­lich durch die­se rech­ten Milieus.«

Gibt es Kampf­sport­ar­ten, die für Rechts­extre­mis­ten attrak­ti­ver sind als ande­re? Und wenn ja: Warum?

Beson­de­re Attrak­ti­vi­tät haben extre­me Kampf­sport­ar­ten wie etwa MMA, die auch jen­seits des spor­ti­ven Bin­nen­raums Ver­wen­dung fin­den kön­nen, weil sie eine hohe Nähe zu rea­len Kampf­si­tua­tio­nen bzw. ech­ten Kämp­fen haben. In ihnen geht es oft dar­um, den Geg­ner mög­lichst schnell aus­zu­schal­ten und ihm maxi­ma­le Schä­den zuzu­fü­gen. Das Risi­ko, dass die erlern­ten Kampf­tech­ni­ken auch jen­seits die­ses Bin­nen­raum ein­ge­setzt wer­den, ist schwer ein­zu­he­gen. Beim Boxen ist das einer­seits etwas abge­mil­dert, weil da Punkt­sie­ge eine hohe Bedeu­tung haben, aber ande­rer­seits gibt es natür­lich auch hier den Sieg durch KO oder Verletzungen. 

Das in Ver­ei­nen und Lan­des­ver­bän­den orga­ni­sier­te olym­pi­sche Boxen ist eine Rand­sport­art, wenn man ihn mit ande­ren Sport­ar­ten ver­gleicht: Man kennt sich, man läuft sich immer wie­der über den Weg und man ist in vie­len Din­gen sport­lich auf­ein­an­der ange­wie­sen. Begüns­tigt das die Ent­ste­hung »kri­ti­scher Bio­to­pe«, weil man vor dem Hin­ter­grund die­ser »fami­liä­ren Nähe« manch­mal viel­leicht gar nicht so genau hin­se­hen will?

Das ist tat­säch­lich kei­ne so ganz ein­fa­che Fra­ge. Auf der einen Sei­te ist es ja erst ein­mal ein hoher Wert, dass sich Men­schen in sol­chen sozia­len Bin­nen­räu­men begeg­nen und Ver­trau­en und bestimm­te Nähen auf­bau­en. Auf der ande­ren Sei­te kann even­tu­ell aber auch eine »Kul­tur des Weg­schau­ens« ent­ste­hen, weil man die Har­mo­nie und die Zusam­men­ge­hö­rig­keit nicht gefähr­den möch­te, und weil viel­leicht auch droht, dass Pro­blem­la­gen inner­halb die­ses Bin­nen­raums von Außen wahr­ge­nom­men wer­den. Es droht in die­sem Fall auch, dass das eige­ne Han­deln, was man ja hoch­schätzt und einem sehr wich­tig ist und das auch einen gro­ßen Zusam­men­halt lie­fert, nega­tiv dar­ge­stellt und beschä­digt wird. Das mag dazu füh­ren kön­nen, dass ein unaus­ge­spro­che­ner Wer­te­ka­non ent­steht, bei dem dann alle nicht so genau hin­schau­en oder Pro­blem­la­gen als Ein­zel­fäl­le ver­harm­lo­sen. Ich kann mir vor­stel­len, dass es sol­che Dyna­mi­ken gibt, zumin­dest hören wir in Gesprä­chen, dass Akteu­re lie­ber auf die posi­ti­ven Errun­gen­schaf­ten und Poten­zia­le ver­wei­sen anstatt der Pro­ble­me mal zu erör­tern. Dabei ist es natür­lich auch ein Anlie­gen von uns, den Kampf­sport nicht nur defi­zit­ori­en­tiert zu betrach­ten. Wir sehen natür­lich auch die Poten­zia­le, z.B. das Bil­dungs­po­ten­zi­al und dar­über hin­aus die vie­len Mög­lich­kei­ten, die der Kampf­sport in die­ser Hin­sicht bie­tet. Aber es braucht eine gewis­se Zeit, bis Akteu­re bereit sind, auch den kri­ti­schen Dia­log zuzulassen.

Abb. oben: Titel­blatt der Schü­ler­zei­tung »Hilf mit« von 1935. Boxen erfuhr eine hohe Wert­schät­zung im »Drit­ten Reich«. Im Kampf­sport bis heu­te oft unre­flek­tiert pro­pa­gier­te Wer­te und Tugen­den wie Wehr­haf­tig­keit, Kampf, Stär­ke, Respekt und Mut konn­ten sich naht­los in die natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Ideo­lo­gie einfügen.

Es ist manch­mal viel­leicht auch eine schlicht prag­ma­ti­sche Fra­ge: Wo, wie Sie es genannt haben, eine »Kul­tur des Weg­schau­ens« ent­stan­den ist, sind ein­zel­ne Akteur*innen, die etwas kri­tisch anspre­chen, schnell iso­liert und gel­ten viel­leicht als unbe­que­me Stö­ren­frie­de. Das kann dann unter Umstän­den auch die sport­li­che Arbeit beeinträchtigen.

Das kann natür­lich auch sein. Dar­über hin­aus ist es nicht sel­ten so, dass in klei­ne­ren Sport­sys­te­men zen­tra­le Akteu­re nahe­zu uner­setz­lich sind oder sich dazu gemacht haben. Wenn aus­ge­rech­net die z.B. mit frag­wür­di­gen poli­ti­schen Aus­sa­gen auf­fäl­lig wer­den, dann wird viel­leicht auch erst ein­mal dar­über hin­weg geschaut. Denn wenn man es kri­tisch auf­grei­fen wür­de, droht viel­leicht der Aus­fall die­ser Per­son und damit ein gro­ßer Scha­den für das betref­fen­de Sport­sys­tem, das plötz­lich nicht mehr hand­lungs­fä­hig ist oder scheint. Man ist da auf­ein­an­der ange­wie­sen und braucht ein­an­der. Ich möch­te aber noch auf einen ande­ren Aspekt zu spre­chen kom­men. Wir haben jetzt in der Haupt­sa­che über mehr oder weni­ger klar erkenn­ba­ren oder sogar mili­tan­ten Rechts­extre­mis­mus gespro­chen. Es ist aber auch inter­es­sant zu schau­en, wo wir im Bereich von Kampf­sport und Kampf­kunst viel­leicht auch noch ande­re Dyna­mi­ken, Gewalt­för­mig­kei­ten oder pro­ble­ma­ti­sche Ideo­lo­gien fin­den kön­nen, die weni­ger ins Auge fal­len, weil sie nicht mit offe­ner Gewalt­tä­tig­keit oder Gewalt­be­für­wor­tung ein­her­ge­hen. Rechts­extre­mis­ten, die mit einem Haken­kreuz-Tat­too zum Kampf antre­ten, sind z.B. sofort auf­fäl­lig. Es gibt aber im Kampf­sport auch Ten­den­zen, die ich nicht per se als mili­tant rechts­extrem bezeich­nen wür­de, die aber gewis­se Risi­ken mit sich bringen. 

Was mei­nen Sie genau?

Im Kampf­sport fin­den wir oft ein star­kes hier­ar­chi­sches Sys­tem, das meist die Leis­tung der ent­spre­chen­den Akteu­re wider­spie­gelt. In eher tra­di­tio­nel­len Kampf­küns­ten ken­nen wir das dann auch als Kon­zept von »Meis­tern« auf der einen, und Schü­lern auf der ande­ren Sei­te. Die­se star­ken Hier­ar­chien und Macht­po­si­tio­nen im Kampf­sport und in der Kampf­kunst kön­nen den Weg ebnen zu einer auto­ri­tä­ren Füh­rer­struk­tur, die dann auch nicht mehr kri­tisch hin­ter­fragt wer­den kann, ohne das gesam­te Bin­nen­sys­tem einer Trai­nings­grup­pe oder eines Ver­eins damit zu gefähr­den. Sol­che Struk­tu­ren sind ganz grund­sätz­lich ein frucht­ba­rer Boden für eine Ideo­lo­gi­sie­rung. Wo der Trai­ner im Kampf­sport als das Maß aller Din­ge gese­hen wird, wird er viel­leicht auch bei Aus­sa­gen mit z.B. ras­sis­ti­schem Ton­fall als mei­nungs­bil­dend gese­hen. Gibt es da noch ein Regu­la­tiv? Gibt es da noch die Cou­ra­ge zur Gegen­po­si­ti­on? Was sind die Kon­se­quen­zen und Gefah­ren, die eine Per­son fürch­ten muss, die hier wider­spricht? Man soll­te sich also nicht nur mit offen­ba­ren For­men des mili­tan­ten Rechts­extre­mis­mus beschäf­ti­gen, son­dern auch sehen, dass es hier­für einen Nähr­bo­den gibt, der mit den Hier­ar­chien zu tun hat. 

»Wo der Trai­ner im Kampf­sport als das Maß aller Din­ge gese­hen wird, wird er viel­leicht auch bei Aus­sa­gen mit z.B. ras­sis­ti­schem Ton­fall als mei­nungs­bil­dend gesehen.«

Es fal­len gele­gent­lich im Kampf­sport Akteur*innen mit all­tags­ras­sis­ti­schen oder ras­sis­ti­schen Äuße­run­gen auf, die aber auf der ande­ren Sei­te, etwa als Trainer*innen, mit Hin­ga­be geflüch­te­te Sportler*innen betreu­en. Wie geht das zusammen?

Das ist auch ein ganz span­nen­des Phä­no­men, das man das neben­ein­an­der beob­ach­ten kann. In der einen Situa­ti­on kämpft man gegen­ein­an­der, im nächs­ten Moment ist man Part­ner. Das liegt dem Kampf­sport inne, das ist eine im Kampf­sport völ­lig nor­ma­le Ambi­va­lenz. Wenn man dann ein wenig auf das poli­ti­sche Feld geht und viel­leicht jeman­den anspricht auf sei­ne Hal­tung, etwa auf bestimm­te rechts­extre­mis­ti­sche Aus­sa­gen, Sym­bo­le oder Täto­wie­run­gen, dann hört man gar nicht sel­ten fast ent­schul­di­gend oder erklä­rend, dass das kein The­ma sei, man wür­de ja auch mit Migrant*innen zusam­men trai­nie­ren, sei viel­leicht auch mit ihnen gut bekannt oder befreun­det. Das mag manch­mal auch wirk­lich so stim­men, nicht sel­ten ist das aber auch eher eine Schutz­be­haup­tung. Wir beob­ach­ten aber häu­fig, dass Men­schen, die zu Ras­sis­mus ten­die­ren, grund­sätz­lich dazu nei­gen, Men­schen nicht nur nach hier­ar­chi­schen Stan­dards zu beur­tei­len, son­dern auch nach Nütz­lich­keit ein­zu­ord­nen. Die­je­ni­gen, die z.B. im Trai­ning oder Wett­kampf gute Leis­tun­gen zei­gen, wer­den dann auch halb­wegs anstän­dig behan­delt und respek­tiert. Hier wird dann aber häu­fig eine kla­re Unter­schei­dung gegen­über jenen getrof­fen, die aus die­ser Sicht unnütz sind. Stu­di­en zu Ras­sis­mus zei­gen, dass sie immer auch Aus­beu­tungs­struk­tu­ren dar­stel­len. Wer­den Men­schen als nütz­lich gese­hen, kann z.B. die Haut­far­be in die­sem Moment und Zusam­men­hang nach hin­ten gestellt werden.

Spielt in die­se The­ma­tik viel­leicht auch hin­ein, dass sich im Bereich des Kampf­sports über­wie­gend männ­li­che Akteu­re begeg­nen und hier bestimm­te Männ­lich­keits­kon­zep­te so etwas wie einen gewis­sen gemein­sa­men Nen­ner bil­den, auf des­sen Grund­la­ge man sich eben akzep­tiert oder viel­leicht sogar respektiert?

Die­sen Aspekt einer pro­ble­ma­ti­schen Männ­lich­keit, die zu Gewalt­för­mig­keit neigt, haben wir in unse­rer Arbeit stark im Blick. In gewalt­a­ffi­nen Milieus kön­nen Per­so­nen aus ganz unter­schied­li­chen extre­mis­ti­schen Sze­nen zusam­men­kom­men. Ich den­ke da zum Bei­spiel an Rocker, Hoo­li­gans, Rech­te und Isla­mis­ten. Für sich genom­men mögen die ganz unter­schied­li­che Bio­gra­fien, Erfah­run­gen und Hand­lungs­rah­men haben, aber im Kampf­sport kön­nen sie sich oft auf ein durch Här­te gepräg­tes Männ­lich­keits­ide­al eini­gen. Das ist eine Gemein­sam­keit. Hin­sicht­lich der gewalt­tä­ti­gen Macht­po­tenz zol­len sie sich gegen­sei­tig Respekt und Aner­ken­nung. Hier ist Männ­lich­keit nicht mehr nur ein Geschlecht, son­dern eher eine Sozi­al­struk­tur, die die­se gewalt­a­ffi­nen Milieus stützt und trägt. So kann es dann kom­men, dass man in ein und der­sel­ben Grup­pe trai­niert oder auf den­sel­ben Ver­an­stal­tun­gen kämpft. 

Abb. oben: Ein T‑Shirt-Motiv mit Kampf­sport­be­zug. Krie­ge­ri­sche Begrif­fe wie Dis­zi­plin, Ehre, Respekt, Mut, Wil­le wer­den im Kampf­sport oft genutzt, aber nicht immer reflek­tiert. Eine Sphä­re von Här­te, Schmerz, Selbst­auf­ga­be und Gehor­sam begüns­tigt auto­ri­tä­re Struk­tu­ren und kann für Rechts­extre­mis­ten attrak­tiv sein.

Was kann ein Gym oder ein Ver­ein tun, um sich gegen Rechs­t­ex­tre­mis­ten zu imprägnieren?

In die­sem Zusam­men­hang kann ich auf eine Stu­die ver­wei­sen, die wir 2022 ver­öf­fent­licht haben. Dort haben wir uns die Kul­tu­ren der Gyms ange­schaut und ver­sucht her­aus­zu­fin­den, was Gyms oder Ver­ei­ne für Men­schen mit einer grund­le­gend men­schen­ver­ach­ten­den Welt­an­schau­ung bzw. extre­mis­ti­schen Hal­tun­gen inter­es­sant bzw. unin­ter­es­sant machen kann. Hier hat sich her­aus­ge­stellt, dass die Gestal­tung der Gym- oder Ver­eins­kul­tur eine ent­schei­den­de Bedeu­tung hat. Dabei geht es um das Trai­ning, aber auch um die Gestal­tung der Räu­me und um die Kom­mu­ni­ka­ti­on im Gym oder Ver­ein. Ins­be­son­de­re ist wich­tig, ob sich das Gym oder der Ver­ein viel­fäl­tig dar­stellt hin­sicht­lich der Teil­neh­mer­schaft (Män­ner, Frau­en, Men­schen mit unter­schied­li­chen geschlecht­li­chen Vor­stel­lun­gen, beein­träch­tig­te Men­schen, Haut­far­ben, Her­künf­te, usw.). Das ist ein ein wich­ti­ges Merk­mal der kul­tu­rel­len Gestal­tung eines Gyms oder Ver­eins. Dann ist natür­lich noch eine ganz kla­re Abgren­zung gegen­über Rechts­extre­mis­mus oder Anschau­un­gen grup­pen­be­zo­ge­ner Men­schen­feind­lich­keit sehr wich­tig. Es ist da ein kla­res Leit­bild hilf­reich, wonach sich Ent­schei­dun­gen aus­rich­ten und in dem Struk­tu­ren ver­an­kert sind. Auch der Aus­tausch mit Fach­leu­ten ist wich­tig, denn nicht jeder hat das Wis­sen, spe­zi­fi­sche Signa­le, Codes und Sym­bo­le zu ken­nen. Wir sel­ber müs­sen da immer wie­der nach Ent­wick­lun­gen schau­en, denn immer wie­der wer­den neue Sym­bo­le geschaf­fen, die Außen­ste­hen­de erst ein­mal gar nicht ken­nen kön­nen, mit denen aber die Milieus sich sze­ne­ty­pisch ver­stän­di­gen bzw. erken­nen kön­nen. Einem Sport­ver­ein ist nicht abzu­ver­lan­gen, dass alle dort über sol­che Dyna­mi­ken immer Bescheid wis­sen. Man kann sagen: Gyms und Ver­ei­ne, die sich ernst­haft um eine ent­spre­chen­de Kul­tur bemü­hen, sind für Rechts­extre­mis­ten ziem­lich unattraktiv.

Herr Zajonc, wir dan­ken Ihnen für das inter­es­san­te Gespräch.


Wei­ter­füh­ren­de Links zum Thema


Moni­to­ring Berich­te von VOLLKONTAKT

Jähr­li­che Moni­to­ring- und Ana­ly­se­be­rich­te zu Akti­vi­tä­ten extrem rech­ter Akteu­re im Kampfsport

Die Spon­so­ren der Box­ab­tei­lung des FC St. Pauli: