Mit der Entwicklung und Zulassung mehrerer wirksamer Impfstoffe gegen das SARS-CoV2-Virus ist seit einiger Zeit ein wirkliches Licht am Ende des Tunnels erkennbar.
Dazu, so ein neuer Plan, sollen massenhaft verfügbare Schnelltests, die womöglich sogar selbst durchführbar sind, das Infektionsgeschehen in der Breite erfassen und kontrollieren helfen. Eine fortwährende Schnelltestung auf breiter Basis soll es dann verantwortbar machen, wichtige Bereiche des Alltags (z.B. Schulen) wieder verstärkt öffnen zu können. Vielleicht könnte dies auch eine Perspektive für den Sportbetrieb werden.
Nicht zuletzt geht es nun auch auf das Frühjahr zu, bei dem steigende Temperaturen und eine zunehmende Sonnenstrahlung die Verbreitungsbedingungen des Virus verschlechtern.
Trotz Lichtblick kaum Optimismus
Trotz dieser grundsätzlich positiven Umstände will sich nicht so recht das Gefühl einstellen, die Pandemie bald überwunden zu haben. Die Zweifel sind berechtigt und stützen sich auf Fakten:
- Impfungen laufen nur langsam an
Bei dem Impfungen ist man längst nicht so weit, wie man anfangs hoffen durfte. Dies liegt zum allergrößten Teil an der mangelnden Verfügbarkeit der Impfstoffe. Die seit Ende Dezember an vielen Stellen Deutschlands eingerichteten Impfzentren können derzeit nur mit einem Bruchteil ihrer Kapazitäten arbeiten. Doch selbst wenn – vielleicht schon im Laufe des zweiten Quartals – ausreichend Impfstoff zur Verfügung steht, stellt sich die Frage, ob wirklich genug Kapazitäten geschaffen wurden, um die Verzögerungen des Impfstarts vor dem Herbst einholen zu können. Denn Ziel muss es sein, bis zum Herbst eine Immunität von etwa 70% der Bevölkerung zu erreichen. - Gefährlichere Virusmutationen verbreiten sich
In England, Südafrika und Brasilien sind Mutationen des SARS-CoV2-Virus aufgetaucht, die deutlich leichter übertragbar sind als die ursprüngliche Variante des Virus. Vielleicht – da ist die Datenlage aktuell noch nicht sehr belastbar – sind sie teilweise auch mit dem Risiko schwererer Krankheitsverläufe verbunden. In Deutschland verbreitet sich vor allem die zuerst in England aufgetretene Mutante »B.1.1.7«. Die deutlich höhere Übertragbarkeit führt dazu, dass sie am derzeitigen Infektionsgeschehen (bei regionalen Unterschieden) einen schnell wachsenden Anteil gewinnen. Es ist mit großer Sicherheit zu erwarten, dass sie das ursprüngliche Virus durch den Evolutionsvorteil der schnelleren Verbreitung komplett verdrängen werden. - Begrenzte Behandlungsmöglichkeiten
Nach wie vor ist bei den Behandlungen von COVID-19-Erkrankten noch kein Durchbruch erzielt worden. Zwar hat man mit wachsender Kenntnis der Erkrankung einige Erfahrungen sammeln können, wie die Genesung medizinisch unterstützend begleitet werden kann, aber es gibt bislang kein Medikament, das die Vermehrung des Virus tatsächlich effizient verhindern oder verringern kann. Aktuell scheint es noch nicht einmal wirklich erfolgversprechende Forschungsansätze zu geben, so dass die Ressourcen zum ganz überwiegenden Teil in die Entwicklung und Herstellung von Impfstoffen fließen.
Näherer Blick auf die Mutation
Ein besonderer Blick soll an dieser Stelle auf die neuen Virusmutationen gerichtet werden. Wissenschaftler bezeichnen die aktuelle Lage mitunter als den Beginn einer neuen »Pandemie in der Pandemie«. Mit dieser Formulierung soll deutlich werden, dass die neuen Mutationen des SARS-CoV-2-Virus mit ihrer deutlich höheren Übertragbarkeit das Infektionsgeschehen noch einmal ganz anders befeuern als das ursprüngliche Virus.
Besonders tückisch ist dabei, dass sich die stark wachsende Verbreitung des mutierten Virus (in Deutschland hat man derzeit vor allem mit der englischen Mutation zu tun) in den immer noch sinkenden Gesamtinfektionszahlen »versteckt«. So bleibt schnell unter dem Radar, dass sich vielleicht gerade jetzt in diesen Tagen und Wochen eine neue Welle aufzubauen beginnt. Zumindest in der Gefühlslage und Wahrnehmungsbereitschaft einer zunehmend coronamüden Bevölkerung.
Erst wenn man innerhalb dieser Gesamtzahl der Infektionen zwischen dem alten Virus und dem mutierten Virus unterscheidet, entdeckt man zwei parallele Pandemieverläufe, die zwar augenblicklich noch miteinander verwoben scheinen, aber sich im Hinblick auf ihre Dynamik getrennt entwickeln (vgl. die Grafik unten).
Aktuelle Maßnahmen helfen gegen das alte SARS-CoV-2-Virus
Deutlich wird: Es sinken derzeit nur die Infektionzahlen des alten, weniger stark übertragbaren SARS-CoV-2-Virus. Die seit einiger Zeit in Kraft gesetzten so genannten »nicht-pharmazeutischen Interventionen« reichen also aus, um diesen uns inzwischen altbekannten Virustyp zurückzudrängen.
Im Wesentlichen sind diese »nicht-pharmazeutischen Interventionen« die augenblicklichen Kontaktreduzierungen durch Lockdownmaßnahmen wie z.B. Schließung von Schulen, Einzelhandel, Sport und Gastronomie sowie Veranstaltungsverbote, Home-Office, Maskenpflicht und Abstandsgebote.
Hätten wir es ausschließlich mit dem ursprünglichen SARS-CoV-2-Virus zu tun, so stünden die Chancen sehr gut, die Infektionszahlen mit diesen Maßnahmen in überschaubarer Zeit auf vielleicht ähnlich gute Werte abzusenken wie zuletzt im Sommer. 7‑Tage-Inzidenzen von unter 20 oder unter 10 stünden möglicherweise in Reichweite und könnten Öffnungen rechtfertigen, ohne allzu schnell wieder in stark ansteigende Infektionszahlen zu geraten.
Die Mutationen verlangen mehr Anstrengungen
Allerdings deutet der schnelle Anstieg der Infektionen mit dem mutierten Virus B.1.1.7 darauf hin, dass die gegenwärtigen Maßnahmen womöglich nicht ausreichen, die mutierte Form des Virus in den Griff zu bekommen.
Damit kündigt sich vielleicht auch hierzulande eine Entwicklung an, die zuvor in England, Irland und Portugal deutlich zu sehen war. Dort schossen die Infektionszahlen ins Uferlose, als dort die englische Mutation B.1.1.7 die Regie in der Pandemie übernahm.
In Irland erreichte die 7‑Tage-Inzidenz im Januar einen Höchstwert von über 900 – nachdem noch im Dezember die grüne Insel als Musterbeispiel für ein erfolgreiches Pandemiemanagement galt und zu diesem Zeitpunkt wesentlich besser dastand als etwa Deutschland (vgl. die Grafik unten). Den Unterschied machte die Mutation B.1.1.7.
Mit beeindruckender Berechenbarkeit verbreitet sich das Virus sofort und fast unaufhaltsam dort, wo es durch Kontakte zu Übertragungen kommt. Aber die Sache ist weder Schicksal noch Strafe noch Böswilligkeit eines Virus: Es ist am Ende schlichte Naturwissenschaft und daher berechenbar – und auch beeinflussbar.
So konnten »Nicht-pharmazeutische Interventionen« auch in Irland die Zahlen wieder sehr schnell nach unten drücken – nur mussten sie eben drastisch verstärkt werden, damit sie bei der stärker übertragbaren Virusmutation wirken.
Mut kann auch machen, dass Impfstoffe gegen die Mutation B.1.1.7 wirksam zu bleiben scheinen. Auch können vor allem die mRNA-Impfstoffe grundsätzlich vergleichsweise schnell an Mutationen angepasst werden, so dass hier Routinen zu erwarten sind, die den saisonalen Impfkampagnen gegen die Grippe ähneln könnten.
Umso wichtiger ist daher, dass die Impfkampagne gegen das SARS-CoV-2-Virus bald ins Laufen gerät. Denn der Weg aus der Zwickmühle führt – sofern man nicht an Wunder glauben will – grundsätzlich nur über die so genannte Herdenimmunität.
Die nächsten Wochen dürften Aufschluss geben
Die kommenden vier bis sechs Wochen dürften wahrscheinlich Klarheit darüber schaffen, ob sich die aktuell stark verbreitende englische Virusmutation in Deutschland wie ein Flächenbrand ausbreiten wird. Wahrscheinlich wird es sogar schon wesentlich früher sichtbar.
Kommt es zu einem »Flächenbrand«, dürften Details entscheidend sein. Der R‑Wert der neuen Virusmutante konnte noch nicht asbchließend berechnet werden. Aber Simulationen zeigen, dass bereits Unterschiede in den Nachkommastellen erheblichen Einfluss auf die Wucht der Entwicklung haben dürften.
In Flensburg hat die englische Virusmutation das Geschehen aktuell jedenfalls schon in die Hand genommen. Entgegen dem landesweiten Trend schoss die 7‑Tage-Inzidenz dort inzwischen auf fast 200 hoch, wo sie doch in Gesamtdeutschland gegenwärtig bei 57 liegt.
Eine Diskussion über Lockerungen steht in der nördlichsten Stadt der Republik derzeit natürlich nicht zur Debatte. Im Gegenteil: Die Maßnahmen wurden verschärft und ab Samstag eine nächtliche Ausgangssperre angeordnet sowie alle privaten Kontakte zwischen Angehörigen unterschiedlicher Haushalte verboten.
Infektionsgeschehen muss gesenkt werden
Entscheidend scheint, dass das Infektionsgeschehen endlich insgesamt und nachhaltig gesenkt wird. Bleibt es auf einem so hohen Niveau wie augenblicklich, so birgt allein dies das Risiko, dass weitere gefährliche Mutationen entstehen.
Jede Mutation geht schließlich auf einen Fehler bei der Replikation der Viren zurück. Und wo viel repliziert wird, entstehen auch viele Fehler. Erweisen sich diese zufälligen Fehler aber als Evolutionsvorteil (etwa weil sich das mutierte Virus dadurch schneller überträgt oder aber durch Impfungen nicht so gut bekämpfbar ist), so wird sich dieses Virus mindestens vorerst im Infektionsgeschehen durchsetzen – wie eben jetzt bei der englischen Mutation zu sehen ist. Und es wird sich auch schnell durchsetzen, weil eben viel Infektiongeschehen stattfindet.
Perspektiven für den Sport
Deutlich ist die Forderung zu vernehmen, man möge den Sportbetrieb an der Basis nun endlich bald wieder erlauben. Und zwar schon bei 7‑Tage-Inzidenzen, die vor einem halben Jahr noch als Signal für Einschränkungen oder Schließungen galten. Zu recht wird auf die Folgen für Vereine, die »Volksgesundheit« und vor allem junge Menschen hingewiesen. Selten sind diese prinzipiell verständlichen Forderungen jedoch mit überzeugenden Durchführungskonzepten hinterlegt, deren Belastbarkeit im Alltagsbetrieb eines Vereines wirklich zu trauen wäre.
Oft hört man auch, es habe doch gar kein nennenswertes Infektionsgeschehen im Sport gegeben. Diese Vermutung war wohl schon zu Zeiten fragwürdig, als die Infektionszahlen im letzten Jahr noch paradiesisch niedrig waren. Als sie gegen Herbst explodierten, waren die Infektionswege lange Zeit schlichtweg nicht mehr aufklärbar. Man wird wohl sagen können: Überall, wo es engere und längere Kontakte zwischen Menschen gab, wird es zu Infektionen gekommen sein.
Außerdem war die Behauptung des ausbleibenden Infektionsgeschehens aus allen Bereichen und Branchen gleichermaßen zu hören: Aus der Arbeitswelt, aus den Schulen, aus der Gastronomie, aus dem Einzelhandel, aus der Luftfahrt und den Eisenbahnen, aus der Hotellerie usw. usf. Würde man dem Glauben schenken können, dürfte es gar keine Pandemie gegeben haben.
Konkret hängt für den Sport wohl sehr viel vom Verlauf der kommenden Wochen ab. Wenn Mutationen hier ähnlich wüten, wie wir es in England, Irland und Portugal sehen konnten, wird sich die Frage nach einer Wiederaufnahme des organisierten Sportbetriebs an der Basis womöglich für längere Zeit nicht stellen. Da hilft auch keine Realitätsverweigerung und Leugnung der Pandemie. Leider deutet im Moment mehr auf eine Ausbreitung der Mutation hin als dagegen spricht.
Der klassische Verein als Überlebenskünstler
Der olympische Boxsport wird überwiegend in klassischen und eher kleinen Vereinen ausgeübt. Aus den Statistiken des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) lässt sich errechnen, dass der durchschnittliche Boxverein in Deutschland zwischen 70 und 80 Mitglieder zählt. Es geht beim Boxen also familiär zu: Die Mitglieder haben daher vergleichsweise oft eine hohe Bindung an ihre Sportgemeinschaft. In den meisten Fällen werden für den Trainingsbetrieb überdies kommunale Schulsporthallen genutzt, für deren Nutzung (je nach den örtlichen Regelungen) gar nichts bis wenig zu zahlen ist. Eigens angemietete oder erbaute Immobilien sind in unserem Sport eher selten. Das ermöglicht in der Regel niedrige Mitgliesbeiträge.
Hohe Bindung an den Verein, geringe laufende Kosten, niedrige Beiträge – diese Fakten begründen die Hoffnung, dass klassische, kleine Sportvereine die aktuelle Krise zwar nicht schadlos, aber immerhin besser überstehen werden als etwa privatwirtschaftliche, also auf Gewinn ausgerichtete Sportanbieter. Immerhin das mag Mut machen, mit Geduld und Vernunft eine Lage zu überstehen, die sich – gesamtgesellschaftlich betrachtet – nur verlängern und verschlimmern wird, wenn man sie ignoriert oder leugnet.