Ende 2016 verabschiedete der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) eine Leistungssportreform, die seitdem viel diskutiert wurde. Kernpunkt dieser Reform war ein Paradigmenwechsel: Künftig sollen die Spitzenverbände der olympischen Sportarten stärker unter Berücksichtigung ihrer Erfolgspotenziale gefördert werden. Ins Zentrum rückt also die Frage, welche möglichen Erfolge man den Sportarten zutraut – und nicht so sehr, auf welche vergangenen Erfolge die betreffenden Sportarten verweisen können.
Förderung für Potenziale statt für vergangene Erfolge
Die Bewertung sportlicher Erfolgspotenziale ist naturgemäß keine einfache Sache. Schließlich befasst sie sich nicht mit etwas, das schon eingetreten ist und daher also messbar wäre, sondern stattdessen mit dem Wahrscheinlichkeitsgrad eines künftigen Erfolgs in einer bestimmten Sportart bzw. ‑disziplin.
Der DOSB entwickelte hierzu mit dem »Potenzialanalysesystem« (PotAS) (Link öffnet neues Browserfenster) ein Instrument, das zuerst den olympischen Wintersportverbänden und im zweiten Durchgang zuletzt den olympischen Sommersportverbänden einige Arbeit und wohl auch graue Haare gekostet haben dürfte.
Detaillierte Auskünfte bedeuteten viel Arbeit
Die Verbände mussten dem DOSB in folgenden Kategorien detaillierte Auskunft geben: Kaderpotenzial, Nachwuchsförderung, Trainingssteuerung, Richtlinienkompetenz / Zielvereinbarungen, Führungsstruktur, Traineraus- und ‑fortbildung, Gesundheitsmanagement, Athleten- und Trainings- und Wettkampfmanagement, Leistungssportpersonal und Wissenschaftsmanagement.
Aus den Antworten zu den Einzelfragen dieser Kategorien, die gegebenenfalls auch mit Dokumenten belegt werden mussten, wurden Rankings errechnet, die die Struktur der Spitzensportverbände selbst als auch ihr Gesamt-Kaderpotenzial bewerten.
Da eine Sportart in ihren unterschiedlichen Disziplinen sehr unterschiedliche Bedingungen und Potenziale aufweisen kann (im Kanuverband sind Canadier und Kajak z.B. grundverschiedene Dinge), wurden Struktur und Kaderpotenzial für die einzelnen Sportdisziplinen noch einmal parallel gesondert bewertet.
Boxen erzielt ein gemischtes Ergebnis
Für die olympischen Sommersportarten (zu den auch das Boxen zählt) erschien Ende November nun der vorläufige PotAS-Bericht. Vorläufig ist der Bericht deswegen, weil die Ergebnisse der Olympischen Spiele in Tokio 2020 nach dem Abschluss des Wettbewerbs noch eingerechnet werden sollen, um zu einem Gesamtbild zu kommen. Für das Boxen ergeben sich nach dem vorläufigen PotAS-Bericht folgende Bewertungen:
- Bei der Bewertung der Struktur des Verbandes belegt der Deutsche Boxsport-Verband den 23. Platz von 26 bewerteten olympischen Sommersportverbänden.
- Bei der Bewertung des Gesamtkaderpotenzials belegt der Deutsche Boxsport-Verband den 14. Platz von 26 bewerteten olympischen Sommersportverbänden.
- Bei der Bewertung der Disziplin des Männerboxens belegt der Deutsche Boxsport-Verband den 54. Platz von 103 bewerteten Disziplinen.
- Bei der Bewertung der Disziplin des Frauenboxens belegt der Deutsche Boxsport-Verband den 62. Platz von 103 bewerteten Disziplinen.
In sportlicher Hinsicht belegen die Boxerinnen und Boxer des Deutschen Boxsport-Verbandes im Hinblick auf ihr Erfolgspotenzial damit einen Platz im Mittelfeld der olympischen Sommersportler. In struktureller Hinsicht belegt er aktuell jedoch einen Platz am unteren Ende des Rankings. Schlechter als er wurden noch der »Deutsche Tennisbund«, die »Deutsche Teakwondo Union« und der »Deutsche Ruderverband« eingestuft, deren Kaderpotenziale auch schlecht bewertet wurden.
Namentlich die schlechte Platzierung des »Deutschen Tennisbundes« muss verwundern. Der Verband zählt mit mehr als 1,3 Millionen Mitgliedern schließlich zu den Schwergewichten unter den olympischen Sportverbänden – und dürfte allein aus dieser Masse an Mitgliedern eigentlich finanzielle Möglichkeiten haben, die Anforderungen der PotAS-Studie besser zu erfüllen.
DBV hat mit wenig vergleichsweise viel erreicht
Im Vergleich dazu kann man sagen, dass der Deutsche Boxsport-Verband aus wenig vergleichsweise viel gemacht hat: Aus einer Struktur, die mit einem Platz fast am Ende des Rankings eher kritisch bewertet wurde, generiert er nach dem Ergebnis der PotAS-Studie sportliche Erfolgspotenziale, die mit einem Platz im Mittelfeld bewertet wurden. Das ist erst einmal kein allzu schlechtes Ergebnis – und besser als manch anderer Verband.
PotAS misst alle Verbände und Sportarten an den identischen Kategorien. Das ist aus Sicht der Sportpolitik verständlich, wie es andererseits aus Sicht der kleinen Verbände hart erscheinen muss. Eine Vergleichbarkeit der Verbände und ihrer Erfolgspotenziale (und darum geht es bei PotAS) wäre aber kaum möglich, wenn man für jeden Verband unter Berücksichtigung seiner Besonderheiten ein eigenes Bewertungsschema entwickeln würde.
Sportlicher Erfolg und Geld hängen zusammen
Am Ende steht keine allzu große Überraschung: Große Erfolgspotenziale haben in der Regel auch etwas mit finanziellen Möglichkeiten zu tun. Dass Boxen in Deutschland aktuell nicht Teil der Weltspitze ist, ist uns allen bekannt. In Ländern wie Usbekistan, Kasachstan, Russland und natürlich Kuba hat der Boxsport einen anderen Stellenwert und ganz andere Möglichkeiten. Nationen wie z.B. China und Indien klopften zuletzt oben an.
Dass der Boxsport in Deutschland aber aus Strukturen, die wir uns alle besser wünschen, für deren Verbesserung aber neben Idealismus auch Geld erforderlich ist, einen sportlichen Platz im Mittelfeld realisieren konnte, ist fast schon eine gute Nachricht.
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